Etwas sehr Schweres rutscht in die Magengegend. Nicht unbedingt ein Stein, sondern weicher, ohne feste Kanten. Man möchte dem Druck nachgeben, sich einfach eine Decke über den Kopf ziehen. So fühlt es sich an, wenn von allen Seiten Hiobsbotschaften laut werden (Dünge-Verordnung, sinkende Milchpreise, Futterknappheit). Der Druck von außen nimmt immer weiter zu. Sie fühlen sich hilflos und können sich nur schwer vorstellen, wie Ihr Betrieb in den nächsten Jahren weiterlaufen soll. Dabei würden Sie so gern aktiv werden, etwas unternehmen. Nur wie?
Ziele können helfen, sich aus dieser Hilf- und Antriebslosigkeit zu befreien. Keine Absichtserklärungen á la "Ich möchte endlich mehr Geld verdienen" oder "Ich will den Betrieb zukunftssicher aufstellen". Stattdessen ein realistisches, klar umrissenes Ziel, mit dem sich ein Plan entwickeln lässt, wie man das gesetzte Ziel ganz konkret erreichen kann.
Sich klar werden, wohin es geht
Jeder Unternehmer sollte wissen, wo er sein Unternehmen in einem, drei oder zehn Jahren sieht. Langfristige Ziele beschreiben den idealen Zustand des Unternehmens in der fernen Zukunft (10 bis 25 Jahre, "Vision") sowie den Zweck, den dieses Unternehmen für die Gesellschaft erfüllt ("Mission"). Gerade die Vision sollte klar und verständlich in einem Satz formuliert werden können.
(Wie eine Vision oder eine Mission für einen Milchkuhbetrieb aussehen kann, lesen Sie in der Reportage weiter unten im Artikel.)
Kurz- und mittelfristige Ziele bilden die Meilensteine für die nächsten ein bis drei Jahre, an denen man sich mit der Unternehmensentwicklung orientiert. Dabei nicht zu hoch pokern: Fünf konkrete Ziele reichen für die nächsten ein bis drei Jahre, zwei bis drei für die nächsten fünf bis zehn Jahre.
Ein konkretes Ziel ist SMART:
Zeichen |
Bedeutung |
Beschreibung |
Beispiel |
s |
spezifisch |
Ziele müssen eindeutig und präzise definiert sein. |
„Ich senke die Zellzahl in der Herde in den nächsten drei Monaten von 200.000 Zellen/ml auf 150.000 Zellen/ml ab.“ |
m |
messbar |
Jedes Ziel braucht eine Kennzahl. |
a |
ansprechend, herausfordernd
|
Ziele müssen für eine Person ansprechend bzw. erstrebenswert sein, aber auch erreichbar. |
r |
realistisch |
Das gesteckte Ziel muss möglich und realisierbar sein. |
t |
terminiert
|
Jedes Ziel braucht ein fixes Datum, bis wann es erreicht bzw. überprüft werden sollte. |
Quelle: Institut Querfeld Group |
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Tipp: Mehr dazu finden Sie in
Elite 1/2018 sowie in einem Leitfaden des Fraunhofer-Instituts:
Strategisch Ziele entwickeln.
Auf Basis der Unternehmensziele lässt sich eine Unternehmensstrategie entwickeln. Während die Ziele zeigen, welche Meilensteine Sie bis wann erreichen wollen, macht die Strategie deutlich, wie das funktionieren soll. Beispiele: Sollten die Melker wieder eine Schulung erhalten, um die Melkroutine besser einzuhalten? Muss ein neuer Melkstand her, um Arbeitskraftstunden einzusparen? Könnte ein Kommunikationsberater dabei helfen, die Stimmung im Dorf zu verbessern?
Tipps, um Ziele auch tatsächlich zu erreichen
Ein gestecktes Ziel auch tatsächlich zu erreichen, benötigt Willen und Durchhaltevermögen. Leicht kommt man zwischendurch vom Weg ab. Frank Albers, Business-Coach, rät, sich selbst fünf Fragen zu stellen:
Konkrete Ziele statt Willenserklärungen! 'Gute Vorsätze' sind zum Scheitern verurteilt."
Frank Albers, Business-Coach
1. Warum will ich das Ziel erreichen?
2. Ist es mein Ziel oder das von jemand anderem?
3. Was passiert, wenn ich das Ziel nicht erreiche?
4. Was hat mich bisher davon abgehalten?
5. Will ich das wirklich?
So lassen sich mögliche Hindernisse erkennen und man macht sich nochmals klar, warum man das Ziel gern erreichen möchte. Tipp: Ziel schriftlich formulieren! Das schafft Verbindlichkeit.
Wer zudem noch Berater, Mitarbeiter oder Familienmitglieder über einen geplanten Stichtag informiert, muss sich nach Verstreichen Nachfragen gefallen lassen. Das erzeugt ein wenig Druck von außen, der manchen beim Durchhalten hilft. Auch, sich Gleichgesinnte oder Diskussionspartner zu suchen (z. B. Arbeitskreise, Stammtische, Online-Gruppen), kann der Motivation auf die Sprünge helfen. Und: "Ohne Plan geht es nicht", sagt Frank Albers, "Brechen Sie den Aufgaben-Berg auf viele kleine Schritte herunter."
Um ein Ziel zu erreichen, das kontinuierliches Dranbleiben erfordert, empfiehlt er zudem die Jerry-Seinfeld-Methode: Dabei markiert man jeden Tag, an dem man für das Ziel gearbeitet hat, mit einem roten X im Kalender. Auch, wenn es einmal nicht klappt, macht man anschließend weiter. "Menschen wollen die Kette nicht unterbrechen, das motiviert", erklärt Frank Albers dazu.
Ein Beispiel aus der Praxis
Wie sehr Visionen und Ziele dabei helfen können, einen Betrieb weiterzuentwickeln, zeigt das Beispiel von Daphne und Lloyd Holterman. Die beiden bewirtschaften gemeinsam mit ihren Partnern Tim Strobel und Jordan Matthews einen Milchkuhbetrieb mit 1.000 Kühen im Süden von Wisconsin. Die Herde hat derzeit eine durchschnittliche Milchleistung von 13.712 kg. Die Abgangsrate beträgt 23 %, die Lebensleistung 54.000 kg.
Auf ihrer Farm "Rosy-Lane Holsteins“ ist die Vision allgegenwärtig: auf dem Hofschild, der Arbeitskleidung der Mitarbeiter, den Arbeitsanweisungen, dem monatlichen Rundbrief,
auf der Homepage, im Büro, im Melkstand und im Konferenzraum. Daphne Holterman erzählt: „Es war ein langer Prozess. Wir wollten eine Vision für unseren Betrieb definieren. Ein Berater hat dann Schritt für Schritt mit uns erarbeitet, wie sich unsere Vorstellungen und Werte herunterbrechen lassen.“
Vision: Great People. Great Cows. Great Returns. (Tolle Menschen. Tolle Kühe. Tolle Rendite.)
Mission: Für unsere Tiere zu sorgen und dabei Produktion und Profitabilität im Gleichgewicht zu halten, während wir natürliche Ressourcen (Luft, Land, Wasser) schützen und unserer Familie und Angestellten ein komfortables Leben ermöglichen. Im Besonderen:
– Herausragende Holsteingenetik für den weltweiten Markt bereitstellen
– Profitable und umweltfreundliche Technologien für Pflanzen und Tiere nutzen und ausprobieren
– ein wirtschaftlich tragfähiges Unternehmen mit Zukunftspotenzial aufrechterhalten
– hochqualitative Milch produzieren und eine maximale Rendite mit minimalem Input erhalten
– in lokalen Gemeinschaftsaktivitäten teilhaben und die Landwirtschaft gegenüber Städtern repräsentieren.
„Great people“ beschreibt demnach, dass das Team einen Großteil dazu beiträgt, die Farm erfolgreich zu machen. Erfolgreich im Sinne von, dass „die Mitarbeiter des Betriebs die Kühe 24 Stunden pro Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr sorgfältig füttern und pflegen“. Dann „produzieren unsere Kühe hoch qualitative Milch, für die wir basierend auf Fett und Eiweiß bezahlt werden. Wir füttern ihnen täglich eine exakt gemischte Ration, um den Vorteil ihrer Genetik zu nutzen – gesunde, reproduktionsgesunde und langlebige Kühe“. Das seien die „great cows“. Die „returns“, Erträge, gingen dann an die Gemeinschaft, die Umwelt und das Team. Man gebe „Zeit und Talent an die Heimatgemeinde“, indem man sich in Ausschüssen und Organisationen engagiere. Auch der Gewinn für Umwelt und Team wird sehr genau beschrieben und deutlich kommuniziert. Hier finden Sie den Text im Original.
Dieser Prozess trägt Früchte. Denn das Team von Rosy-Lane kann genau definieren, wofür der Betrieb steht. Das hilft im Alltag ganz praktisch bei verschiedenen Dingen:
- mit gutem Beispiel vorangehen: Sowohl die Geschäftsführer als auch die Angestellten sehen das Motto schon bei Betreten des Hofes und auf beinahe allen Arbeitsmaterialien. "Gerade die vier Partner erinnert es daran, jede dazu nötige Aufgabe in Angriff zu nehmen und nichts auf andere abzuwälzen, was man selbst nicht erledigen möchte", sagt Daphne Holterman.
- neue Angestellte einarbeiten: Mit dem Arbeitsvertrag erhalten alle neuen Mitarbeiter ein Papier mit Vision und Mission, welches von allen Geschäftsführern unterschrieben ist. Nach sechs Monaten gibt es für neue Mitarbeiter eine Schulung, in denen die Ziele des Betriebs und auch der Weg dahin genauer erläutert werden. Dies soll eine Atmosphäre schaffen, in der die gesetzten Ziele auch erreicht werden können.
- Neue Methoden oder Technologien genau prüfen: Bringt die Einführung einen Mehrwert in Bezug auf die Ziele und die Vision von Rosy-Lane? Geht es nur um „mehr“ oder verbessert sich auch die Qualität? Führt die Neuerung dazu, bei gleichem Input den Output zu steigern?
Dass dies auch für den Chef nicht immer einfach ist, hat Lloyd Holterman selbst schon erlebt. Mehrere Mitarbeiter, die die Kalbungen auf dem Betrieb betreuten, kamen von einer Fortbildung mit der für ihn wahnsinnigen Idee eines „Don’t touch-approach“ zurück: Kalbende Kühe sollten bei einer Just-in-Time-Abkalbung nach der Umstellung in den Abkalbebereich komplett alleine gelassen werden. Erst nach acht Stunden dürfe mit Geburtshilfe unterstützt werden, so die Meinung der Experten. „Ich konnte das nicht verstehen, konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Ansatz funktioniert", sagt Lloyd Holterman. Doch er traute sich! „Ich habe sie doch schließlich extra weggeschickt, damit wir besser werden.“ Die neue Methode wurde ausprobiert. Die Kälber waren vitaler, es gab weniger Labmagenverlagerungen und Metritis, die Kühe gaben in den ersten 15 Tagen mehr Milch. Zudem ging die Totgeburtenrate zurück. Daher wird der neue Ansatz heute auf dem gesamten Betrieb erfolgreich umgesetzt. Lloyd: „Bis heute kann ich keiner Kuh beim Kalben zuschauen. Ich schalte darum den Monitor im Büro immer aus.“
Auch die übrigen Produktionsziele erreicht das Team von Rosy-Lane Holsteins derzeit recht gut (siehe Übersicht).
2017 - derzeit
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Ziel |
3,3% Verluste
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< 3%
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0% mit Antibiotika behandelt
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< 0,5%
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153 Laktationstage
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<170 |
1,8 Besamungen/Trächtigkeit
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< 2,0
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817$ Profit/Kuh/Jahr (Dreijahresschnitt)
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> 800$
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114.000 somatische Zellen/ml Milch
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< 150.000
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Künftig wollen Daphne und Lloyd Holterman die guten Ergebnisse halten und weiterhin in der Lage sein, zu reisen und Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Zweimal die Woche treffen sie sich mit ihren Partnern, sechsmal im Jahr geht es in einem längeren Meeting um die langfristigen Entwicklungen: "Die Nummer 1 zu sein, Teil eines Gewinnerteams, fühlt sich hervorragend an. Aber man muss etwas dafür tun!"
Weitere Infos zum Herdenmanagement auf Rosy-Lane Holsteins LLC finden Sie in
Elite 2/2018, eine ausführliche Bildergalerie gibt es
hier.
Sich selbst ernst nehmen
Wer ohnehin in regelmäßigen Abständen Ziele für sein Unternehmen überprüft und gegebenenfalls anpasst, sollte die Gelegenheit nutzen, auch für sich selbst ein Resümee zu ziehen. Wie steht es um die „weichen“ Faktoren Ihres Lebens? Natürlich ist Leistung wichtig, Einsatz auf dem Hof, Arbeiten, den Betrieb weiterentwickeln, Meilensteine erreichen, einen neuen Stall bauen. “Doch Zufriedenheit ist mehr als das”, sagt Clemens Große Macke, Institut Querfeld Group. Zu einem glücklichen Leben gehören auch Familie, Gesundheit und ein gewisser „Sinn des Lebens“ – stimmt für mich noch, worauf ich hinarbeite? Kommt diese Balance dauerhaft aus dem Gleichgewicht, bleibt niemand langfristig leistungsfähig.
Zur persönlichen Zufriedenheit gehören nicht nur Leistung, sondern auch ein intaktes soziales Umfeld, Gesundheit sowie ein gewisser “Sinn” in dem, was man tut.
Fazit
Sich so intensiv mit seiner Betriebsentwicklung auseinanderzusetzen, braucht Zeit und (manchmal) Hilfe von außerhalb. Zudem ist wenig gewonnen, wenn zwar ein Ziel formuliert, es im Alltag aber nicht gelebt wird. Doch die Mühe lohnt sich: Mit einem Ziel vor Augen ist der Weg oft nur noch halb so beschwerlich - für sich selbst und für den Rest der Mannschaft.