11.500 kg Milch mit Weide, das geht nicht von heute auf morgen, sondern fußt auf einem über Jahre gewachsenen System.
Weide, große Holstein-Kühe und hohe Milchleistungen – das passt für viele nicht zusammen und wird entsprechend kritisch beäugt. Dass das doch harmonieren kann, zeigt eine Herde im Elsflether Moor in Niedersachsen. Wie das Management hinter diesen Kühen mit einer Jahresleistung von 11.500 kg Milch im Herdenmittel aussieht, das verrieten uns ihre Besitzer Georg, Heidi und Jan-Niklas Alter.
Angepasste, stoffwechselstarke Kühe
Der Boden schwingt mit jedem Schritt, den die massige schwarze Kuh näher kommt. Was sich wie Seegang anfühlt „ist normal auf dem Moor“, sagt Jan-Niklas Alter. „Wenn die Herde läuft, bebt der Boden“, er lacht, und ich bin froh, dass die 150-köpfige Herde sich gerade nicht geschlossen bewegt!
Die Kühe, die stattdessen lose verteilt grasen und liegen, fallen als groß und rahmig auf. Nicht unbedingt das, was man in einem Betrieb mit Vollweide erwartet. „Die Größe ist nebensächlich, wichtiger ist, wie die Kühe einzeln damit zurechtkommen. Besonders im Stall“, sagt Georg Alter. „In der Zucht sind uns andere Merkmale wichtiger.“ Dazu zählt er als erstes Stoffwechselstärke auf. Die Kühe müssen in der Weide rasch wechselnde Nährstoffgehalte verkraften: Im Frühjahr liefert das Gras Eiweiß im Überschuss, im Sommer passt es und im Herbst ist es Mangel – dafür brauchen Kühe einen elastischen Stoffwechsel, erklärt der Züchter. Milchharnstoffwerte bis 300 mg mit tageweisen Schwankungen gehören dazu.
Dann müssen die Kühe problemlos laufen. So sind stabile Fundamente mit leicht gewinkeltem Sprunggelenk und harmonischer Bewegung sowie jugendliche Euter und viel Vorhandstärke ebenfalls Bestand ihres Zuchtziels. Bis zu vier Kilometer müssen die Kühe in der Saison täglich zwischen Stalltor und Weide zurücklegen. Plus die Wege beim Grasen und im Stall. Da darf selbst bei alten Kühen kein großes Euter im Weg hängen.
Dass die Kühe auf gesunden Fundamenten stehen, spiegelt sich in der Klauenpflege wider: Es gibt keine Routinetermine zur „Fußpflege“. Nur nach Bedarf holen Vater und Sohn Einzeltiere in den Klauenstand. „Die kann man im Jahr an zwei Händen abzählen. Die Kühe laufen sich die Länge ab und das Gras hält die Klauen sauber“, erklärt Jan-Niklas.
Georg Alter arbeitet seit Jahrzehnten in der Zucht eng mit seinen Kuhlinien. Dabei setzt er auch auf Bullen aus den eigenen Kuhfamilien. Aktuell etwa Hurricane, der ihrem M-Stamm entstammt und nun K. I. Samen gehört. „Unsere Kühe haben sich über ihre Generationen an das System hier angepasst“, sagt er. Eine Herde von heute auf morgen auf Vollweide umzustellen, das würde nicht ohne Verluste funktionieren, ist er überzeugt. Ein Bekannter, dessen Kühe ebenfalls hohe Milchleistungen geben, aber in Stallhaltung und mit TMR, habe einmal vorgeschlagen, zwei Kühe zu tauschen. „Ich hab ihm gesagt, um unsere Kuh bräuchte ich mir bei dir keine Sorgen zu machen, aber deiner würde es hier wohl nicht gut gehen.“ Und so haben sie es bei der Idee belassen.
Die Genetik ist es nicht allein
Kühe, die bis zu 18.000 kg Milch pro Laktation leisten, können das nicht allein aufgrund ihrer Genetik. Dazu bedarf es neben einem konsequenten Weidemanagement und langsamem Anfüttern auch Training. So lernen bereits die Rinder ab einem Alter von sechs Monaten im Sommer die Weide und die Kräfte der Witterung kennen. Ohne Dach, aber mit Zufütterung. Alle weiblichen Kälber aus der ganzjährigen Abkalbung werden aufgezogen. Nicht zur Remontierung benötigte Färsen werden verkauft.
An- und abgeweidet werden die Kühe sachte über drei Wochen. In diesem Jahr ist jedoch alles anders: Bis dato, Mitte Juni, bleiben die Kühe nachts noch im Stall und fressen dort Grassilage. Normalerweise gehen die Kühe zu dieser Zeit schon lange 20 Stunden pro Tag auf die Weide. „Wir müssen nach der Trockenheit in 2018 nun erst wieder einen Silagevorrat aufbauen“, erklärt Jan-Niklas. Ein komplettes Silo halten sie immer als Notreserve vor, um sich gegen das Risiko von Futtermangel, das ein Weidesystem durch Extreme in Trockenheit und Nässe trägt, abzusichern.
Nicht nur das Anweiden, auch das Anfüttern erfolgt langsam. So kommen die tragenden Kühe und Rinder im Sommer spätestens zwei Wochen vor dem Kalbetermin zu den Laktierenden. Dort werden sie mit dem Hochleistungskraftfutter (9,7% Fett) angefüttert. Begonnen wird mit 1,0 kg und bis auf 3,0 kg pro Tag erhöht. Sobald die Tiere aufeutern, gibt es noch 1,0 kg des normalen Laktationskraftfutters (18/4) obendrauf. Die Anfütterungskühe gehen täglich mit über den Melkstand. „Das kostet Zeit, hat aber den Vorteil, dass wir sie sehen“, so Georg Alter. Für ihn ist der intensive Sichtkontakt zu den Kühen einer ihrer Erfolgsschlüssel.
Die Grundfutterversorgung ist rein grasbasiert: Im Sommer weiden die Trockensteher und tragenden Färsen die Reste der laktierenden Kühe nach. Georg Alter dreht sich im Sattel seines klapprigen Hoffahrrads und zeigt mit der Hand zu der kleinen Gruppe von Kühen, die auf der anderen Grabenseite neben der großen Herde grast. „Die melkenden Kühe fressen zuerst immer das Weidelgras, übrig lassen sie die überwachsenden und weniger süßen Gräser.“ Die einzelnen Flächen ihrer Umtriebsweide sind im Mittel 4 ha groß. Je nach Aufwuchs frisst die laktierende Herde 1,5 bis 2 Tage pro Fläche, danach die Trockensteher für einige Tage.
Viel Struktur und „keine Hampelei“
Ein weiterer Erfolgsschlüssel ist die Strukturversorgung. Dafür wird zu den zwei Melkzeiten Grassilage mit dem Verteilwagen auf dem Futtertisch vorgelegt und gelegentlich Heu. „Bei den Silagen streben wir hohe Trockensubstanz- und Rohfasergehalte an. Aktuell füttern wir den ersten Schnitt 2018, der uns sehr gut gefällt“, sagt Jan-Niklas. Ein Blick auf die Futteranalyse gibt einen TS-Gehalt von 50%, einen Rohfasergehalt von 28%, 6,4 MJ NEL und 17,8% Rohprotein preis. „Dass die Fütterung passt, zeigen uns die Klauengesundheit und täglich Wiederkautätigkeit und Kot“, erklärt Georg und weist mit gestrecktem Zeigefinger auf den frischen Kuhfladen vor sich. „Der Kot muss vor allem eins: angenehm riechen. Tut er das nicht, stimmt etwas nicht in der Fütterung.“
Darauf, dass die Kühe der Familie Alter stoffwechselstark sein müssen, deutet auch folgendes Vorgehen hin: Direkt nach der Kalbung gehen die Kühe zurück in den Laufstall. Propylenglykol gibt es nicht, eine Milchfieberprophylaxe nur für Einzeltiere. Die konsequente Anfütterung und ein rasches Steigern der Kraftfutterkurve sichern die Energieversorgung. Um die hochleistenden Kühe auszufüttern, kommen hier rasch 10 kg Kraftfutter pro Tag zusammen, die die Kühe über vier Transponderstationen sowie im Melkstand abrufen müssen.
Nicht nur die Aufnahme von genug Struktur, auch die Wahl von hochwertigen Kraftfuttern entscheide darüber, dass die Kühe gesund bleiben: „Unsere beiden Sorten füttern wir seit Jahren. Kühe brauchen Gewohnheit und keine Hampelei. Nur weil der Preis sich mal ändert, wechseln wir nicht das Futter“, stellt Georg Alter klar. Er teilt das Leistungsfutter zu. Eine Milchmengenmessung im Melkstand gibt es nicht. Neben dem Allgemeinzustand jedes Einzeltieres sind Zellzahl und Harnstoffgehalt, die alle zwei Tage für die Tankmilch vorliegen, für ihn die Kontrollgrößen.
Zellzahlen von 80.000 Zellen sind das Herdenmittel, 100.000 Zellen für sie ein Ausreißer. „Dann hatten die Kühe Stress“, sagt Georg Alter. „Etwa als es jetzt im Mai nochmal Frost gab, da haben sie über das Weidegras etwas mitbekommen.“ Das führe ihm wieder vor Augen, wie wichtig die langsamen Futterumstellungen für die hochleistenden Kühe sind.
Weidelgras-basiertes Grünland
Folgt man den Kühen über den mit Litze abgezäunten Weg vom Stall über den Hof, erwartet einen hinter der Hecke satt grünes, ebenes Grünland soweit das Auge reicht. Auch dies ist, wie die Genetik der Kühe, ein Ergebnis von Arbeit über Jahrzehnte. Denn als die Familie Alter Anfang der 70er-Jahre auf den heutigen Standort aussiedelte, erwartete sie verstrauchtes Moorland. „Das war echte Pionierarbeit, wie sie sich die meisten heute nicht mehr vorstellen können“, erzählt Georg, der damals 14 Jahre alt war. Bis heute bewirtschaften sie die 85 ha arrondiertes Weideland sowie die zusätzlichen Mähflächen intensiv. Dazu kommen 17 ha Naturschutzflächen, die sie für die Trockensteher und Rinder heuen.
Zur Pflege der Grasnarben gehört ein Striegeln und Walzen im Frühjahr, kleine, häufige Güllegaben über Schleppschuh sowie Mineraldüngergaben und regelmäßige Weidelgras-Nachsaaten mit einem Schlitzsaatgerät. Die Nutzung der Flächen gestalten sie wie folgt: 100 ha werden im 1. Schnitt gemäht, auch das Gros der Weideflächen. Danach folgt auf letzteren ein Wechsel von Weide und Schnittnutzung. Der Weiderest, den die trockenen Kühe noch übrig lassen, wird entweder ausgemäht oder so belassen und im nächsten Aufwuchs als Ballensilage geerntet. „Einen aufgewachsenen Weiderest nochmal mit den laktierenden Kühen zu beweiden, das geht nicht. Der nächste Rest ist dann zu hoch“, berichtet Jan-Niklas. Im Mittel nutzen sie die Grasnarben fünf bis sieben Mal pro Jahr.
Bei der Silagebereitung achten Vater und Sohn sehr auf Hygiene und Verdichtung. Mähwerk, Kreiselheuer und Schwader sind auf eine Stoppelhöhe von 6 bis 7 cm eingestellt, damit keine Güllereste und so wenig Sand wie möglich ins Futter gelangen. So verursache auch der gewünscht hohe TS-Gehalt von über 40% keine Probleme von Nacherwärmung in den Silagen. Maissilage gibt es nicht. „Wir haben es häufiger mit unserem Fütterungsberater durchgerechnet und sind bislang immer zu dem Ergebnis gekommen, dass der Zukauf zu aufwendig wäre“, erklärt Jan-Niklas. Die Futterkosten liegen bei 12 bis 13 Cent.
Komfort in Weide & Stall
Als graues Band schlängelt sich der 700 m lange Treibweg durch die Weiden. Ein leichtläufiger Weg gehört zum Kuhkomfort dazu. Dessen Erhaltung ist aufwendig. Dieses Frühjahr war es wieder soweit, sie mussten die abgesackten Betonplatten ausheben, neu unterfüllen und verlegen. Drei bis sechs Tränken pro Weide sichern die Wasserversorgung. Schatten ist schwierig, aber die Sonne ist eine Sache, mit der die Kühe klar kommen müssen. In den Stall dürfen die Kühe nur in Ausnahmen zurück: An sehr heißen Sommertagen ab mittags und bei anhaltend nasser Witterung wird die Herde zeitweise ganz aufgestallt. Das bedeutet zwar eine Futterumstellung, aber keine extreme, da die Kühe eben auch unter Weide täglich von der Grassilage fressen. Bei viel Regen sinkt die Futteraufnahme auf der Weide zu stark und die Kühe treten viel kaputt.
Vollweide ist Arbeit!
Eine angenehmes Lüftchen weht über das Moor. „Weide ist nicht immer so schön“, sagt Georg Alter. „Das Wetter ist eins der Risiken, die wir tragen.“ Die Fütterung mit Weide so zu steuern, dass die Kühe gesund bleiben und ihre Leistung halten, erfordert viel Arbeit. Der Weidezuschlag von einem Cent pro Kilogramm Milch (inkl. GVO-frei-Bonus), den sie erhalten, kann den Mehraufwand kaum decken. Und trotzdem: Für Familie Alter gehören Kühe an ihrem Standort auf die Weide. Besonders wegen der Vorteile für die Tiergesundheit. Denn ihre Kühe geben nicht nur viel Milch, sondern werden auch alt, sodass sie sich jährlich über die Auszeichnung von ein bis fünf 100.000 Liter-Kühe freuen. K. Berkemeier