Nah an der Realität: Das ist das Ziel des amerikanischen Futterbewertungssystems CNCPS. Dabei werden nicht nur Futtermittel bewertet, sondern auch betriebliche Gegebenheiten bei der Rationsberechnung berücksichtigt.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Elite Magazin 3/2017.
Näher an der Realität
Wer kennt das nicht: Die auf dem Papier errechnete und die tatsächlich ermolkene Milchmenge stimmen nicht überein. Obwohl die Analysewerte passen, fressen die Kühe weniger als gedacht oder aber die Futtereffizienz fällt geringer aus als erwartet. Eine Spurensuche ‑ ohne viele Anhaltspunkte ‑ beginnt. An der Universität Cornell hat man dieses Problem vor Jahren erkannt und ein Fütterungsmodell entwickelt, das versucht die Situation in der Praxis möglichst real abzubilden (Silo und Pansen). Das Cornell Net Carbohydrate and Protein System (CNCPS) schätzt dazu auf der einen Seite den Nährstoffbedarf der Kühe für Erhaltung, Wachstum, die Trächtigkeit, Laktation und Bildung von Körperreserven ab. Auf der anderen Seite wird die Nährstoffversorgung der Kühe aus der Trockenmasse-Aufnahme (TM) ermittelt. Dazu wird die Menge der Kohlenhydrat- und Proteinfraktionen und deren Verdauungs- und Passageraten sowie das mikrobielle Wachstum im Pansen analysiert bzw. abgeschätzt. Auch Umwelteinflüsse wie Umgebungstemperatur oder Überbelegung, die auf die TM-Aufnahme einwirken können, werden berücksichtigt. All diese Infos verrechnet ein Computerprogramm zu einer, der aktuellen Situation angepassten Ration. Das System wurde über die Jahre so entwickelt, dass sich die tatsächliche Milchleistung mit einer Genauigkeit von 1 bis 2 kg voraussagen lässt. Mittlerweile kommt das System auch in Deutschland zum Einsatz.
Einiges ist gleich, vieles aber anders: Der CNCPS-Futterwert beruht zuerst, wie bei anderen Futterbewertungssystemen, auf der Weender Analyse und der Analyse nach van Soest. Viele Parameter wie Rohprotein (XP), Neutrale-Detergenzien-Faser (NDF), Säure-Detergenzien-Faser (ADF), Säure-Detergenzien-Lignin (ADL) sowie Stärke und Zucker werden auch in diesem System analysiert. Ähnliches gilt für die Energiebewertung. Hier greift das CNCPS-Modell auf die Netto-Energie-Laktation zu. Einen deutlichen Unterschied macht das CNCP-System jedoch bei der Bewertung bzw. Fraktionierung von Rohprotein und Kohlenhydraten. Beide Nährstoffgruppen werden je nach ihrer Löslichkeit unterteilt. Dabei unterscheidet CNCPS acht Kohlenhydrat- und fünf Protein-Fraktionen (Übersicht 1).
CNCPS unterscheidet je nach Löslichkeit zwischen acht Kohlenhydrat- und fünf Eiweißfraktionen.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
Protein-Überschuss verhindern
Die Weender Futtermittelanalyse bestimmt das Rohprotein als einheitliche Fraktion. Bei der Analyse werden dabei aber neben echtem Protein auch N-haltige Substanzen erfasst. Da diese jedoch eine andere Pansenverfügbarkeit als Rohprotein aufweisen, ist diese Bewertung eher ungenau. Beim CNCPS-Modell wird deshalb das Protein in fünf Fraktionen mit verschieden ausgeprägter Abbaurate eingeteilt (Übersicht 2). Dazu gehören:
Fraktion B1: Hierzu gehört schnell abbaubares Reinprotein. Es wird im Pansen vollständig abgebaut. Die Fraktionen A und B1 werden durch Lösung in einem Phosphat-Borat-Puffer bestimmt.
Fraktion B2: Reinprotein mit einer mittleren Abbaugeschwindigkeit.
Fraktion B3: Langsam abbaubares Reinprotein. Es ist in der Zellwand enthalten, aber nicht so fest gebunden, dass es vollständig unverdaulich wäre. Ein großer Teil dieser Fraktion ist nicht pansenverfügbar.
Fraktion C: Diese Fraktion ist Zellwand-gebunden und nicht abbaubar. Es setzt sich zusammen aus Protein, dass an Lignin gebunden ist, Tannin-Protein-Komplexen und Produkten der Maillard-Reaktion. Die Fraktion C kann von Pansenbakterien nicht abgebaut werden und liefert im Dünndarm keine Aminosäuren.
Protein der Fraktion B ist schnell bis langsam abbaubar. Die Fraktion C ist hingegen z. B. an Lignin gebunden und damit nicht verdaulich.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
nXP oder NP?
Bei der Berechnung der Ration ist das Wissen um diese Fraktionen wichtig, da man sich stärker dem Bedarf der Pansenmikroben annähern kann. Ein Ammonium-Überschuss im Pansen und damit ein (energieaufwendiger) Umbau des Ammoniums in Harnstoff in der Leber kann reduziert werden. Damit lassen sich Futterkosten senken und die Leber entlasten.
Auch bei der Bewertung des im Darm nutzbaren Proteins gibt es Unterschiede zum deutschen System. So wird in Deutschland mit feststehenden Größen für nXP (für jedes Futtermittel) gerechnet, beim CNCP-System wird das metabolisierbare Protein (metabolisable protein, MP) dynamisch, d.h. immer wieder in Abhängigkeit der Passagerate für die Gesamtration berechnet. Denn der Gehalt an MP, den die Kuh bereitstellen kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. der TM-Aufnahme oder auch dem zu erwartenden pH-Wert im Pansen. Daher wird der MP nicht als fester Wert auf den Futtermittelanalysen, sondern als Gesamtwert der Ration ausgewiesen.
Kohlenhydrate unterteilt
Beim CNCPS werden die Strukturkohlenhydrate (NDF, ADF, ADL) und die Nichtfaser-Kohlenhydrate (NFC) wie Stärke, Zucker und Pek‑tine nochmals in Untergruppen eingeteilt. Hier gehören die Nichtfaser-Kohlenhydrate zur Fraktion A und B1, die Fraktionen B2, B3 und C sind Strukturkohlenhydrate. Fraktion A1 bis 4 besteht u.a. aus Essig-, Propion-, Milchsäure, organischen Säuren und Zucker. Zur Fraktion B1 gehören Stärke und Pektin. Die Fraktion B2 wird langsamer abgebaut. Sie enthält verfügbare Zellwandbestandteile. B3 besteht aus NDF. Fraktion C wiederum besteht aus unabbaubarem Zellwandmaterial (u.a. ADL). Auch die Abbauraten der Nährstoffe sind zur Beurteilung der Rationen wichtig. Sie müssen für das CNCPS im Labor ermittelt werden. Ein Beispiel: Das Ausmaß der Verdaulichkeit der NDF ist maßgeblich für das Fressverhalten, die TM-Aufnahme, das Wiederkauen, die Pansenmotorik und den Futterdurchsatz durch den Pansen. Eine reine Berechnung der Verdaulichkeit ohne Laboranalyse über die NDF- und Lignin-Gehalte bildet die realen Werte jedoch nicht ausreichend ab (Übersicht 3). Eine Besonderheit des CNCPS ist auch, dass die Passagerate der Futtermittel berücksichtigt wird. Diese wird von Faktoren wie der Futteraufnahme, Partikelgröße, NDF-Verdaulichkeit und dem Verhältnis von Grundfutter zu Konzentrat beeinflusst.
Der Gehalt an Lignin in der NDF ist kein ausreichender Parameter, um die NDF-Verdaulichkeit vorauszusagen.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
Umwelteinflüsse mit bedacht
Das CNCPS berücksichtigt aber nicht nur die Eigenschaften der Futtermittel. Zur Abschätzung der TM-Aufnahme und Milchleistung fließen auch Umweltfaktoren in die Berechnungen mit ein. Dazu gehören z.B. die Umgebungstemperatur (TM-Aufnahme fällt im Sommer niedriger aus), die Belegungsdichte im Stall oder auch die Laufwege, die die Kühe täglich zum Melken oder im Stall zurücklegen müssen. Auch diese Daten werden in ein Computerprogramm eingepflegt.
Das System wird erst seit kurzer Zeit in Deutschland mit Interesse verfolgt. Dies liegt zum einen daran, dass Futterproben bis vor einigen Jahren in den USA untersucht werden mussten. Inzwischen können auch viele Labore in Deutschland (z.B. Rock River Laboratory Europe, Eurofins) die notwendigen Analysen durchführen. Derzeit gibt es u.a. Software-Anbieter Rum&n und AMTS am deutschen Markt. Viele Futtermittelunternehmen bieten außerdem die Berechnung nach CNCPS an.