Jetzt muss neu gelernt werden. Denn vieles, was wir in Berufsschule, Meisterausbildung oder im Studium über die Energie- und Nährstoffversorgung der Kühe gelernt haben, wird sich in den kommenden Jahren verändern.
Wir stellen Ihnen die wichtigsten Änderungen vor, die der Ausschuss für Bedarfsnormen der Gesellschaft für Ernährungsphysiologie (AfBN) kürzlich für die Milchkuhfütterung herausgebracht hat.
Grobfutter wird wichtiger
Nach jahrelanger Auswertung nationaler und internationaler Forschungsergebnisse haben die Mitglieder des AfBN jetzt die neuen Versorgungsempfehlungen vorgestellt. Eine Umsetzung in der praktischen Rationsberechnung und Beratung soll innerhalb der nächsten zwei Jahre erfolgen und unter anderem folgende Vorteile bringen:
Näher am Bedarf sein und damit eine „gesündere“ Fütterung ermöglichen.
Weniger Überschüsse bei Rohprotein und Phosphor, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass die Kühe unterversorgt sind.
Grobfutter gewinnen an Bedeutung, sie werden energetisch höher bewertet.
Verluste zu minimieren bzw. bedarfsgerechter zu füttern, optimiert auf lange Sicht die Futterkosten.
NEL fällt weg
Doch welche Veränderungen ergeben sich im Detail?
Energie: Das NEL-System war eine rein kalkulatorische Bewertungsmethode, abgeleitet u. a. aus der Verwertung der metabolisierbaren Energie für Milch und Erhaltung. Künftig soll diese „Umrechnung“ entfallen und ausschließlich mit der tatsächlich umsetzbaren Energie (ME) kalkuliert werden. Allerdings wird die umsetzbare Energie, anders als bisher, in einem dreistufigen System ermittelt, das Energieverluste über Kot, Harn und Methan abzieht.
Außerdem wird die Verdaulichkeit der Organischen Masse (OMD) als zentrale Größe bei der Abschätzung der Energielieferung berücksichtigt, denn je besser verdaulich ein Futtermittel ist, desto mehr Energie kann es auch tatsächlich im Pansen „abliefern“.
Verdaulichkeit bestimmt die Bewertung der Futtermittel
Grobfutter, insbesondere mit hoher Verdaulichkeit der Organischen Masse, werden energetisch deshalb höher bewertet. Den Grobfuttermitteln kommt damit in der Rationsgestaltung künftig eine noch höhere Bedeutung zu. Dies erleichtert ebenfalls die ausreichende Versorgung mit genügend Faser (höherer Anteil an Grobfutter in der Ration). „Gewinner“ dabei sind zum Beispiel Pressschnitzel, die aufgrund ihrer hohen Verdaulichkeit deutlich höher eingestuft werden. Bei Getreide (auch Schlempen) und Rapsprodukten zeigten sich hingegen kaum Veränderungen in der Bewertung der Energie.
Bei der Energielieferung wird außerdem die Höhe der Futteraufnahmeberücksichtigt. Der Grund: Mit steigendem Futteraufnahme-Niveau (FAN) verringert sich aufgrund der höheren Passagerate die Verweildauer des Futters im Pansen. Dadurch sinkt die Verdaulichkeit der Organischen Masse und die im Pansen metabolisierbare Energie pro kg Organischer Masse nimmt ab.
Grobfutter, insbesondere mit hoher Verdaulichkeit der Organischen Masse, werden energetisch deshalb höher bewertet. „Gewinner“ sind zum Beispiel Pressschnitzel, die aufgrund ihrer hohen Verdaulichkeit deutlich höher eingestuft werden.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
Der Energiebedarf wurde unterschätzt
Neben einer Neubewertung der Energie stellten die Wissenschaftler außerdem fest, dass der Erhaltungsbedarf der Kühe bisher unterschätzt worden ist und um etwa ein Drittel höher liegt. Mit dem neuen System erhoffen sich die Forschenden deshalb, deutlich näher an dem Bedarf der Tiere füttern zu können, unabhängig von der Rasse. Außerdem kann beim Bedarf auch berücksichtigt werden, wenn sich die Kühe zum Beispiel durch Weidehaltung mehr bewegen, denn hier liegt der Bedarf um 10 bis 20 % höher.
Gleichzeitig fällt die Verwertung der Umsetzbaren Energie (ME) für die Milchbildung mit 66 % etwas höher aus als bisher. Dazu erfolgt nun eine dynamische Betrachtung, weil das Futteraufnahmeniveau für die Energiebereitstellung aus dem Futter berücksichtigt wird. Der Energie- und Futteraufwand wird zudem insgesamt etwas höher angesetzt. Dies entspricht den neuen Kenntnissen zum Bedarf und deckt sich mit neueren Versuchsergebnissen aus der angewandten Forschung.
Auf Aminosäuren optimieren
Protein: Die Änderungen, die bei der Bewertung des Proteins kommen werden, sind komplexer als bei der Energiebewertung. Statt nXP, also dem nutzbaren Rohprotein am Dünndarm, werden die neuen Kennzahlen dünndarmverdauliches Protein (sidP, small intestible digestible Protein) und dünndarmverdauliche Aminosäuren (sidAA) eingeführt.
Hier wird künftig berücksichtigt, dass die Dünndarmverdaulichkeit des Proteins bzw. die Menge der Aminosäuren im UDP (im Pansen nicht abgebautes Futterprotein) keine feststehende Größe, sondern variabel sind. Denn die Verdaulichkeit des UDP der einzelnen Futtermittel und das Futteraufnahmeniveau (FAN, Passagerate) beeinflussen diese Parameter. Insbesondere hochleistende Milchkühe lassen sich dann besser ausfüttern, weil das Futteraufnahmeniveau u. a. die Dynamik der Umsetzungen im Pansen bestimmt.
Durch die Kalkulation auch auf einzelne dünndarmverdauliche Aminosäuren können gegebenenfalls limitierende Wirkungen einzelner essenzieller Aminosäuren auf die Proteinsynthese erkannt werden. Damit könnte sich über die Rationsgestaltung bzw. Fütterung diese limitierende Wirkung ausschalten lassen.
Das Angebot an Rohprotein kann im Vergleich zu den jetzigen Empfehlungen reduziert werden, da man davon ausgeht, dass 10 % des von den Mikroben genutzten N nicht ausgeschieden, sondern in die N-Rezyklierung des Stoffwechsels gelangen und von den Pansenmikroben zur Eiweißbildung erneut genutzt werden können.
Die nötige Wasseraufnahme lässt sich nun anhand der aufgenommenen Trockenmasse abschätzen.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
Wasseraufnahme kalkulieren
Die nötige Wasseraufnahme bzw. -versorgung über die Tränken lässt sich durch die aufgenommene Trockenmasse abschätzen (TM-Aufnahme (kg) x 4 = aufzunehmendes Wasser in l). So lässt sich besser kalkulieren, ob das Wasserangebot (Anzahl der Tränken, Durchfluss, …) ausreicht.
Die Rohfaser wird keine Bedeutung mehr haben. Künftig werden nur die Faserfraktionen ADF sowie NDF und deren physikalische Wirkung zur Beurteilung der wiederkäuergerechten Ration herangezogen.
Bisher ging man davon aus, dass 70 % des gefütterten Phosphors von der Kuh für Milchbildung etc. genutzt werden. Die Auswertungen zeigten, dass die Verwertung jedoch deutlich höher liegt. Deshalb sind künftig geringere Phosphorkonzentrationen in den Rationen möglich. Auch bei Calcium und Magnesium ergeben sich kleinere Änderungen. Für die Praxis heißt dies, dass bei bekannten Mineralstoffgehalten in der Grassilage noch besser kalkuliert werden kann, ob P im Mineralfutter notwendig ist.
Fazit: NEL und nXP fallen künftig weg. Stattdessen führen die Forschenden neue Kennzahlen ein und erwarten, u. a. durch eine „Aufwertung“ des Grobfutters und eine passendere Bewertung der Futtermittel, eine bedarfsgerechtere Versorgung der Milchkühe.