Hohe Milchleistungen in der Holsteinzucht

Züchter widersprechen Tierärzten

Die Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde bezieht Stellung zur Göttinger Erklärung. Darin hatten Tierärzte das Zuchtziel der Rasse Holstein scharf kritisiert. Die Züchter weisen die Kritik zurück. Eine einseitige Selektion auf Milchleistung finde nicht statt.

In der „Göttinger Erklärung 2016 zur Milchproduktion“ hatten Tierärzte kritisiert, dass vorwiegend auf Milchleistung gezüchtet werde und dabei Gesundheitsmerkmale sowie Nutzungsdauer auf der Strecke blieben (Elite hat darüber berichtet).
Die DGfZ weist diese Kritik größtenteils zurück. Das Zuchtziel und die Zusammensetzung des Gesamtzuchtwertes (RZG) sei in den vergangenen Jahren kontinuierlich in Richtung Funktionalität und immer weniger auf Milchleistung ausgerichtet worden. Allerdings müsse der RZG in der Nutztierhaltung ökonomisch ausgerichtet bleiben, um Landwirten den größtmöglichen Nutzen zu bieten.
Im Gegensatz zur Göttinger Erklärung stellt die DGfZ in ihrer Stellungnahme fest, dass die beobachtete Nutzungsdauer – wie sie in Abgangsstatistiken erscheint – neben dem Resultat von gesundheitlichen Aspekten auch wesentlich auf Managemententscheidungen zurückzuführen ist, die vor allem von ökonomischen Merkmalen beeinflusst werden (z. B. Futter- und Aufzuchtkosten, Milchpreise, Erlöse für Schlacht- und Zuchttiere, Stallbaukosten). Vorzeitige Schlachtungen sind häufig Folge von Leistungsminderungen nach Erkrankungen wie z. B. Stoffwechselkrankheiten, Fruchtbarkeitsstörungen oder Erkrankungen des Euters und des Bewegungsapparates.
Aus Gründen des Tierwohls und insbesondere auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht sollte aus Sicht der DGfZ die Nutzungsdauer der Milchkuh im Sinne der Lebensleistung deutlich, aber mindestens um eine Laktation erhöht werden, da das Leistungsmaximum in der 4. Laktation erreicht wird.

Stoffwechselphysiologie und Futteraufnahmevermögen während der Transitphase

Einigkeit besteht darüber, dass die Ursachen eines frühzeitigen Ausscheidens auf Grund von Krankheit oder Tod vielschichtig sind. Die Erkrankungsraten, besonders in der Frühlaktation, sind zu hoch und sollten gesenkt werden.  Die Göttinger Erklärung macht als Ursache eine „chronische Entzündungssituation“ aufgrund von „gewebs- und organspezifischen Entwicklungsstörungen“ verantwortlich, die die „Milchkuh anfälliger für Produktionskrankheiten aller Art“ macht. Diese sehr unspezifische Aussage wird durch keine Quellenangabe gestützt. Interessant wäre auch, was die Autoren unter „Produktionskrankheiten“ verstehen. Ein genetischer Zusammenhang ist hier nicht zwingend. Vielmehr kommt der Transitfütterung eine überragende Bedeutung zu.

Zucht und genetischer Trend

In der Göttinger Erklärung machen die Autoren für diese natürlich vorkommenden Stoffwechselbelastungen „die über Jahrzehnte primäre Selektion auf Milchleistung“ hauptursächlich für die „negativen genetischen Korrelationen zwischen Milchleistung und Erkrankung“ verantwortlich. Eine wissenschaftlich fundierte Begründung (Nachweis) für die Genetik als Ursache stoffwechselphysiologischerErkrankungen bleiben die Autoren schuldig. Völlig unerwähnt lassen die Autoren ebenso den positiven genetischen Trend vergangener Jahre.
Beim Gesamtzuchtwert liegt ein Gewicht von 45 % auf die Milchleistung und damit international voll im Mittel; Funktionalität und Gesundheit erhalten seit 2008 55 % des Gesamtgewichtes; 15 % des Gewichtes liegen auf funktionale Exterieurmerkmale in den Bereichen Euter und Fundament. Die hier enthaltenen Merkmale zeigten in einer eigenen Studie sehr deutliche Beziehungen zur Langlebigkeit und sind damit auch direkt den Merkmalen der Fitness und Gesundheit zuzurechnen.
Grafik

(Bildquelle: Elite Magazin)

Leistung wird von entscheidender Bedeutung bleiben

Kernproblem der Rinderzucht bleibt, dass die effiziente Rinderhaltung nur mit einer angemessenen Leistung des Einzeltieres möglich ist. Aus diesem Grund werden auch in Zukunft die Leistungsmerkmale von entscheidender Bedeutung bleiben. Da die funktionalen Merkmale nur eine sehr geringe Heritabilität besitzen, ergeben sich für die züchterische Bearbeitung erhebliche Probleme. Die Rinderzucht setzt sich deshalb mit der Erfassung und Bearbeitung neuer Merkmale auseinander, um das Zielmerkmal Nutzungsdauer besser charakterisieren zu können.
Die Häufigkeit von Erkrankungen von Kühen insbesondere im peripartalen Zeitraum und die zu verbessernde Nutzungsdauer werden durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt, deren Ursachen komplex sind. Dieser Herausforderung müssen sich die betroffenen Disziplinen wie Zucht, Haltung, Physiologie und Klinik gemeinsam stellen, denn angesichts der hohen Komplexität sind wirkliche Lösungen nur im interdisziplinären Ansatz zu finden.