George Bingham steht auf dem Dach des Stallbüros und schaut in seinen Milchkuhstall im nordirischen Templepatrick. Mit einer Handbewegung zeichnet er den Weg der Gülle durch die Kanäle nach und weist auf die Biogasanlage außerhalb des Stalls. Im Hintergrund ist noch eine kleine Ecke des grauen Containers zu sehen, der das neueste Experiment der Binghams beinhaltet: Einen Plasma-Reaktor, der das Biogassubstrat mit Stickstoff anreichern und so Mineraldünger einsparen soll. Nach Angaben des...
George Bingham steht auf dem Dach des Stallbüros und schaut in seinen Milchkuhstall im nordirischen Templepatrick. Mit einer Handbewegung zeichnet er den Weg der Gülle durch die Kanäle nach und weist auf die Biogasanlage außerhalb des Stalls. Im Hintergrund ist noch eine kleine Ecke des grauen Containers zu sehen, der das neueste Experiment der Binghams beinhaltet: Einen Plasma-Reaktor, der das Biogassubstrat mit Stickstoff anreichern und so Mineraldünger einsparen soll. Nach Angaben des Erfinders, dem norwegischen Unternehmen "N2 Applied", soll es möglich sein, die innerbetrieblichen Kosten für mineralischen Stickstoffdünger um bis zu 20 % zu reduzieren und dazu noch die Ammoniak-Emissionen zu senken.
Der Plasma-Reaktor nutzt elektrische Energie und die Umgebungsluft, um NOx-Gase (Stickstoffoxide; Stickstoffmonoxid/NO und Stickstoffdioxid/NO2) aus Stick-(N) und Sauerstoff-(O) Atomen zu produzieren. Gülle oder Biogassubstrat absorbieren diese Gase. Dort verbinden sich die Stickoxide mit freiem Ammoniak (NH3) und bilden Ammoniumnitrat ((NH4)(NO3)). Am Ende sieht das Gemisch weiterhin aus wie Gülle und wird auch so ausgebracht, ist aber ein stabiler Ammonium-Nitrat-Dünger.
Die Stickoxide bilden zudem die Basis für Salpetersäure. Die Säure senkt den pH-Wert der Gülle auf 6 bis 7 ab, was Ammoniakverluste während der Lagerung und Ausbringung reduzieren soll. Auch die Geruchsbelastung sinkt durch die Behandlung mit Plasma-Gas.
Das Verfahren soll also zusätzlichen Stickstoff aus der Luft in die Gülle einbringen und gleichzeitig die gasförmigen Stickstoffverluste reduzieren, wodurch die Wertigkeit steigt.
Biogasanlage oder Separation
Biogassubstrat beinhaltet rund 70 % freies Ammoniak, Rindergülle ca. 50 %. Der Plasma-Reaktor kann mit beiden Flüssigkeiten umgehen. Allerdings muss die Gülle vor dem Prozess gefiltert oder separiert werden, denn die Flüssigkeit darf nur einen Trockenmassegehalt von 5 bis 7 % aufweisen. Zudem sollten lange Partikel vorher entfernt werden (3 bis 5 mm-Filter).
George Bingham und sein Vater Robin hatten die Biogasanlage vor anderthalb Jahren installiert. Insgesamt halten sie rund 1.200 Rinder (melkende Kühe inkl. Trockensteher und Nachzucht), die sie mit Frischgras im Stall füttern. "N2 Applied" hat die Anlage vor zwei Monaten auf dem Betrieb installiert. Die erste Gülle ist bereits angereichert und auf Testflächen des Betriebes ausgebracht.
Funktionsfähig, aber noch im Versuchsstadium
Allerdings ist es noch zu früh, die Hoffnungen der Betriebsleiter mit Zahlen hinterlegen zu können. Ziel ist es, dezentral eigenen Dünger aus Gülle, Luft und erneuerbarer Energie zu gewinnen, Emissionen zu reduzieren, die Effizienz zu steigern und Kosten zu sparen (annähernd geschlossener Nährstoffkreislauf). Jedes Jahr gehen tierhaltenden Betrieben in Europa 2,13 Mio. t Ammoniak durch Auswaschungen oder Emissionen in die Luft verloren. Diese Verluste müssen durch Mineraldünger im Nachhinein wieder ergänzt werden. Ließe sich der Stickstoff aus der Gülle mit Luftstickstoff anreichern, könnten vorhandene Ressourcen effizienter genutzt werden.
Die patentierte Technik befindet sich allerdings noch im Versuchsstadium: "Die Rahmenbedingungen und die Zusammensetzung der Gülle ist auf den Betrieben sehr unterschiedlich", sagt Henk Aarts, Direktor für Geschäftsentwicklung bei N2 Applied. "Das hängt ab vom Tierbestand, von der Haltung, aber auch von der Fütterung. Derzeit testen wir das System auf Betrieben in Norwegen, Dänemark, Großbritannien und bald auch in Südafrika. Dabei wollen wir neben der Funktionssicherheit vor allem die Wirtschaftlichkeit überprüfen."
Vorteilhaft ist sicherlich, wenn der Betrieb selbst Energie produziert (Biogasanlage), weil Strom für den Prozess benötigt wird. Alternativ soll möglich sein, die Anlage so zu programmieren, dass sie in Niedrigpreis-Phasen arbeitet. Überwachung und Wartung geschieht per Cloud über das Internet.
Vor der endgültigen Markteinführung schätzen die Entwickler den Preis für eine 25 kW-Anlage (ausreichend für 150 bis 200 Kühe) auf ca. 50.000 Euro. "Auch, wenn wie auf der Bingham-Farm wegen der Kuhzahl mehrere Anlagen parallel laufen müssen, rechnen wir damit, dass sich die Reaktoren durch die Einsparungen beim Mineraldünger nach drei bis fünf Jahren amortisiert haben", ist Henk Aarts von N2 Applied überzeugt.
Weitere Techniken am Markt?
Die Idee, Gülle aufzubereiten, ist nicht neu. In Deutschland geht es bisher jedoch regional meist darum, dem "Zuviel" an Gülle Herr zu werden. Daher sollen, anders als im Plasma-Reaktor, bestimmte Nährstoffe entzogen oder das Güllevolumen reduziert werden (Transportwürdigkeit verbessern). Folgende weitere Verfahren werden darum derzeit diskutiert:
- Separierung, Pelletierung, Trocknung etc.
- Vakuumverdampfung: Der flüssige Teil der Gülle wird unter Vakuum gesetzt. Dadurch sinkt der Siedepunkt, Flüssigkeit verdampft. Die Gülle dickt ein und die Nährstoffe liegen in höherer Konzentration vor - alle, bis auf Ammoniak, welches sich in dem dabei entstehenden Gas befindet.
- Saure Wäsche: Ammoniak lässt sich nutzen, indem bei einer sogenannten "sauren" Wäsche nach dem Trocknen oder einer Vakuumverdampfung dem Gas Schwefelsäure hinzugegeben werden. Das setzt das darin vorhandene Ammoniak fest und wandelt es zu Ammoniumsulfat um. Die fertige Ammonium-Sulfat-Lösung (ASL) kann entweder der Gülle wieder zugeführt oder separat gelagert werden. Das gleiche Prinzip gilt bei der Strippung im flüssigen Gärprodukt, um Stickstoff in ASL umzuwandeln.
- Kompostierung: Bei Bio- und Grüngut wird nach der Vergärung zum Teil eine Kompostierung nachgeschaltet. Die flüssigen Gärprodukte werden dann in wenigen Fällen in Kläranlagen eingeleitet und gemeinsam mit Abwasser gereinigt. Dabei wird der enthaltene Stickstoff in Luftstickstoff (N2) überführt und ist somit kaum noch reaktiv. Weil sich Stickstoff so beseitigen lässt (Vorteile DüngeVO), denkt man darüber nach, diese Technik künftig auch in anderen Anlagenkonzepten einzubringen.
Einen Überblick über die Methoden gibt die Broschüre
"Düngen mit Gärprodukten" des Fachverband Biogas (ab S. 16).
DüngeVO: Mineraldünger von Vorteil?
Nicht zuletzt seit der Novellierung der Dünge-Verordnung bieten Mineraldünger Erleichterungen im Vergleich zu organischen Düngern. Während Wirtschaftsdünger auf 170 kg N beschränkt sind, gelten für mineralische Dünger andere Regeln. So versuchen hier am Markt etablierte Techniken denn auch eher, Nährstoffe aus der Gülle herauszuholen und sie in mineralische Dünger umzuwandeln (z. B. ASL-Verfahren). "Jeder Dünger, egal ob mineralisch oder organisch, muss zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Menge ausgebracht werden", sagt David Wilken, Fachverband Biogas. "Für Deutschland sehe ich eher die Herausforderung, dass wir regional zu viele Nährstoffe haben. Das könnte den Einsatz dieser Technik begrenzen."
Pflanzenbauberater Sebastian Lammerich, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, bewertet die Technik optimistischer: "Hält das Verfahren, was es verspricht, und steigert den Gehalt an pflanzenverfügbarem Stickstoff, würde sicherlich auch die Transportwürdigkeit gesteigert. Entscheidend wird sein, dass die versprochene bessere Düngewirkung auch tatsächlich eintritt und der so produzierte Dünger auf Güllebasis für Ackerbaubetriebe interessanter wird. Leider ist aus meiner Sicht derzeit rechtlich völlig unklar, wie eine mit Luftstickstoff aufgewertete Gülle in Deutschland gesehen würde."
Mit Vorgaben zurechtkommen
George Bingham, der Betriebsleiter aus Nordirland, freut sich hingegen auf die Ergebnisse seines Feldversuchs: "Ich erhoffe mir, dass der Plasma-Reaktor uns dabei hilft, umweltfreundlicher zu wirtschaften und mit den Vorgaben der EU zurechtzukommen. Wenn ich dann noch Geld sparen kann, weil ich weniger Mineraldünger kaufen muss, kann ich mir die Technik dauerhaft gut vorstellen." Die Versuchsergebnisse werden zeigen, ob sich die Hoffnungen bestätigen. -cs-