Studie: Welche Faktoren beeinflussen die Milchpreise auf Einzelhandelsebene?
Vor allem in Zeiten niedriger Erzeugerpreise wird dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) gerne vorgeworfen, Milch und Milchprodukte zu „verramschen“. Der LEH weist derartige Schuldzuweisungen regelmäßig zurück und argumentiert, dass sich die Erzeugerseite attraktiv aufstellen muss, um für ihre Milchprodukte Abnehmer zu finden. Daraus ergeben sich dann oft zusätzliche Anforderungen an die Molkereien und die...
Studie: Welche Faktoren beeinflussen die Milchpreise auf Einzelhandelsebene?
Vor allem in Zeiten niedriger Erzeugerpreise wird dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) gerne vorgeworfen, Milch und Milchprodukte zu „verramschen“. Der LEH weist derartige Schuldzuweisungen regelmäßig zurück und argumentiert, dass sich die Erzeugerseite attraktiv aufstellen muss, um für ihre Milchprodukte Abnehmer zu finden. Daraus ergeben sich dann oft zusätzliche Anforderungen an die Molkereien und die Milchkuhbetriebe, wie beispielsweise die in den letzten Jahren auf breiter Basis eingeforderte gentechnikfreie Fütterung (GVO-frei).
Fakt ist: Milch und Milcherzeugnisse sind für den Lebensmitteleinzelhandel wichtige Produkte, um Kunden in ihre Läden zu locken. Nach Einschätzung der Agrarmarkt Informations-GmbH (AMI) in Bonn übernimmt insbesondere Trinkmilch eine Rolle als „Zugpferd“ mit hoher Werbewirkung. Dabei kann die Werbung vielfältige Verbraucherwünsche aufgreifen, denn die unterschiedlichen Ansprüche an ökologische und soziale Nachhaltigkeit, Tierwohl sowie an Natürlichkeit, Frische, Geschmack und Convenience (vorgefertigte Produkte) werden im Trinkmilchbereich durch ein breites Spektrum an Produkt- und Prozessqualitäten bedient. So gibt es Milch mit unterschiedlichen Fettgehalten, laktosefreie Milch, traditionell hergestellte Frischmilch, ESL- und H-Milch, Weide-, Heu- oder Alpenmilch, gentechnikfreie Milch und Bio-Milch – um nur einige Qualitätsaspekte anzuführen.
Um weitere Unterschiede kenntlich zu machen, werden in zunehmendem Umfang auch Siegel und Marken eingesetzt. Dabei prangen auf einer Milchpackung häufig nicht nur ein, sondern mehrere Kennzeichen in Form von Gütesiegeln, Logos oder Prüfzeichen. Ob die dargestellten Kennzeichen und Produktbeschreibungen, wie z.B. „Weidemilch“, tatsächlich an objektiven Produkt- und Qualitätsstandards ansetzen, ist für Verbraucherinnen und Verbraucher oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich.
Der „Lustgewinn“ beim Kauf von Milch
Oft werden von Seiten der Milchproduzenten höhere Erzeugerpreise gefordert. Um „besser” auszahlen zu können, müssen jedoch die Molkereien zunächst versuchen, bei den Verhandlungen mit dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ihre Produkte zu höheren Preisen abzusetzen.
Sicherlich hängen die Preise, welche die Molkereien beim LEH erzielen, grundsätzlich von dem vom Weltmarkt vorgegebenen Preisniveau ab. Offen ist, ob bestimmte Eigenschaften von Trinkmilch zu einer hohen Wertschätzung auf der Konsumentenseite und damit zu einer höheren Zahlungsbereitschaft führen. Erlaubt die „Aufwertung“ der Milchprodukte den Molkereien eine bessere Positionierung? Die Effekte einzelner Produktmerkmale auf den Trinkmilchpreis lassen sich mithilfe der hedonischen Preisanalyse zeigen. Der Begriff „hedonisch“ steht in diesem Zusammenhang für „Streben nach Lust“ – wobei dieses Streben nach Lust im ökonomischen Sinne als Streben nach Nutzen verstanden werden kann. Mit der Methode wird praktisch der subjektiv zugesprochene Nutzen gemessen, der mit den verschiedenen Charakteristika von Trinkmilch einhergeht.
Datenerhebung in 46 Supermärkten
Die Datenerhebung erfolgte in 46 Einzelhandelsmärkten im Umfeld von Paderborn (Nordrhein-Westfalen). Dort wurden die Preise der in den jeweiligen Märkten angebotenen Trinkmilchsorten aus konventioneller und aus biologischer Erzeugung notiert. Insgesamt kamen auf diese Weise 339 Einzelhandelspreise von Trinkmilch zusammen, davon 268 für konventionell erzeugte Milch und 71 für Bio-Milch. Zusätzlich zum Produktpreis wurden die Kaufmodalitäten, Produkt- und Prozessqualitäten, Siegel und Prüfzeichen sowie die jeweilige Marke erfasst.
Da Bio-Produkte häufig eine andere Käuferschaft ansprechen als Produkte aus konventioneller Landwirtschaft, wurden die Effekte auf den Trinkmilchpreis getrennt für konventionell erzeugte Milch und für Bio-Milch berechnet.
Die Merkmale, die bei konventionell erzeugter Milch in die Analyse einbezogen wurden, weichen zum Teil von den analysierten Merkmalen bei Bio-Milch ab. So gab es im Zeitraum der Datenerfassung in den Einzelhandelsmärkten keine Bio-Milch im Sonderangebot und auch keine laktosefreie Bio-Milch. Auch konnte bei Bio-Milch der Weidemilcheffekt nicht vom Markeneffekt getrennt werden, da in der Stichprobe ausschließlich Bio-Milch der Marke Arla mit dem Begriff „Weidemilch“ gekennzeichnet war.
Zur Berechnung des Effektes wurden die Verbandssiegel von Demeter, Bioland und Naturland als Einflussfaktor zusammengefasst.
Starke Markeneffekte
Ergebnisse: Wie zu erwarten war, ist Trinkmilch aus konventioneller Erzeugung mit durchschnittlich 91 Cent pro Liter deutlich günstiger als Bio-Trinkmilch mit einem Durchschnittspreis von 1,11 Euro. Dabei streuen die Preise von konventioneller Trinkmilch in der Stichprobe fast doppelt so stark wie die Preise von Bio-Trinkmilch.
- Die in die Analyse einbezogenen Faktoren erklären bei konventioneller Milch zu 84 % und bei Bio-Milch zu 77 % die Unterschiede zwischen den einzelnenTrinkmilchsorten.
- Sowohl bei konventioneller Milch als auch bei Bio-Milch wirkte sich die Art der Einkaufsstätte signifikant auf den Trinkmilchpreis aus: Beide Milchqualitäten kosten im Supermarkt etwa 5 Cent mehr als im Discounter.
- Im Sonderangebot wird konventionelle Trinkmilch im Durchschnitt 16 Cent unter dem normalen Einzelhandelspreis angeboten.
- Milch mit einem Fettgehalt von mindestens 3,5% kostet etwa 10 Cent mehr als Milch mit geringerem Fettgehalt (konventionell und bio). Laktosefreie Milch (konventionell) wird etwa 30 Cent teurer angeboten als Milch mit normalem Laktosegehalt.
- Die in die Analyse einbezogenen Faktoren erklären bei konventioneller Milch zu 84 % und bei Bio-Milch zu 77 % die Unterschiede zwischen den einzelnenTrinkmilchsorten.
- Sowohl bei konventioneller Milch als auch bei Bio-Milch wirkte sich die Art der Einkaufsstätte signifikant auf den Trinkmilchpreis aus: Beide Milchqualitäten kosten im Supermarkt etwa 5 Cent mehr als im Discounter.
- Im Sonderangebot wird konventionelle Trinkmilch im Durchschnitt 16 Cent unter dem normalen Einzelhandelspreis angeboten.
- Milch mit einem Fettgehalt von mindestens 3,5% kostet etwa 10 Cent mehr als Milch mit geringerem Fettgehalt (konventionell und bio). Laktosefreie Milch (konventionell) wird etwa 30 Cent teurer angeboten als Milch mit normalem Laktosegehalt.
GVO-frei bringt keine besseren Preise
Mit diesen Ergebnissen war zu rechnen, sie decken sich mit den Einkaufserfahrungen vieler Verbraucherinnen und Verbraucher. Wie sieht es jedoch mit freiwilligen Informationen aus über Produktqualitäten, die sich nicht direkt auf ernährungsphysiologische Parameter beziehen? Hier zeigt die Analyse ein sehr differenziertes Bild. Nicht jede Zusatzinformation hat einen positiven Effekt auf den Einzelhandelspreis der Trinkmilch. Für das DLG-Prüfzeichen und das „Ohne-Gentechnik“-Siegel liegen die Koeffizienten der Regressionsanalyse lediglich im Bereich von -3 bis +2 Cent. Die Effekte sind weder für Bio-Trinkmilch noch für konventionelle Trinkmilch statistisch signifikant.
Im Klartext: Ob diese Kennzeichen verwendet werden oder nicht, spielt für den Einzelhandelspreis von Trinkmilch keine Rolle! Anders sieht es bei Nutzung von Siegeln der Bio-Verbände aus. Bei Bio-Trinkmilch führt die Verwendung der Verbandssiegel von Bioland, Demeter und Naturland im Mittel zu einem acht Cent höheren Trinkmilchpreis als für Bio-Milch nach dem gesetzlichen EU-Standard ohne zusätzliche Kennzeichnung.
Auch die Kennzeichnung als „Weidemilch“ führt zu einem höheren Einzelhandelspreis. Dieser liegt bei konventioneller Milch etwa acht Cent höher als bei Trinkmilch, die nicht als Weidemilch gekennzeichnet ist.
Warum nur manche Zusatzinformationen zu einem höheren Trinkmilchpreis führen, kann nur vermutet werden. Grundsätzlich führt ein Zuviel an Informationen häufig nicht zu einem besseren Verständnis, sondern verwirrt und überfordert Verbraucherinnen und Verbraucher.
Beim DLG-Prüfzeichen könnte es sein, dass Verbraucherinnen und Verbraucher nicht genau wissen, wofür das Label steht und es daher ignorieren – und sich deswegen auch keine höheren Preisforderungen damit durchsetzen lassen.
Das „Ohne-Gentechnik“-Siegel ist schon fast Standard – in der Stichprobe waren 81% der konventionellen Trinkmilch mit diesem Siegel gekennzeichnet – es verfehlt möglicherweise aus diesem Grund eine positive Preiswirkung. Außerdem steht bei Lebensmitteln tierischer Herkunft derzeit eher die Diskussion um mehr Tierwohl als die Verwendung von gentechnisch veränderten Futtermitteln im Vordergrund. Diese Vermutung wird zusätzlich dadurch gestützt, dass Weidemilch, die viele Verbraucherinnen und Verbraucher neben dem Natürlichkeitsaspekt auch mit mehr Tierwohl verknüpfen, zu einem höheren Preis angeboten und gekauft wird.
Der höhere Einzelhandelspreis für Bio-Trinkmilch, die mit einem Bio-Verbandssiegel (z.B. Bioland, Demeter oder Naturland) gekennzeichnet ist, zeigt das Vertrauen in diese Siegel und die damit verbundenen höheren Standards im Vergleich zu den gesetzlichen Mindestanforderungen an ökologische Lebensmittelerzeugung.
Markenprodukte 40 Cent teurer
Am auffälligsten sind jedoch die Markeneffekte. Markenmilchprodukte erzielen durchweg einen positiven Preiseffekt. So liegt bei konventioneller Milch der Preis von „Bärenmarke“-, „Weihenstephan“- und „Landliebe“- Produkten etwa 40 Cent pro Liter über dem Preis von Handelsmarken. Selbst weniger bekannte Herstellermarken, die in der Variable „andere Herstellermarken“ zusammengefasst wurden, haben gegenüber Handelsmarken einen signifikanten positiven Preiseffekt von durchschnittlich 18 Cent.
Bei Bio-Milch ist der Effekt der Herstellermarken nicht so stark ausgeprägt. Hier kann auf Basis der Datenlage nur für die Herstellermarke „Arla“ ein statistisch signifikanter Preisaufschlag von etwa 25 Cent gegenüber Bio-Handelsmarken nachgewiesen werden. Da diese Milch auch als Weidemilch gekennzeichnet war, lässt sich nicht genau sagen, ob der Effekt auf diese Bezeichnung, eine geschickte Markenführung oder auf eine Kombination von beidem zurückzuführen ist.
Grundsätzlich führt eine emotionale Aufladung von Marken eher zu einer Bereitschaft der Konsumenten, mehr Geld auszugeben, als die vorwiegend rational geprägte Positionierung von Siegeln. Bei Trinkmilch aus konventioneller Produktion/Herstellung ergeben sich für die Molkereien vor allem durch starke Markenkonzepte Möglichkeiten zur Stärkung der Positionierung ihrer Produkte (weniger durch die Verwendung von zusätzlichen Siegeln). Den Bio-Anbauverbänden scheint mit dem Aufbau ihrer Siegel der Spagat zwischen Glaubwürdigkeit, ausreichend Informationen und einer emotionaler Aufladung teilweise gelungen zu sein. Allerdings gibt es bei den Bio-Siegeln aber durchaus noch Luft nach oben, wie die positiven Preiseffekte von Marken auch bei Bio-Milch zeigen.
Bleibt festzuhalten
- Produktqualitäten, die sich auf ernährungsphysiologische Parameter beziehen, wirken sich bei konventioneller und Bio-Trinkmilch in ähnlicher Weise auf den Einzelhandelsverkaufspreis aus.33
- Produktqualitäten, die sich auf ernährungsphysiologische Parameter beziehen, wirken sich bei konventioneller und Bio-Trinkmilch in ähnlicher Weise auf den Einzelhandelsverkaufspreis aus.33
- Zusatzinformationen über bestimmte Produkt- und Prozessqualitäten beeinflussen nicht immer den Trinkmilchpreis positiv. Qualitäten mit höheren Preisen beziehen sich auf umfassende Konzepte, die mehr Tierwohl versprechen und Natürlichkeitsaspekte bedienen – insbesondere sind hier Bio- und Weidemilch zu nennen.34
- Zusatzinformationen über bestimmte Produkt- und Prozessqualitäten beeinflussen nicht immer den Trinkmilchpreis positiv. Qualitäten mit höheren Preisen beziehen sich auf umfassende Konzepte, die mehr Tierwohl versprechen und Natürlichkeitsaspekte bedienen – insbesondere sind hier Bio- und Weidemilch zu nennen.34
- Investitionen zum Aufbau einer starken Marke können sich für die Molkereien lohnen. Objektive Qualitätsstandards sollten deshalb weiterentwickelt und als Voraussetzung einer starken Markenpolitik betrachtet werden.35
- Investitionen zum Aufbau einer starken Marke können sich für die Molkereien lohnen. Objektive Qualitätsstandards sollten deshalb weiterentwickelt und als Voraussetzung einer starken Markenpolitik betrachtet werden.35
- Bei der Wahl einer Molkerei sollten Milcherzeuger darauf achten, wie erfolgreich eine Molkerei bei der Positionierung ihrer Produkte im LEH ist. -ve-36
- Bei der Wahl einer Molkerei sollten Milcherzeuger darauf achten, wie erfolgreich eine Molkerei bei der Positionierung ihrer Produkte im LEH ist. -ve-36