Hohe Milchleistungen bei Kühen werden immer wieder kontrovers diskutiert. Vielfach wird argumentiert, dass Leistungen von mehr als 10 000 kg Milch die Kühe zu stark belasten. Fakt ist aber, dass Leistungssteigerungen bzw. hohe Milchleistungen immer nur dann zu erhöhten Erkrankungsraten, einer schlechteren Fruchtbarkeit und damit letztlich zu einer abnehmenden Nutzungsdauer führen, wenn der Herdenmanager auf Stoffwechselentgleisungen der Hochleistungskühe nicht entsprechend (zügig) reagiert.
Abweichungen von den Normwerten treten immer dann auf, wenn die berechnete bzw. die angebotene und von der tatsächlich von den Kühen aufgenommenen Ration abweicht. Dieser Effekt ist leider in der Praxis immer wieder zu beobachten.
Um die Versorgung mit Nährstoffen zu überprüfen bzw. fütterungsbedingte Abweichungen möglichst gering zu halten, können Informationen genutzt werden, die uns das Tier liefert:
- Kontrolle der Milchinhaltsstoffe (u. a. auch Harnstoff, Aceton).
- Körperkonditionsbewertung (BCS).
- Ermittlung von Erkrankungsschwerpunkten und -häufigkeit.
- Bestimmung von Stoffwechselparametern in Blut und Harn.
In den meisten Fällen werden Stoffwechseluntersuchungen aber erst durchgeführt, wenn bereits Probleme im Bestand auftreten. Produktionsbegleitende Stoffwechseluntersuchungen nehmen leider nur einen geringen Anteil am gesamten Untersuchungsaufkommen ein, obwohl gerade ihnen die größte Bedeutung zukommt. So lassen sich durch die regelmäßige Auswertung von Blut- und Harnproben Fütterungsfehler (z. B. Mineralstoff-, Spurenelement-, Vitamin- Mangel, zu geringe Strukturwirksamkeit der Ration) ebenso nachweisen wie fütterungsbedingte Ursachen für Leistungsdepressionen, Fruchtbarkeitsmängel oder gehäuft auftretende Erkrankungen nach der Kalbung.
Im Rahmen einer langfristig angelegten Studie werden seit 1999 in drei größeren thüringischen Milchviehbetrieben (265 bis 384 Kühe) systematisch Stoffwechseluntersuchungen durchgeführt. Die durchschnittliche Milchleistung der Herden liegt zwischen 7 952 kg (ökolog. Wirtschaftsweise) und 10 307 kg Milch.
Ziel des Versuches ist, mögliche Zusammenhänge zwischen Tiergesundheit und Milchleistung aufzuzeigen sowie vorgegebene Toleranzbereiche von Stoffwechselparametern zu überprüfen. Dazu werden aus den drei Milchviehherden monatlich klinisch unauffällige Kühe zu unterschiedlichen Laktationszeitpunkten ausgewählt. Diesen Tieren wird dann Vollblut (Halsvene) und Harn (Katheder) entnommen.
Die erste Probenahme erfolgt in der vorletzten Woche der Trockenperiode, also noch kurz vor der Kalbung. Die weiteren Probenahmen liegen in der ersten, zwischen der zweiten und der achten sowie zwischen der neunten und 16. Laktationswoche. Von allen untersuchten Kühen liegen Informationen zur Tiergesundheit, Fruchtbarkeit und Milchleistung vor (MLP). Monatlich werden zudem die fünf Hauptfutterkomponenten der Futterration mikrobiologisch auf Bakterien, Pilze und Hefen untersucht. Die Bewertung der Ergebnisse erfolgt anhand vorgegebener unterer und oberer Toleranzgrenzen. Außerhalb der Toleranzgrenzen liegende Stoffwechselkennwerte werden als pathologisch (krankhaft) eingestuft. Die im Folgenden dargestellte Auswertung beinhaltet insgesamt 1315 Untersuchungsergebnisse.
Versorgung mit Mineralstoffen und Spurenelementen
Große Unterschiede ergeben sich zwischen den drei Betrieben, die sich sowohl durch das Leistungsniveau als auch durch die Wirtschaftsweise (konventionell bzw. ökologisch) erklären lassen.
- Die Mineralstoffversorgung der Kühe variiert erheblich zwischen den Betrieben, gemessen am Anteil pathologisch zu beurteilender Stoffwechselkennwerte. Gleiches trifft auf die Kennwerte zur Energieversorgung und Leberbelastung zu (Übersicht 1).
- Aber auch zwischen den Laktationsstadien variiert der Anteil an pathologischen Befunden im Blut bei Mineralstoffen und Spurenelementen erheblich (Übersicht 2).
- Stoffwechselbelastungen, ausgedrückt durch erhöhte Gehalt an Ketokörpern und erhöhte Leberenzymwerte (ASAT, GLDH), treten insbesondere ab der zweiten Laktationswoche auf.
Leistungsstarke Kühe sind wesentlich stärker belastet als ihre „leistungsschwächeren“ Gefährtinnen. Das kann sowohl am höheren Ketokörpergehalt als auch an und den höheren Leberenzymwerten abgelesen werden. Hohe Ketokörpergehalte treten insbesondere in der ersten Laktationswoche auf. Ab der zweiten Laktationswoche folgt dann eine deutlich erhöhte Leberbelastung (Anstieg der ASAT- und GLDH-Werte). In allen Laktationsstadien sind zudem pathologische Abweichungen der Harnparameter zu beobachten.
Auffällig ist, dass zwischen dem Leistungsniveau (Laktationsleistung) und der Stoffwechsellage ein enger Zusammenhang besteht. Die stärkste Stoffwechselbelastung ist bei den leistungsstärksten Kühen zu beobachten, deren Laktationsleistung um fast 1 000 kg über dem Durchschnitt der „stoffwechselgesunden“ Tiere lag. An Hand der Untersuchungsergebnisse aus Betrieb 1 kann exemplarisch aufgezeigt werden, wie sich von der Norm abweichende (pathogene) Stoffwechselkennwerte im Blut und Harn in der zweiten bis zur achten Laktationswoche auf Milchleistung und Milchinhaltsstoffe auswirken. Analoge Ergebnisse liegen auch für die anderen beiden Betriebe sowie die übrigen Laktationsabschnitte vor.
Mineralstoffe: Eine Calcium- und Phosphor-Unterversorgung führt zu einem Rückgang der Milchleistung und
des Fettgehaltes. Kühe mit einem Calciummangel geben im Durchschnitt 7,9 kg weniger Milch, gleichzeitig steigt der Fettgehalt um 0,5% an. Bei einem Phosphormangel fällt die Milchleistung mit „nur“ 1,5 kg etwas geringer ab. NSBA-Bilanz und pH-Wert: Die Milchleistung fällt ebenfalls geringer aus, wenn die Kühe „übersäuern“, d.h. wenn die Netto-Säuren-Basen-Bilanz (NSBA) und der pH-Wert im Harn unter die Normwerte absinken.
Harnstoffgehalt: Genau entgegengesetzt stellt sich die Situation beim Harnstoff dar. Hohe Milchleistungen korrespondieren mit einem erhöhten Harnstoffgehalt. Deshalb sollten wir uns die Frage stellen, ob die Grenzen beim Harnstoffgehalt nicht zu niedrig angesetzt sind und neu definiert werden müssen. Auch zwischen dem Status der Blutkennwerte und der Erkrankungsrate besteht ein statistisch gesicherter Zusammenhang. Kühe, deren Stoffwechselkennwerte sich im pathologischen Bereich befinden, zeigen leicht höhere Erkrankungsraten. Besonders deutlich wird dies bei einem Phosphormangel und erhöhten Ketokörpergehalten. Von den Kühen, die durch pathologische Blutwerte bei diesen beiden Parametern auffallen, erkranken bis zu neun Prozent mehr Tiere. Eine Ausnahme stellt auch hier der Harnstoffgehalt dar. Von Kühen mit über der Norm liegenden Harnstoffgehalten erkrankten im Durchschnitt 50 Prozent mindestens einmal während der Laktation. Zum Vergleich: Die Erkrankungsrate bei Kühen, deren Blutharn- stoffwerte sich im Toleranzbereich befindet, fällt um rund 12 Prozent höher aus. Dieser Effekt unterstreicht erneut die bereits getroffene Aussage, dass der Grenzwert bei Harnstoff überdacht und für Hochleistungstieren ein höherer Grenzwert festgelegt werden sollte.
Aus den Untersuchungsergebnissen lassen sich folgende Schlussfolgerungen ableiten:
- Stoffwechselabweichungen im Trockenstehbereich haben insbesondere in Hochleistungsherden einen signifikanten Einfluss auf die Einsatzleistung der Kühe zu Laktationsbeginn.
- Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Niveau der Blut– bzw. Harnparameter (ab der zweiten Laktationswoche) und der Milchleistung.
- Bei vielen hochleistenden Kühen liegen die wichtigsten Stoffwechselkennwerte zu Laktationsbeginn außerhalb des Normbereiches. Dies trifft vor allem auf die Versorgung mit Calcium, Phosphor und Kupfer als auch auf den Blutharnstoffgehalt und die Leberenzymwerte ASAT und GLDH zu.
- Längerfristig können die dadurch entstehenden enormen Belastungen der Tiere zu Erkrankungen und spontanen Verendungen führen. Deshalb sollten sowohl bei den Trockenstehern als auch bei den laktierenden Kühen zwischen der zweiten und achten Laktationswoche zur Beurteilung der Stoffwechselgesundheit monatlich Stoffwechseluntersuchungen erfolgen (Ketokörper, ASAT, GLDH, NSBA, pH-Wert im Harn, Mineralstoffe, Spurenelemente). Die dadurch anfallenden Kosten werden durch geringere Behandlungs- und Bestandergänzungskosten mehr als kompensiert.
Ein saurer Stoffwechsel kann Kühe wirksam vor Milchfieber schützen. Wichtig für den Erfolg ist
das kontinuierliche Monitoring u. a. des pH-Wertes im Harn.