Das System der Milchproduktion in Deutschland ist nicht tiergerecht und oft weit entfernt von guter, fachlicher Praxis entfernt, erklärte unlängst Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbunds in einer Pressemeldung. Er beruft sich dabei auf die jüngst veröffentlichten Ergebnisse einer mehrjährigen Untersuchung zum Gesundheitsstatus von deutschen Milchkühen (PraeRi). Ähnlich lautende Äußerungen sind auch von anderen NGOs und Tierschutzorganisationen zu hören.
Worum ging...
Das System der Milchproduktion in Deutschland ist nicht tiergerecht und oft weit entfernt von guter, fachlicher Praxis entfernt, erklärte unlängst Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbunds in einer Pressemeldung. Er beruft sich dabei auf die jüngst veröffentlichten Ergebnisse einer mehrjährigen Untersuchung zum Gesundheitsstatus von deutschen Milchkühen (PraeRi). Ähnlich lautende Äußerungen sind auch von anderen NGOs und Tierschutzorganisationen zu hören.
Worum ging es in der Studie?
Veterinärmediziner der TiHo Hannover, der FU Berlin und der LMU München hatten für die PraeRi-Studie in drei Regionen (Nord: 253; Ost: 252; Süd: 260) insgesamt 765 Milchkuhbetriebe „durchleuchtet“. Unter anderem führten sie Interviews mit den Betriebsleitern, nahmen die Haltungsbedingungen in Augenschein und untersuchten Kühe, Jungtiere und Kälber. Zudem beprobten sie offene Silagen, schauten Rationsberechnungen und Daten der Milchleistungsprüfung durch und untersuchten die Tankmilch auf Antikörper gegen Parasiten.
Insgesamt gab es viele gut wirtschaftende Milchkuhbetriebe, jedoch hielt auch ein Anteil der Betriebe die verschiedenen Aspekte einer guten landwirtschaftlichen Praxis nicht ein. Bei diesen führte ein fehlendes Verständnis für Biosicherheit und die mangelhafte Dokumentation möglicherweise dazu, dass die Häufigkeit von Krankheiten im Bestand eher unterschätzt wird. Das ergab der Abgleich der Untersuchungsergebnisse der Wissenschaftler mit den Aussagen der Tierhalter.
Problemzonen: Klauen und Kälber
Insgesamt gab es viele gut wirtschaftende Betriebe, jedoch wurde auf vielen Betrieben die verschiedenen Aspekte einer guten landwirtschaftlichen Praxis nicht eingehalten. Die Ergebnisse im Einzelnen:
- Tierverluste: Rund 35 % der Milchkühe wurden gemerzt, die Mortalitätsrate lag bei ca. 3%. Bei den Kälbern betrugen die Totgeburtenrate und die Aufzuchtverluste der weiblichen Kälber bis zum 84. Lebenstag jeweils ca. 5 %.
- Fütterung und Stoffwechselgesundheit: Kühe in der Frühlaktation waren häufig unterkonditioniert. Im Norden trat dieses Problem öfter auf als im Süden (N: 38,4 %; O: 24,9 %; Süd: 20,9 %). Aus den Auswertung der MLP-Daten lässt sich ableiten, dass in der Frühlaktation das Ketoserisiko bei ca. 25 bis 30 %, das Risiko einer Pansenazidose bei 38 bis 45 % lag. Die Wissenschaftler leiten daraus die Schlussfolgerung ab, dass es vielen Milcherzeugern offensichtlich nicht gelingt, die Milchleistungen auszufüttern.
- Eutergesundheit: 80 % der Euter und etwa zwei Drittel der Beine der Kühe waren sauber (keine Verschmutzung zu erkennen). Die Auswertung der Zellzahlen ergab, dass ca. zwei Drittel der Tiere als eutergesund eingestuft wurden. Die Neuinfektionsrate in der Laktation lag bei etwa 17 bis 20 %, die Heilungsrate in der Trockenstehzeit lag bei 60 bis 63 % und die Neuinfektionsrate in der Trockenstehzeit bei 24 bis 25 %.
- Lahmheit und haltungsassoziierte Leiden: Die Befunde an den Kühen und Kälbern/Jungtiere zeigten einen hohen Anteil lahmer Kühe in allen drei Regionen (N: 22,8 %; O: 39,4 %; S: 22,7 %). Bei etwa zwei Drittel der untersuchten Kühe wurden Sprunggelenksläsionenals in Folge eines unzureichenden Liegeboxen-Komforts ermittelt.
- Kälber und Jungtiere: Bei den Kälbern lagen in vielen Betrieben die Krankheits- und Behandlungshäufigkeiten oberhalb der empfohlenen Richtwerte. Hier fiel besonders die häufige Diagnose von Nabelentzündungen auf (N: 26, %; O: 13,0 %; S: 7,6 %), welche die Milcherzeuger nur mit einer Häufigkeit von durchschnittlich 4 % angaben.
- Infektionskrankheiten: Die Ergebnisse der Untersuchung von Tankmilchproben auf Antikörper gegen Parasiten sowie von Umgebungsproben auf Mycobacterium avium spp. paratuberculosis ergaben einen nur sehr geringen Befall mit Lungenwürmern. Magen-Darm-Strongyliden wurden hingegen häufig gefunden (N: 49,9 %; O: 35,1 %; S: 39,4 %), ebenso Leberegel (starker Befall insbesondere in der Region Nord (16,9 %) und Süd 24,9 %). Paratuberkulose-positiv fielen in der Region Nord 12,0 %, in der Region Ost 40,0 % und in der Region Süd 3,8 % der Betriebe auf.
- Biosicherheit: Viele Milcherzeuger hatten kaum Verständnis für die Belange der Biosicherheit. Oft fehlte es an der erforderlichen Dokumentation.
Viele Probleme lassen sich auflösen
Die Bedeutung und Tragweite der Ergebnisse der Praevalenzstudie PraeRi, hat Projektleiterin Prof. Dr. Martina Hoedemaker von der TiHo Hannover für Elite zusammengefasst.
Ziel ist, dass man sagen kann: ‚Ja, den Milchkühen in Deutschland geht es gut‘.‘“
Martina Hodemaker (TiHo Hannover), Projektleiterin der Prävalenzstudie PraeRi
„Unsere Studie hat gezeigt, dass es mit Blick auf die Tiergesundheit für Verbesserungen noch viel Luft nach oben gibt. Sicherlich kann man sagen, dass viele Probleme mit einem guten Betriebsmanagement gelöst werden können. Hier sind dann die MilchkuhhalterInnen gefragt.
Verbesserungen erfordern aber meistens nicht unerhebliche sachliche und personelle Investitionen. Wenn allerdings die Produktionskosten die Erlöse übersteigen, ist kein Spielraum für Investitionen mehr. Wie soll sich dann etwas ändern können?
Aus den Ergebnissen geht meines Erachtens auch hervor, dass das System Milchkuhhaltung, das die TierhalterInnen bei weitem nicht alleine zu verantworten haben, an sich kränkelt. Werden die Bedürfnisse der Milchrinder als Wiederkäuer ausreichend berücksichtigt? Ist nicht das Maß der Leistungsanforderung erfüllt oder sogar überschritten? Werden anfallende wertvolle Ressourcen nicht einfach verschwendet (z.B. Kälber)?
Die MilchkuhhalterInnen sind nur ein Teil des Systems. Damit sich nachhaltig etwa ändern kann, ist eine konzertierte Aktion aller im Milchkuhbereich tätigen Berufsgruppen notwendig zum Wohle unserer Milchkühe und deren Nachzucht. Ziel ist, dass man sagen kann: ‚Ja, den Milchkühen in Deutschland geht es gut‘.“
Die Empfehlungen der Wissenschaft
Basierend auf den Ergebnissen haben die Wissenschaftler Handlungsempfehlungen für Tierhalter, Entscheidungsträger der Politik und beratenden Personen (Tierärzten, Klauenpflegern, u.ä.) entworfen. Diese sind:
- Etablierung einer nationalen Tiergesundheitsdatenbank.
- Einführung einer Hygieneverordnung.
- Einführung von verpflichtenden Paratuberkulose-Bekämpfungsprogrammen.
- Wirtschaftliche Anreize zur vorbildlichen Umsetzung von Biosicherheitsmaßnahmen.
- Finanzielle Anreize zur regelmäßigen zytobakteriologischen Untersuchung von Milchproben.
- Regulierung des Antibiotikaverbrauchs durch Erfassung, Berichterstattung und Benchmarking.
- Forderung und Förderung einer betrieblichen Eigenkontrolle der Klauengesundheit; Intensivierung der Schlachthofkontrollen hinsichtlich Klauen- und Gliedmaßengesundheit und Rückverfolgung bis zum Herkunftsbetrieb sowie eine verpflichtende zweimalige Klauenpflege pro Kuh und Jahr, für welche professionelle Klauenpfleger zur Verfügung stehen müssen (Klauenpflege sollte ein Ausbildungsberuf werden).
- Verpflichtende Regelungen bei stallbaulichen Maßnahmen, um den Kuh-Komfort sicherzustellen.
- Etablierung eines einfachen, einheitlichen Systems zur Dokumentation unter Einbeziehung von LKV- und HIT-Daten mit Vorlagen für Arbeitsanweisungen. Dieses könnte auch für behördliche Kontrollen genutzt werden.
- Verpflichtende und systematische Erhebung und Dokumentation von Kennzahlen für den Bereich Kälbergesundheit.
- Die Handlungsempfehlungen sollten auf die regionalen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen angepasst werden.
Quellen: TiHo Hannover, FU Berlin, LMU München