Nichts prägt unsere Milchkuhhaltung so sehr wie das nordamerikanische Know-how. Wir sprachen mit einigen „Wissens-Importeuren“ über das Warum und Meilensteine.
Seit 20 Jahren berichtet Elite auch über praxisrelevante Erkenntnisse aus der „Dairy Science“ Nordamerikas. Keine andere Forschung und die sich daraus ergebenden Ableitungen für die Praxis prägt die heutige Milchproduktion so tief wie sie.
Darüber haben wir mit einigen Beratern und Milchkuhhaltern gesprochen, die maßgeblich zum Transfer des fortschrittlichen Wissens aus den USA und Kanada in die Ställe hierzulande beigetragen haben und beitragen.
Warum kommen so viele Impulse aus Nordamerika?
Es ist die innovativere, praxisorientierte Forschung, die schnellere Anwendung von neuem Wissen in der Praxis und die große Offenheit der Menschen, ihr Wissen zu teilen, die die amerikanischen und kanadischen Universitäten und Milchkuhbetriebe so interessant für uns in Europa macht.
Die Forschung ist praxisrelevanter, auch wegen ihrer Finanzierung.“
Kerstin Vogt
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Seit 20 Jahren berichtet Elite auch über praxisrelevante Erkenntnisse aus der „Dairy Science“ Nordamerikas. Keine andere Forschung und die sich daraus ergebenden Ableitungen für die Praxis prägt die heutige Milchproduktion so tief wie sie.
Darüber haben wir mit einigen Beratern und Milchkuhhaltern gesprochen, die maßgeblich zum Transfer des fortschrittlichen Wissens aus den USA und Kanada in die Ställe hierzulande beigetragen haben und beitragen.
Warum kommen so viele Impulse aus Nordamerika?
Es ist die innovativere, praxisorientierte Forschung, die schnellere Anwendung von neuem Wissen in der Praxis und die große Offenheit der Menschen, ihr Wissen zu teilen, die die amerikanischen und kanadischen Universitäten und Milchkuhbetriebe so interessant für uns in Europa macht.
Die Forschung ist praxisrelevanter, auch wegen ihrer Finanzierung.“
Kerstin Vogt
„Dass die Forschung praxisrelevanter ist als hier, liegt auch daran, dass Versuche mit viel größeren Tierzahlen möglich und mehr finanzielle Mittel verfügbar sind. Die Agrarindustrie investiert viel in Universitätsversuche“, erklärt Kerstin Vogt von der AHRHOFF GmbH. Das Fütterungsunternehmen „importiert“ seit der Gründung 1996 Wissen durch die Beratung und das Angebot von Fachexkursionen für Landwirte und zur Fortbildung ihrer Mitarbeiter.
Kerstin Vogt
AHRHOFF GmbH
Hinzu kommt, dass sich die Wissenschaftler selbst Gedanken dazu machen, wie das Wissen in die Milchkuhbetriebe am besten eingebracht werden kann.
Der Strukturwandel ist groß. Betriebe, die bleiben wollen, streben nach Fortschritt.“
Sibylle Möcklinghoff-Wicke
Der Milchmarkt in den USA ist kaum reglementiert. Für die Farmer ist es essentiell sehr effizient zu arbeiten, dementsprechend sind in den Topbetrieben u.a. die Melkprozesse genau strukturiert und kontrolliert.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
Das Bestreben der meisten Milchfarmen, neue Erkenntnisse zügig aufzugreifen, ist dem mit geschuldet, dass sie in einem kaum reglementierten Markt mit hoher Preisvolatilität arbeiten. „Nicht nur der Pioniergeist der amerikanischen Landwirte ist groß, auch der Strukturwandel“, sagt Sibylle Möcklinghoff-Wicke. Sie hat in den 80er-Jahren auf kanadischen Betrieben gearbeitet und war seit 2002 öfter für das Innovationsteam Milch Hessen in den USA unterwegs. „Für die Farmer ist es essenziell, ihre Wirtschaftlichkeit genau im Blick zu behalten. Strategisches Wachsen, ein striktes Management von Mensch und Tier und hohe Milchleistungen sind die notwendige Konsequenz.“
Sibylle Möcklinghoff-Wicke
Innovationsteam Milch Hessen
Fütterung: Meilensteine TMR und CNCPS
„Es war ein Feuerwerk an Informationen, als ich 1993 zum Studium an die Cornell Universität kam“, erzählt Christiane Brandes, Inhaberin vom gleichnamigen Innovationsteam und Rock River Laboratory. „Alles was ich bis dahin über Rinderfütterung gelernt hatte, war auf einen Schlag überholt. TMR etwa hatte man damals in Deutschland mit „das wird sich nicht durchsetzen“ abgehandelt!“
Christiane Brandes
Innovationsteam Christiane Brandes und Rock River Laboratory
Die TMR- Fütterung und Futtertischmanagementpraktiken kamen also Anfang der 90er-Jahre allmählich aus den USA zu uns. Dass die totale Mischration heute selbstverständlich auf dem Futtertisch fast aller Milcherzeuger liegt, zeigt beispielhaft, wie groß der Einfluss aus den USA für die Milcherzeugung weltweit ist.
TMR und Futtertischmanagement – was wir heute hierzu wissen, fußt zu großen Teilen auf Forschung aus den USA und Kanada.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
Die Cornell Universität ist für Christiane Brandes, die über siebzig Mal in den USA war, die ‚Keimzelle der modernen Fütterung‘. Hier wurden nicht nur die TMR und das Futtertischmanagement ausgefeilt, sondern das Verfahren CNCPS durch Prof. Mike Van Amburgh geboren. Die Fütterung nach CNCPS ist aus ihrer Sicht ein nächster Meilenstein für die europäischen Milcherzeuger: „In ein paar Jahren werden wir dank der dynamischen Fütterung mit Verdaulichkeitsparametern mit dem gleichen Grundfutter einfach besser füttern können.“
Schon Anfang der 90er-Jahre wurde viel Wert auf Messen, Wiegen und Kontrolle gelegt.“
Christiane Brandes
Besonders beeindruckend ist für Christiane Brandes auch, dass in den nordamerikanischen Betrieben jeder Bereich im Management einer klaren Kosten-Nutzenstrategie unterliegt. So sah sie schon Anfang der 90er-Jahre, dass sehr viel Wert auf Messen, Wiegen und Kontrolle u.a. in der Fütterung gelegt wurde.
Meine persönliche Intention Wissen aus den USA zu transferieren ist ‚Mehr Milch aus gesunden Kühen‘!“
Dr. Georg Eller
Tierarzt Dr. Georg Eller, Mitgründer der Rinderspezialberatungs-Firma HCS Herdenmanagement Consulting und Service GmbH, findet es aktuell am spannendsten die Forschung zu „energy partitioning“ zu beobachten. Sprich, welche metabolischen Prozesse in der Kuh Energie verbrauchen, z. B. das Immunsystem und die Methansynthese, und somit die Leistung der Kuh und die Effizienz der Fütterung beeinflussen. „Tiergesundheit bedeutet eben nicht nur ein Wohl für die Kühe, sondern auch für den Landwirt“, findet er. Er bildet sich seit 1996 zwei bis dreimal pro Jahr in den Staaten fort und sieht, dass die Hochschulen dort weiterhin vielen anderen Ländern voraus sind.
Georg Eller
HCS Herdenmanagement Consulting und Service GmbH
Auch in der Fütterung der Trockensteher und Transitkühe kamen und kommen viele Impulse aus Nordamerika. Ansätze erwiesen sich jedoch gerade in diesem Bereich je nach Betriebsstruktur als schwer umsetzbar bzw. langfristig etablierbar. So etwa die Goldielocks-Ration, mit hohe Anteilen an Maissilage, Weizenstroh bzw. Luzernesilage/-heu, entwickelt an der Universität Illinois. Hier scheitert eine Nachahmung bzw. 1:1-Übertragung hierzulande schlicht überwiegend an der vorhandenen Futtergrundlage.
Meilenstein Cow Comfort
Keep it simpel – mit einfachen Mitteln für die Kühe optimale Haltungsbedingungen schaffen, auch hier sind die Nordamerikaner Vorbild.
(Bildquelle: Berkemeier, Landwirtschaftsverlag GmbH)
Licht, Luft, Platz! Wenn die ‚Keimzelle für moderne Fütterung‘ die Universität Cornell ist, sind jene für Kuhkomfort die Universitäten Wisconsin-Madison und British Columbia. „Ein erheblicher Teil der Ende der 90er-Jahre in Deutschland verzeichneten Leistungssteigerungen ist auf das aus den USA übermittelte Verständnis über Kuhkomfort zurückzuführen“, erzählt Johannes Thomsen, ehemaliger Referent für Rinderhaltung an der LWK Schleswig-Holstein. „Das Rausnehmen der Außenwände war einer der ersten Schritte, der hierzulande an den bestehenden Ställen vorgenommen wurde.“
Interessant waren die simplen, aber für die Kühe komfortablen Stallbauten ohne teure Extras.“
Johannes Thomsen
Johannes Thomsen
Auch im Bereich der Bauweise und Organisation der Kälberställe sind Ställe aus Nordamerika Vorbild für uns.
(Bildquelle: Berkemeier, Landwirtschaftsverlag GmbH)
Neben Ideen, die viele Milchkuhhalter im heimischen Stall umsetzen konnten, ging es schnell darum, eine neue Generation Kuhställe nach amerikanischem Vorbild zu bauen. Hier leisteten Beratungsunternehmen im großen Stil Transfer-Arbeit. Es galt, die Ideen aus den Staaten an die hiesigen Gegebenheiten und Bauauflagen anzupassen. Letztlich wurden neue Standards geschaffen.
In den über fünfundzwanzig Jahren Stallbauplanung im InnovationsTeam Christiane Brandes haben allein wir über 100.000 modernste Kuhplätze geschaffen.“
Christiane Brandes
Animal Welfare und „Nicht kopieren, sondern kapieren“
Nicht alles lässt sich 1:1 übertragen: Sandboxen haben sich aus organisatorischen Gründen nicht in Europa durchgesetzt. Dennoch, auch mit alternativer Einstreu lässt sich der hohe Komfort in Maße und Bauweise der Liegeboxen für die Kühe hierzulande übertragen.
(Bildquelle: Berkemeier, Landwirtschaftsverlag GmbH)
„Leitsätze wie ‚Let a cow be a cow‘ oder ‚There are no such things as cow problems. There are only people problems!‘, die auf amerikanischen Betrieben gelebt werden, haben mir geholfen, viele Dinge in der Milchkuhhaltung zu überdenken“, erzählt Matthias Deisting aus dem Global Dairy Solution Team von World Wide Sires.
Ihn begeistert es immer wieder, wie viele nordamerikanische Betriebe das ‚Animal Welfare‘ in ihrem Produktionsalltag integrieren und leben. „Beim Tierschutz sehe ich viele Betriebe weiter als in Europa. Den Mitarbeitern drohen heftige Strafen bis zur Kündigung , wenn Tierschutzvorgeben nicht eingehalten werden“, berichtet er.
Beim Tierschutz sehe ich viele Betriebe weiter als in Europa.“
Matthias Deisting
WWS hat in Washington ein Trainingszentrum Herdenmanagement, an dem sie für ihre Kurse mit Praxisbetrieben mit 800 bis 32.000 Kühen zusammenarbeiten. Die Teilnehmer beeindruckt immer die Gesundheit der Tiere und wie diese überwacht wird. Außerdem die intensive Arbeit mit Datenauswertungen aus den Herdenmanagementprogrammen und ökonomischen Kennzahlen sowie die klaren Arbeitsstrukturen, die auf jedem Betrieb vorhanden sind, zählt Deisting auf. „Zwei Meilensteine sind für mich der Aufbau von Arbeitsstrukturen samt SOPs und die Einführung des IOFC Income over feed costs.“
Matthias Deisting
Global Dairy Solution Team, World Wide Sires
Sibylle Möcklinghoff-Wicke zitiert hierzu passend einen Spruch, der die Studienreise von Dr. Gustav Wilke geprägt hat: „Nicht kopieren, sondern kapieren“ und führt aus: „Erfolgreiche Betriebsleiter haben verstanden, dass die Kuh und ihre Ansprüche im Fokus stehen muss. Und, dass wachsende Milchkuhbetriebe eine andere Form von Arbeitsorganisation und Management brauchen.“
Erfolgreiche Betriebsleiter haben verstanden, dass die Kuh und ihre Ansprüche im Fokus stehen muss.“
Sibylle Möcklinghoff-Wicke
Und es ist eben nicht alles 1 : 1 übertragbar. So haben sich Tiefboxen durchgesetzt, aber eben ohne Sand. Auch sind unsere Futtermittel einfach anders als in den USA. Und dennoch, aus jedem Ansatz lässt sich etwas mitnehmen. „Wir müssen immer auch selbst nachdenken und die Inhalte eben auf unsere Verhältnisse modifizieren“, sagt Dr. Georg Eller.
Wissen aus erster Hand – Milcherzeuger sammeln ihre eigenen Erfahrungen in Nordamerika
Der Wille, Herde und Betrieb voranzubringen, motiviert seit Jahrzehnten auch Milchkuhhalter selbst zu Aufenthalten in Nordamerika.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
So etwa Thomas Bißmeyer, der 1999 bis 2000 unter der Betreuung des heute verstorbenen Dr. Gustav Wilke den Short Course an der Universität Wisconsin-Madison absolvierte und in Herden mit bis zu 1.500 Kühen arbeitete. „Vor allem die Fütterung meiner Kühe ist bis heute von den USA geprägt“, erklärt der Milcherzeuger mit 120 Kühen aus Niedersachsen. „Doch nicht nur das Wissen, auch die gewonnenen Sprachkenntnisse helfen mir, etwa bei internationalen Zuchtviehverkäufen.“
Der ganz große Meilenstein war damals Licht und Luft. Selbst in Wisconsin wurden die Courtains erst geschlossen, als der Stall drohte einzufrieren.“
Thomas Bißmeyer
Thomas Bißmeyer
Dr. Gustav Wilke, der von 1957 bis 1994 für die Osnabrücker Herdbuch eG tätig war, hat nicht nur die Holsteinzucht durch seine Kenntnisse und Kontakte aus den USA vorangetrieben, er hat vielen Menschen dazu verholfen, eigene Erfahrungen zu sammeln. Im Rahmen der Dr. Gustav Wilke-Stiftung, die Auslandsaufenthalte von Jungzüchtern fördert, tut er dies noch über seinen Tod hinaus. Johannes Thomsen, der gemeinsam mit Wilke von 1995 bis 2020 Studienreisen nach Wisconsin organisiert hat, berichtet, dass über 600 Landwirte, Berater und Tierärzte an diesen teilgenommen haben. Neben Vorträgen an der Uni Wisconsin wurden Betriebe wie Rosendale Dairy und Larson Acres besucht.
Unter anderem in der Ausführung ihres Melkzentrums sowie in der Melkarbeit selbst, orientiert/e sich Familie Sedlmair (Bayern) an amerikanischen Beispielen.
(Bildquelle: Landwirtschaftsverlag GmbH)
Die Erfahrungen von Simon Sedlmair aus zwei Studienreisen in die USA und drei Monaten Arbeit auf einer Milchfarm in Denver prägen das Herdenmanagement und die modernen Stallungen im Familienbetrieb mit 300 hochleistenden Fleckvieh-Kühen in Bayern. „Eingebrachte Meilensteine sehe ich bei uns vor allem in der Fütterung, der Melkarbeit und im Management der Gruppen“, berichtet er.
Ob Stallbau, Fütterung oder Management in allen Bereichen konnte ich etwas für unseren Betrieb mitnehmen.“
Simon Sedlmair
Simon Sedlmair
In manchen Milchkuhbetrieben bringt bereits die dritte Generation Know-how aus den USA ein. So auch Jan Brokering von der Brokering Milch KG (900 Kühe, Niedersachsen). Neben Praktika sammelt er 2017 in der AltaU-Dairy Manager School Wissen und Kontakte. „Das meiste von unserem Wissen basiert auf dem direkten oder indirekten Austausch mit der nordamerikanischen Wissenschaft“, zieht er ein Fazit. So plante sein Vater 2010 ihren Special Needs-Stall direkt mit Prof. David Kammel von der Universität Wisconsin.
Ich habe viel im unternehmerischen Denken gelernt. Über die entscheidenden Kriterien einer wirtschaftlichen Milchproduktion.“
Jan Brokering
Jan Brokering
Ihre Fütterungsstrategien sowie das Repromanagement passen sie seit Jahren an den nordamerikanischen Empfehlungsstand an. „Wissen wird immer wieder überholt. Ich habe gelernt, dass nur durch eine ständige Bereitschaft und Suche nach neuem Wissen und dessen Implementierung im Betrieb Weiterentwicklung stattfindet“, erklärt der Milcherzeuger.