Gerne wird das Auftreten von Fruchtbarkeitsstörungen mit der Zucht auf hohe Milchleistung in Verbindung gebracht. Ist dem wirklich so? Hat sich die Fruchtbarkeit von Milchkühen in den letzten Jahren verschlechtert? Lassen sich hochleistende Milchkühe nur noch mit Hilfe eines breit angelegten Hormoneinsatzes wieder erfolgreich besamen? Wie es um die Fruchtbarkeit von Milchkühen bestellt ist, darüber tauschten sich auf einer dreitägigen Konferenz Ende Juni in Chicago rund 100 renommierte Wissenschaftler aus.
Festhalten lässt sich, dass:
- die Fruchtbarkeit von Milchkühen sich in den vergangenen Jahren nicht verschlechtert hat. Im Gegenteil, in den USA zeigen die Fruchtbarkeitsergebnisse – ausgedrückt in der 21 Tage Pregnancy Rate (Trächtigkeitsrate) oder in der Güstzeit – eine deutlich positive Entwicklung. So ist in den vergangenen 20 Jahren die PR von 14 auf 20 % angestiegen; die Güstzeit hat sich von 135 auf 115 Tage verringert. In etwa ähnliche Kennzahlen werden auch aus Kanada berichtet;
- eine gestörte Fruchtbarkeit viele Ursachen haben kann, da es sich hierbei um physiologisch sehr komplexe Vorgänge handelt. Jede Produktionskrankheit wirkt sich negativ auf die Entwicklung der Eizellen aus und vermindert letztlich die Chance auf eine Trächtigkeit. Ganz häufig liegen Reproduktions-Störungen denn auch hausgemachte Fehler in der Fütterung und Haltung der Kühe zugrunde;
- das Problem in aller Regel nicht bei der Genetik bzw. einer hohen Milchleistung, sondern beim Herdenmanagement liegt! So ist auch zu erklären, dass in den USA in den großen Milchfarmen die Fruchtbarkeitskennzahlen deutlich besser ausfallen als in Farmen mit kleineren Herden (Übersicht 1),
- auch die Genetik mittlerweile zu besseren Reproduktionsleistungen beiträgt. Etwa seit der Jahrtausendwende hat sich in punkto Fruchtbarkeit der genetische Trend ins Positive gedreht. Allerdings wird es noch einige Jahre dauern, bis die insbesondere durch Genomics bedingten Effekte sich voll entfalten werden.
1 | Fruchtbarkeit nimmt mit Herdengröße zu
Das Ziel eines guten Repromanagements muss es sein, spätestens nach drei Besamungen 90 % aller zuvor als besamungsfähig selektierten Kühe trächtig bekommen zu haben, so Paul Fricke von der Universität Wisconsin. Wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, woran kann es dann liegen?
Eine entscheidende Rolle spielt das Herdenmanagement, insbesondere während der 100tägigen Transitphase. Wie oben bereits beschrieben, vermindert jede Produktionskrankheit die Chance auf eine Trächtigkeit. Noch unklar ist, warum aber unter gleichen Umweltbedingungen einige Kühe sich durch eine gute Fruchtbarkeit auszeichnen, andere wiederum partout nicht trächtig werden wollen.
Das angeborene Immunsystem entscheidet
Die schnelle Rückbildung des Uterus (von 13 auf 1 kg innerhalb weniger Tage) gilt als das Fundament einer guten Fruchtbarkeit nach der Abkalbung. Dieser „Prozess“ läuft bei allen Kühen in etwa gleich ab. Ob eine frischlaktierende Kuh in den ersten Laktationstagen erkrankt oder nicht, darüber entscheidet anscheinend das angeborene Immunsystem der Tiere. Denn die Ladung (Menge) an Bakterien im Uterus der Kühe, die später an einer Entzündung der Gebärmutter (Metritis) erkranken und von gesunden Kühen ist am Tag Null in etwa gleich groß, erläuterte Martin Sheldon (Universität Swansea). Laut dem britischen Reproexperten deuten neuere Forschungsergebnisse an, dass das Gewebe im Uterus resilienter Kühe, also von Tieren mit einem guten Immunsystem, sich besser vor dem Angriff von Zellgiften, sogenannten Toxinen zu schützen weiß. Die spezifisch wirkenden Giftstoffe werden von einigen krankheitserregenden Bakterien ausgeschieden, die sich u.a. in Teilen der Nachgeburt befinden. Insbesondere wenn die Nachgeburt sich nicht völlig löst, Reste in der Gebärmutter verbleiben, vermehren sich dort Bakterien, die wiederum eine Metritis auslösen können. Eine solche Entzündung kann in der Gebärmutter wiederum die Expression bestimmter Gene verändern (diese werden aktiviert oder stillgelegt). So kann z.B. eine Nachgeburtsverhaltung einen katastrophalen Kaskadeneffekt auslösen.
Da es einer frischabgekalbten Kuh nun mal nicht anzusehen ist, ob sie über ein robustes Immunsystem verfügt, ist es so ungeheuer wichtig, Frischkalber vor Stress zu schützen. Denn im Fall von Stress, droht schnell das Immunsystem in die Knie zu gehen und damit unweigerlich eine reduzierte Fruchtbarkeit.
Transitphase
Seit der Einführung des Ovsynch in 1995, der hormonell gesteuerten Synchronisation des Zyklus der Kuh, haben wir viel gelernt über die Funktionsweise der Ovarien. Zwischenzeitlich wurde mehrfach nachgewiesen, dass ein sprungreifer Follikel rund 100 Tage zum Heranwachsen benötigt. Damit ist klar, dass viele der Follikel, die im Besamungszeitraum genutzt werden, schon vor der Abkalbung angelegt werden. Dieser 100tägige Reife-Zeitraum fällt in die Phase des Verlustes von Körpermasse und somit einer ausgeprägten negativen Energiebilanz. Besonders die beim Einschmelzen des Rückenfetts freigesetzten freien Fettsäuren (NEFA) scheinen die Follikel während ihrer Reifung zu beschädigen und deren Wachstums beeinträchtigen. Es wird vermutet wird, dass die Fettsäuren die Zusammensetzung der Follikelflüssigkeit verändert. Grundsätzlich sollte sich deren Zusammensetzung aber durch die Optimierung der Fütterung und des Herdenmanagements positiv beeinflussen lassen, weshalb sich auch einige Wissenschaftlicher zuversichtlich gaben, die Konzeptionsraten künftig weiter verbessern zu können.
Matt Lucy (Universität Missouri) ist davon überzeugt, dass durch Stoffwechselerkrankungen die Umwelt im Uterus derart beschädigt wird, dass ein Follikel dort nicht ordentlich heranreifen kann. Sofern sich eine Eizelle nicht 100%ig wohl fühlt, ist das Risiko groß, dass sie sich nach der Befruchtung nicht einnistet, denn sie kann nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt werden. Dies ist leider noch allzu oft zu beobachten, beklagte Eduardo Ribeiro (Universität Guelph), denn unmittelbar nach der Besamung sterben bis zu 50 % der befruchteten Eizellen ab. Der Wissenschaftler sieht die kritischste Phase im Reprozyklus denn auch zwischen dem 1 und 7. Tag.
Früher Zyklusstart ist entscheidend
Sicher nachgewiesen ist mittlerweile, dass eine gute Fruchtbarkeit zumeist die Kühe aufweisen, deren Zyklus schnell wieder in Gang kommt. Gemeint damit sind die Kühe, die bereits einige Wochen nach der Abkalbung wieder eine deutliche Brunst zeigen. Es wird angenommen, dass sich durch den frühen Zyklusstart das Gewebe im Uterus frühzeitiger wieder regeneriert. Je später eine Kuh in Brunst kommt, desto später setzt auch die Zellerneuerung im Uterus ein. Es wird deshalb empfohlen unbedingt die erste Brunst zu dokumentieren, denn frühzyklische Kühe können später zumeist ohne die Hilfe von Hormonen tragend werden (mehr dazu weiter unten im Text).
2 | Frühe Brunst macht den Unterschied
Steven LeBlanc (Universität Guelph) erklärte, dass trotz intensiver Forschung noch weitgehend unklar ist, welche Faktoren das Auftreten eine Gebärmutterentzündung begünstigen. Er vertrat die These, dass nicht Bakterien allein eine Entzündung auslösen, denn das Mikrobiom (Gesamtheit aller Mikroben) im Uterus von gesunden und an Metritis erkrankten Kühen unterscheidet sich, wenn überhaupt, nur geringfügig. LeBlanc mutmaßt, dass durch andere Entzündungen im Körper Toxine freigesetzt werden, die maßgeblich die Schleimhäute im Uterus schädigen. Das erklärt auch den negativen Zusammenhang einer Euterentzündung und einer verminderten Fruchtbarkeit.
Eine schnelle Reparatur der beschädigten Schleimhäute im Uterus ist laut LeBlanc nicht möglich, selbst nicht durch die Verabreichung von Entzündungshemmern (NSAID’s). Zwar ließe sich dadurch das Allgemeinbefinden der Kuh kurzfristig verbessern, die Futteraufnahme stabilisieren, aber nicht die Entzündung in der Gebärmutter eindämmen. Hier hilft nur die Stabilisierung des Immunsystems bzw. das Abstellen von Stressoren.
FÜTTERUNG
Entscheidend beeinflusst wird die Fruchtbarkeit zum Zeitpunkt der Abkalbung. Schmilzt die Kuh größere Mengen an Körperfett ein, dann leidet in der Regel die Fruchtbarkeit. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Fettsäuren zu. Rund 500 unterschiedliche Lipid-Komplexe sind an den komplexen Vorgängen bei der Entwicklung des Embryos bzw. dessen Einnistung beteiligt. Mittlerweile ist bekannt, dass einige Lipid-Komplexe auch bestimmte Gene an- oder abschalten können.
Positiv beeinflusst im Hinblick auf die Fruchtbarkeit werden diese Prozesse durch Omega3-Fettsäuren. Diese gelten als fruchtbarkeitsfördernd, da sie den Hormonhaushalt regulieren, die Produktion von hochwertigem Zervixschleim verbessern und generell für eine gesunde Gebärmutter sorgen. Sie hemmen in der Gebärmutter die Bildung von Prostaglandinen und fördern so die Einnistung und Überlebensrate von Embryonen in der frühen Trächtigkeit. In Mais- und Grasssilage sind diese Fettsäuren oft nur in unzureichender Konzentration vorhanden, weshalb sie also zugefüttert werden sollten (Leinsamen bzw. Leinöl).
Omega-3-Fettsäuren können auch dem Entstehen von oxidativem Stress entgegenwirken. Oxidativer Stress entsteht vermehrt beim Übergang von der Trächtigkeit zur Laktation, da in dieser Situation der Sauerstoffverbrauch durch um das Doppelte zunimmt. Aber auch ein „durchlässiger“ Darm (Leaky Gut) oder als folge entzündlicher Prozesse im Körper (z.B. im Euter) tritt oxidativer Stress auf. Dieser fördert die Entwicklung von einer Nachgeburtsverhaltung, einer Endometritis sowie Störungen bei der Einbettung des befruchteten Eis in den Uterus. Gegensteuern lässt sich durch die Fütterung antioxidativ wirkender Substanzen (z.B. Leinöl, Vitamin C und E, ß-Carotin, Selen-Hefen).
3 | Omega 3-Fettsäuren helfen
Hilft moderne Technologie?
Kühe, die eine deutliche Brunstaktivität zeigen, sind fruchtbarer. Das geht aus Auswertung von Sensor-Daten (Brunsterkennungssystemen) hervor, so Ronaldo Cerri (Universität British Columbia). Bei Kühen, die durch eine Aktivitätszunahme um 300 % im Brunstzeitraum aufgefallen sind, wurden später weniger Frühaborte diagnostiziert. Cerri führt diese Effekte auf das Vorhandensein größerer dominanter Follikel und einer längere Konzeptionsbereitschaft zurück. Letztlich wurde bei den brunststarken Kühen aber auch höhere Progesteron-Konzentrationen gemessen. Durch das Progesteron wird die Gebärmutter angeregt, die Schleimhaut auf die Einnistung einer befruchteten Eizelle vorzubereiten. Gleichzeitig wirkt das Gelbkörperhormon auch auf das Zwischenhirn (Hypothalamus) und signalisiert dort den Stopp für die Produktion des Hormons GnRH und verhindert somit eine erneute Brunst.
Geht’s auch ohne Hormone?
Kontrovers diskutiert wurde die Frage, ob sich durch den Einsatz moderner Sensortechnik auf die Zugabe von Hormonen bzw. auf eine Zyklussynchronisation verzichten lässt. Hier ergibt sich ein zwiegespaltenes Bild: Die Fraktion der OySynch-Befürworter verweist hier auf die höheren Trächtigkeitsraten und das systematische Arbeiten im Kuhstall, andere (zumeist kanadischen) Wissenschaftler sehen – wenn überhaupt - die Vorteile des Hormoneinsatzes nur bei stillbrünstigen oder nichtzyklischen Kühen. Übereinstimmen aber alle Experten darin, dass es bei nichtzyklischen Kühen eine hormonelle Unterstützung („den Zyklus in Gang bringen“) unabdingbar ist.
Eine Verlängerung der freiwilligen Wartezeit auf über 80 Tage hinaus bzw. die Verschiebung des Besamungszeitpunktes in die Laktation bringt bei diesen Kühen kaum Vorteile, weiß Eduardo Ribeiro, „denn letztlich werden dadurch die Ursachen einer Zyklusstörung nicht beseitigt.“
4 | Jede Erkrankung schadet der Fruchtbarkeit!
Fazit
- Die Basis für eine gute Fruchtbarkeit wird bereits vor der Abkalbung gelegt. Jede Erkrankung beeinträchtigt – auch noch Monate später - die komplexen Vorgänge in der Gebärmutter.
- Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kuh wieder trächtig wird, sinkt mit jeder Stoffwechselentgleisung oder Entzündung.
- Die Umwelt in der Gebärmutter lässt sich durch die Fütterung beeinflussen, somit letztlich auch das Überleben des Embryos
- Es gibt resilientere und weniger resiliente Kühe. Erstgenannte kommen früh wieder „in Gang“, sie sollte möglichst schnell wieder besamt werden. Anfälligere Tiere werden wohl oder übel ohne (hormonelle) Unterstützung nur schwer tragend werden.
- Zur Selektion der Tiere (komplikationslos bzw. anfällig) sollten Brunstdetektoren eingesetzt werden.