Familie Anhamm bewirtschaftet einen Betrieb mit rund 230 Kühe und 170 Kopf Jungvieh am dorfnahen Standort in Kamp-Lintfort. Dazu gehören 100 Hektar Nutzfläche und eine Photovoltaik-Anlage. Die oft zu geringen Erlöse und Hindernisse wie Flächenknappheit und Trockenheit machen es nicht gerade einfach, in der Region rentabel Milch zu produzieren. Die Devise von Betriebsleiter Kevin Anhamm lautet: Immer zu den besten 25% anhand der Betriebskennzahlen gehören! „In der Landwirtschaft müssen wir sehr kapitalintensiv arbeiten. Und in unserer Betriebsgröße rutscht man schnell von gut auf schlecht, wenn der Betriebsleiter mal ausfällt“, sagt Anhamm.
Es ist mein eigener Anspruch, gut zu sein. Um sich am Markt zu halten, reicht es nicht aus, durchschnittlich zu wirtschaften.
Kevin Anhamm
Also: Gut sein! – Das durchschnittliche Tagesgemelk liegt aktuell zwischen 37 und 38 kg Milch mit 3,90% Fett und 3,55% Eiweiß. Zahlreiche 100.000 kg-Kühe, eine Remontierungsrate von 22% und eine Milchleistung der Abgangskühe von 52.000 kg zeigen, dass die Anhamm-Herde durch viele lebensleistungsstarke Kühe geprägt ist.
Die Kühe werden im Schnitt 2,9 bis dreimal täglich von vier Lely-Melkrobotern gemolken. Die Zellzahl hat sich zwischen 160.000 und 170.000 Zellen/ml eingependelt, im Sommer auch mal über 200.000 Zellen/ml. „Erhöhte“ Zellzahlen und eine nicht immer zufriedenstellende Eutergesundheit sind natürlich auch den vielen alten Kühen in der Herde geschuldet.
- 235 Kühe
- 11. 850 kg Milch
- 100 Hektar
- 3,5 Ak
Den Standort bestmöglich nutzen
Der 35-jährige Betriebsleiter leitet seit zehn Jahren die Geschicke des Milchkuhbetriebs. Gestartet hat er in 2010 mit dem Bau eines Boxenlaufstalls für 200 Kühe mit AMS. In diesem Jahr wird der Kuhstall noch einmal um 18 Meter verlängert. Damit möchte er zwar auch 20 Kühe mehr melken, vor allem aber den Kühen mehr Platz bieten. Im zweiten Schritt könnte der Einbau einer fünften AMS-Melkbox folgen, die dann ausschließlich von einer separaten Färsengruppe genutzt werden soll.
Durch den Anbau möchte ich nicht mehr Kühe halten, sondern den Kühen mehr Platz bieten.
Kevin Anhamm
Mit den jetzt 235 und demnächst rund 250 Kühen ist das Entwicklungspotenzial des Standortes in Kamp-Lintfort voll ausgeschöpft. Flächenknappheit, hohe Pachten und Trockenheit erschweren die Milchproduktion in der Ackerbauregion. Auch die unmittelbare Nähe zum Dorf lassen weitere Stallbau-Maßnahmen nicht mehr zu.
Zusätzlich zu den rund 100 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche bewirtschaftet Kevin Anhamm weitere 40 bis 50 Hektar in Kooperation mit drei benachbarten Betrieben. So kann er sicher Mais zukaufen und wiederum Gülle abgeben. „Das gute Verhältnis zu den Kollegen ist uns wichtig“, erklärt der Betriebsleiter.
Aufrund der extremen Trockenheit der letzten drei Jahre haben Anhamms in 2019 in eine Beregnungsanlage investiert, die auch dieses Jahr fast durchgängig den angebauten Mais bewässert hat. In den Jahren zuvor hatten sie Anlagen von benachbarten Kartoffelbauern ausgeliehen. Die Beregnung im Mais kostet rund 250 Euro pro Hektar.
6.000 kg aus Grundfutter, 5,4 kg Kraftfutter am AMS
Ein Schlüssel zum Erfolg ist die hohe Grundfutterleistung der Anhamm-Herde. Durch rund 6.000 kg allein aus Grundfutter wird den Kühen am Roboter maximal 5,4 kg Kraftfutter pro Tag zugeteilt. Um den Kraftfutterverbrauch möglichst effizient zu gestalten, kalkuliert Kevin Anhamm wöchentlich das Verhältnis von Kraftfutter- und Milchmenge.
In der Ration sind unter anderem 15 kg Gras (viel Feldgras), 32 kg Mais, 9 kg Wasser und Luzerne. Luzerne wird ausschließlich selbst angebaut. Um mehr Hauptfruchtmais anzubauen soll der Luzerne-Anbau zukünftig einen Teil des Feldgrases ersetzen. „Luzerne muss nicht so oft geschnitten werden wie Gras, um gute Qualität und ausreichend Ertrag zu erreichen“, erklärt der Betriebsleiter.
Wichtigstes Ziel: Keine Futterwechsel! Anhamms versuchen, über das ganze Jahr möglichst ohne Futterwechsel auszukommen. Sie nehmen lieber mehr Aufwand in Kauf, statt Änderungen in der Ration einzuplanen. So werden beispielsweise bei der Grassilage mehrere Schnitte im Fahrsilo übereinander gefahren. Der erste Schnitt wird so nahezu über das ganze Jahr gefüttert.
Viele Entscheidungen auf Einzeltier-Basis
Herdenmanagement, Besamungen und Klauenpflege übernimmt Kevin Anhamm selbst. Dabei orientiert er sich bei Entscheidungen häufig am jeweiligen Einzeltier. Die Zwischenkalbezeit von rund 430 Tagen beruht auf vielen hochleistenden und persistenten Kühen und ist auch weiterhin das Ziel. So beobachtet er bei Färsen zunächst, wie gut sie die Milch über die Laktation halten, erst dann legt er die freiwillige Wartezeit fest. Von den Zuchtorganisationen erhofft er sich zukünftig mehr Informationen bzw. Zuchtwerte für die Persistenz. Bisher muss er die Kühe selbst gut genug kennen, um den passenden Besamungszeitpunkt zu finden.
Bei der Anpaarung legt Anhamm besonders viel Wert auf Kuhfamilien mit hoher Lebensleistung und Nutzungsdauer sowie exterieurstarke Bullen. Kühe werden mit töchtergeprüften Bullen besamt, zuchtuntaugliche Kühe mit Fleischrassen und Jungrinder mit genomischen Jungbullen. Genomics steht Kevin Anhamm aber eher skeptisch gegenüber: „Ich kompensiere den möglichen Zuchtfortschritt lieber durch Sicherheit.“
Die Klauengesundheit ist Chefsache. „Klauenpflege mache ich einfach gerne“, erzählt der Betriebsleiter. Akute Fälle, Kühe ab dem 60. Lakationstag und Kühe zum Trockenstellen kontrolliert er im Klauenstand. Dank des festen Bereiches mit angeschlossener Selektion schafft er bis zu 30 Tiere am Tag. Ein Klauenbad macht er nicht.
Auch die Boxenpflege im Kuhstall übernimmt der Betriebsleiter, wenn möglich, einmal am Tag selbst. Denn diese Zeit nutzt er vor allem für Tierbeobachtung und Kotkontrolle. Zwar hilft die Aktivitätsmessung bei der Überwachung, vor allem der frischmelken Kühen, dennoch wirft Kevin Anhamm immer noch gerne selbst einen Blick auf die Herde. „Wenn ich es nicht während der Boxenpflege mache, nehme ich mir die Zeit sonst nicht“, gibt er zu.
Zeit haben, Dinge zu optimieren…
Zusätzlich zur Arbeit im Stall übernehmen Anhamms außer Dreschen, Häckseln und Spritzen auch die gesamte Außenwirtschaft. Neben Betriebsleiter Kevin Anhamm arbeiten ein Geselle und jährlich ein bis zwei Auszubildende mit im Betrieb. Auch Kevins Eltern helfen noch mit, seine Frau übernimmt die Büroarbeit. „Ich glaube, die fühlen sich hier ganz wohl“, meint Kevin Anhamm zu seinem jungen und guten Team. Die Mitarbeiter haben abwechselnd kurze und lange Tage und mindestens jedes zweite Wochenende frei. Das ist wichtig, damit sie den Spaß an der Arbeit behalten. Wenn sie nur durch den Lohn motiviert sind, funktioniert es nicht.
Ich denke, dass jeder problemlos 10.000 kg Milch melken könnte.
Kevin Anhamm
Kevin Anhmann ist es wichtig, dass er sich auf sein Team verlassen kann und ihm so auch noch Zeit für die Familie und für neue Ideen bleibt. Die Entscheidung, einen zweiten Auszubildenden einzustellen, begründet er maßgeblich damit, dadurch mehr Zeit für Optimierungen zu haben und das eigene Handeln zu hinterfragen: Seinen Berufskollegen empfiehlt er, an den kleinen Stellschrauben zu drehen. „Ich denke, dass jeder problemlos 10.000 kg Milch melken könnte, das Know-how ist ja eigentlich überall vorhanden.“
Das hat uns besonders beeindruckt:
- Die optimierte Standortnutzung – trotz Flächenknappheit und extremer Trockenheit holt Kevin Anhamm das Beste aus seinem Standort heraus. Sei es durch gute Kooperationen mit benachbarten Betrieben, der ertragssichernde Schritt zu einer Bewässerungsanlage oder die optimale Futterproduktion.
- Die Grundfutterleistung – die Grundfutterleistung von rund 6.000 kg Milch und die verhältnismäßig geringen Kraftfuttermengen trotz AMS sprechen für qualitativ hochwertige Grundfutter und eine gut durchdachte (und umgesetzte) Rationsgestaltung. Damit kann Kevin Anhamm nicht nur eine stabile Tiergesundheit sicherstellen, sondern auch viel Geld für Zukauffutter sparen.
- Die eigene Arbeitsweise hinterfragen – obwohl die Leistungskennzahlen und der Anblick des gesamten Betriebes für sich sprechen, wirkt der Betriebsleiter sehr selbstkritisch. Das ständige Hinterfragen des eigenen Handelns sowie sich bewusst Zeit zu nehmen, um Dinge zu optimieren, scheinen ein wichtiger Erfolgsfaktor zu sein.
Was sind die Erfolgsfaktoren im Kuhstall?
Alle Maßnahmen müssen das ganze Jahr über gewährleistet werden können, sonst braucht man gar nicht erst damit anzufangen.
Kevin Anhamm
- Das Grundfutter! Die hohe Grundfutterleistung der Herde ist ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg, sowohl aus Sicht der Tiergesundheit als auch der Wirtschaftlichkeit. Sie basiert auf allerbester Grundfutterqualität, die Kevin Anhamm durch möglichst optimale Schnittzeitpunkte im Gras und die Beregnung im Mais erreicht.
- Konstante Fütterung! Die exakte Rationsgestaltung mit entsprechender Kraftfutterzuteilung am Trog und im AMS sind erfolgsentscheidend. Vor allem muss alles konstant und über das ganze Jahr gleichmäßig erfolgen. Deshalb versucht der Betriebsleiter, Futterwechsel möglichst zu vermeiden und die Fütterung einfach zu gestalten. „Man muss alle Maßnahmen und Routinen das ganze Jahr über, auch an Feiertagen, gewährleisten können, sonst braucht man spezielle Sonderbehandlungen gar nicht erst anfangen.“, sagt Kevin Anhamm. Futterselektion wird über den Zusatz von 9 kg Wasser in der Ration unterbunden.
- Controlling! Die Kontrolle der Kühe, der Fütterung und des eigenen Managements spielt eine wichtige Rolle im Betrieb Anhamm. Dazu gehören die Tierkontrolle des Betriebsleiters während der Boxenpflege, die wöchentliche Berechnung des Kraftfutterverbrauchs im Verhältnis zur Milchleistung und das ständige Hinterfragen der eigenen Arbeitsabläufe.
- Klimatisierung! Die Ausstattung an Ventilatoren sowie die nachträgliche Einrichtung der Wassersprenkler zur Kühlung der Kühe hilft vor allem in heißen Monaten, Milchleistung und Tiergesundheit sicherzustellen.
- Zusätzlicher Melkroboter! Zuletzt hat der Einbau des vierten Melkroboters für eine deutlich höhere Milchleistung gesorgt. In Zukunft könnte auch der Anbau durch zusätzlichen Platz sowie eine fünfte Maschine für die Färsen noch einmal eine Leistungssteigerung mit sich bringen.
- Zucht! Kevin Anhamm trifft im Bereich Reproduktion und Zucht viele Entscheidungen auf Einzeltier-Basis. In seinen Augen hat die Genetik einen großen Einfluss auf die Leistung der Herde. Vor allem der Fokus auf lebensleistungsstarke Kuhfamilien und persistente Kühe ist ihm wichtig.
Warum melken Sie weiter, Herr Anhamm?
„Ich habe Spaß an Kühen und bin von der modernen Milchkuhhaltung überzeugt“, sagt Kevin Anhamm. Um auch die Verbraucher zu überzeugen, öffnet er gerne seine Stalltüren. Durch die unmittelbare Dorfnähe kommen regelmäßig Besucher und Kindergarten-Gruppen auf den Hof. Kevin Anhamm ist sich sicher, dass die Besichtigungen und das „Frage-Antwort-Spiel“ vor Ort der einzige Weg sind, Verbraucher wirklich zu überzeugen. Und daran hat er Spaß! Zudem ist sein Betrieb ein Teil des Hofentdecker-Programms der Molkerei Arla. So haben sich letztes Jahr im Rahmen eines Hoftages rund 4.000 Personen die Milchproduktion auf dem Betrieb in Kamp-Lintfort erklären lassen.
Es macht Spaß, Verbrauchern die moderne Milchkuhhaltung auf dem Betrieb zu zeigen. Leute auf den Hof zu holen, ist der einzige Weg, sie zu überzeugen.
Kevin Anhamm
Aber natürlich muss Kevin Anhamm auch Geld verdienen. Das ist mit Kühen nicht immer einfach. Dennoch hat er sich für eine Zukunft mit Kühen entschieden und viel investiert. „Ich muss und möchte jetzt voll Gas geben, um mich dann vielleicht irgendwann zufrieden zurücklehnen zu können“, so sein Plan. Bei unserem Stopp in Kamp-Lintfort haben wir nicht nur gesehen, dass er „Gas gibt“ sondern, dass er auch jetzt schon zufrieden mit sich und seiner Milchproduktion sein kann.