ZDFzoom: Mogelpackung Almidylle?

ZDF stellt moderne Produktionsverfahren und Molkereiindustrie an den Pranger!

Satte Almwiesen, glückliche Kühe und Natur pur – so stellt man sich beim ZDF die moderne Milchproduktion vor. Doch oh Schreck, die Realität sieht ja ganz anders aus: Auf Höchstleistungen programmierte Kühe, gigantische Molkereikonzerne, die im Ausland Milch zukaufen und qualitativ minderwertige Milch verramschen. Ein kritischer Kommentar zu der in dieser Woche ausgestrahlten TV-Sendung "ZDFzoom: Mogelpackung Almidylle?"

„Satte Almwiesen, glückliche Kühe und Natur pur: Auf den Verpackungen von Milch, Joghurt und Quark wird mit landwirtschaftlicher Idylle geworben. Doch statt Gras fressen Kühe heute häufig Kraftfutter, statt vom Bergbauernhof um die Ecke, kommen die Zutaten für manches Produkt aus dem Ausland. Und: Es steckt so einiges an Zusatzstoff und High Tech in den vermeintlich natürlichen Produkten.“ Die Ankündigung der 30-minütigen Reportage, die am Mittwoch, den 17. Juli 2013 am Abend im ZDF ausgestrahlt wurde, hat mich neugierig gemacht. Schließlich beschäftigen wir uns in der Elite-Redaktion auch mit diesem Thema, haben wir es doch unlängst erst zur Diskussion gestellt (Heft 4/2013).
Hier können Sie sich die ZDF-Reportage ansehen

Big Player bestimmen das Geschäft

„Glückliche Kühe auf einer grünen Weide, frisches Gras, würzige Kräuter, so stellen wir uns Milcherzeugung eigentlich vor“, erklärt die ZDF- Autorin Katarina Schickling gleich zu Beginn. Aber natürlich sei dem nicht so, fügt sie gleich kritisch hinzu. Von der landwirtschaftlichen Idylle sei nur wenig übrig geblieben. Gab es in den 50er Jahren noch über 3.000 Molkereien, sind es heute weniger als 100. Innerhalb weniger Jahre ist aus der traditionell mittelständischen Molkereiwirtschaft ein von Großkonzernen beherrschter Markt geworden, erfahren wir. Big Player wie Hochwald oder die Müller-Gruppe bestimmten das Geschäft. Aha, der Grundtenor der Reportage scheint klar. Doch plötzlich kommen die Milchbauern ins Spiel. „Sie können sich gegen das Preisdiktat von Molkereien beziehungsweise Supermarktketten nur mit immer weiter gehender Rationalisierung und Automatisierung behaupten, heißt es. Ola, sollte ich mich getäuscht haben? Setzt sich im TV endlich mal eine Autorin kritisch mit dem Milchmarkt und dem damit verbundenen Kostendruck auseinandersetzt, der auf den Milchbauern lastet? Schnell muss ich erkennen, dass dem leider nicht so ist. Denn schon nach ein paar Sekunden wird als leuchtendes Vorbild ein Bio-Direktvermarkter präsentiert, der seine Milch für einen Euro pro Liter verkauft (es sei ihm gegönnt!). Der gelernte Molkereifachmann erklärt uns natürlich auch, dass herkömmliche Milch aus der Großmolkerei etwas gänzlich anderes sei, nicht zu vergleichen mit der Biomilch von grasenden, glücklichen Kühen (natürlich wird der Inhalt der Botschaft mit schönen Bildern von Fleckviehkühen auf der grünen Weide weiter verstärkt).

"Kühe würden auf der Weide verhungern"

In der folgenden Szene erklärt uns ein seriös anmutender graumelierter Herr (Ernährungsphysiologe Professor Jahreis von der Universität Jena, wie sich später herausstellt), dass auf Höchstleistungen getrimmte Kühe Milch geringerer Qualität erzeugen. Sein Hinweis, dass die Qualität letztlich niemanden interessiere, sehe ich als Vorwurf an die Milcherzeuger gerichtet  – oder täusche ich mich und der Herr Professor meint die Verbraucher?
Auch wenn die ZDF-Autorin nicht gleich den Milcherzeugern den Schwarzen Peter zuschiebt (sie lässt immerhin einen bayerischen Landwirt zu Wort kommen „... sein Alltag ist ein stetiges Ringen mit dem Preisdruck“, auch ist zu hören, dass die meisten Deutschen nicht viel für Milchprodukte bezahlen wollen. „Milch und Joghurt müssen günstig sein und werden im Supermarkt häufig zu Kampfpreisen verkauft“), empfinde ich die komplette Reportage als einseitig eingefärbt, wird doch die gesamte Milchbranche als „kommerziell“ eingestuft.
Wahrscheinlich liegt es aber auch an der erschreckenden Ahnungslosigkeit der ZDF-Autorin, dass über die gesamte Reportage dieses „Geschmäckle“ über bleibt. So ist sie beispielsweise geradezu bestürzt, ob der Milchleistungssteigerung der modernen Milchkuh ( “ ... war es 1950 noch 1.818 l, so ist es heute mit 6.341 l das Dreifache“ oder der Verweis, dass 3.000 l Milch in nur vier Minuten vom Sammeltankwagen eingesaugt werden „... mehr Zeit bleibt nicht“).
Ok, derartige Beobachtungen nicht richtig einordnen zu können, das mag man einer fachfremden Journalistin noch nachsehen, doch die Schlussfolgerungen die sie aus dem Einsatz von Kraftfutter zieht, sind vollkommen aus der Luft gegriffen, geradezu haarsträubend: „In freier Natur fressen die Kühe nur Gras, .... eine Hochleistungskuh würde auf einer Wiese glatt verhungern.“ Wenn dies so wäre, liebe Frau Schickling, dann müssten in vielen Teilen der Welt, nämlich überall dort, wo saisonale Weidehaltung vorherrscht, tote Kühe herumliegen – genetisch unterscheiden sich die modernen Milchkühe nur minimal. Mit solchen Unwahrheiten hier wird dem TV-Zuschauer das Bild einer genetisch zusammengeschraubten Turbokuh präsentiert, deren Milch ja letztlich nicht gesund sein kann.

Die seltsamen Schlussfolgerungen eines Wissenschaftlers

Natürlich wurde denn auch untersucht, wie sich die Milch verändert, „wenn Kühe mit Kraftfutter zu Höchstleistungen getrieben werden. Eingangs bereits erwähnter Ernährungsphysiologe Professor Gerhard Jahreis weiß zu berichten, dass die auf Leistung getrimmten Kühe wie Schweine gefüttert werden, nicht mit Gras, Heu oder Raufutter und schon gar nicht wiederkäuergerecht.
Hallo? Ein Ernährungsphysiologe, der einen derartigen Unsinn von sich gibt, so etwas habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Wie kann eine Kuh 10.000 l Milch geben, wenn sie nicht wiederkäuergerecht gefüttert wird? Hier gleitet der TV-Beitrag wirklich ab. Kühe werden wie Schweine gefüttert! Ja klar doch Herr Professor .... nur gut, dass Sie die Folgen der Schweinefütterung im Labor nachweisen können, indem Sie die Qualität der Milch auf das
Milchtüten

(Bildquelle: Elite Magazin)

Vorhandensein von Omega-3-Fettsäuren reduzieren. Diese sind natürlich nur bei Weidegang in der Milch wiederzufinden. Mal abgesehen, dass sich auch bei Silagefütterung Omega-3-Fettsäuren in der Milch finden lassen (zugegebenermaßen etwas weniger), ist es doch erstaunlich, die Qualitätsdiskussion ausschließlich auf diesen Effekt reduziert wird (das war doch bestimmt keine Absicht, liebes ZDFzoom-Redaktionsteam, oder?).
Etwas seltsam ist zudem, dass der Herr Professor immer wieder zwischen Silage- und Grasfütterung unterscheidet. Es scheint, als seien Silage (schlecht) und Gras (gut) komplett unterschiedliche Futtermittel. Spätestens an dieser Stelle frage ich mich, ob wir Milch nur noch auf Standorten produzieren dürfen, die eine ganzjährige Weidehaltung ermöglichen? Wenn dies so sein soll, wollen Sie dann im Herbst und Winter auf Ihre Milch im Kaffee oder im Müsli verzichten, werte Frau Schickling, werter Herr Professor Jahreis? Selbst die von Ihnen am Ende der Reportage als qualitativ hochwertig ausgezeichnete Milch der Molkerei Berchtesgardener Land wird nicht ganzjährig von Kühen ermolken, die ausschließlich frisches grünes Gras zu fressen bekommen. Im Berchtesgadener Land können Kühe maximal fünf bis sechs Monate im Jahr weiden – den Rest des Jahres müssen die Kühe mit Konserven (Silagen !!) und Kraftfutter gefüttert werden (ja auch dort, in den Bergen wird Kraftfutter eingesetzt).

Das alte Problem mit der Alpenmilch

Alpenmilch

(Bildquelle: Elite Magazin)

Kritisch wird in der TV-Reportage zudem angemerkt, dass weder die Weihenstephaner Alpenmilch noch die Bärenmarke von Kühen stammt, die in den Alpen weiden. Der Vorwurf ist legitim. Als leuchtendes Vorbild wird in diesem Zusammenhang die Molkerei Berchtesgardener Land präsentiert. Allerdings wird nicht überprüft, ob hier auch tatsächlich auch alle Kühe im Berggebiet anzutreffen sind. Auf der Website der Molkerei findet sich nur folgender Hinweis: „Unsere Bergbauern-Milch stammt ausschließlich von den Bergbauern aus den angrenzenden Grünlandgebieten der Alpenregion. Es sind kleine Familienbetriebe, die bereits seit Generationen entlang des Grünlandgürtels unserer Alpen Landwirtschaft betreiben.“

Die guten Biobauern, die bösen Molkereikonzerne

Wie so oft in solchen Reportagen, werden die „guten“ Bio-Bergbauern den „bösen“ Molkereikonzernen gegenübergestellt. Autorin Katarina Schickling verweist denn auch mehrere Male, dass von der landwirtschaftlichen Idylle vergangener Tage nur wenig übrig geblieben ist (idyllisch war diese Zeit ja wohl nur für diejenigen, die nicht täglich im Stall anpacken mussten). In der Molkereiwirtschaft bestimmen Big Player wie Hochwald oder die Müller-Gruppe das Geschäft – und so kann natürlich nichts Gutes bei herauskommen: Der Molkerei Müller wird z.B. ankreidet, dass der Produktionsstandort Leppersdorf in Sachsen liegt. Ein bayerisches Unternehmen sollte doch bitte in Bayern produzieren oder wie ist sonst die Verwirrung der Journalistin darüber zu verstehen, dass der Müller-Joghurt in Sachsen produziert wird? Und dass die Molkerei Weihenstephan zur Müllergruppe gehört, scheint auch unheimlich (verwerflich). So wird kritisiert, dass kein Hinweis dazu auf der Verpackung oder im Internet auf der Website der Molkerei Weihenstephan aufgelistet ist. Hier habe ich mich gefragt, ob auf jedem Audi oder Porsche unbedingt auch das VW-Logo prangen muss? Und warum hat die Autorin nicht über die Qualitätsmilchprogramme der (größeren) Molkereien im Westen und Norden berichtet, die eine Weidehaltung der Kühe vorschreiben und dies auch honorieren (z.B. FrieslandCampina mit der Landliebe)?

Oh Schreck, in Polen wird Milch zugekauft!

Chart

(Bildquelle: Elite Magazin)

Vor den Toren der Molkerei Weihenstephan bemerkte die Autorin dann – oh Schreck – auch noch einen Milchlaster aus Polen. Nach intensiver Recherche (u.a. in Polen) kommt sie zu dem Schluss, dass in Europa viel Milch unterwegs ist. Sogleich wird denn auch eine Grafik mit den Milchmengen eingeblendet, die nach Deutschland aus Tschechien, Österreich, Belgien und Polen (auch die vom ZDF-Team gekürte „Vorzeigemolkerei“ aus den Alpen bezieht Milch aus Österreich) geliefert wird. Zusammen sind das laut dem ZDF 1,2 Mio. t Milch, das entspricht einem 4 %igen Anteil an der gesamt von deutschen Molkereien erarbeiteten Milchmenge. Aber nichtsdestotrotz resümiert die Reporterin, dass „wir Kunden keine Chance haben, herauszufinden, wann wir einheimische oder wann wir polnische Milch trinken“. Ich unterstelle hier einfach Frau Schickling mal, dass sie Milch nicht aus Polen nicht per se nicht als qualitativ minderwertiger betrachtet, sondern sich ausschließlich auf den Wunsch vieler Verbraucher bezieht, regional erzeugte Lebensmittel konsumieren zu können.

Warum schwiegen die Molkereien?

Was bleibt nach dem Konsum einer solchen Reportage hängen? Drei Gedanken:
1. Die öffentlich rechtliche Presse beäugt die moderne Tierhaltung äußerst kritisch. Auch wenn, das muss ich der Autorin dann doch zugute halten, hier das mittlerweile in den Publikumsmedien doch sehr angesagte Bashing unterblieben ist (Massentierhaltung, Agrarindustrie), drängt sich mir der Verdacht auf, dass die zunehmend einseitige Berichterstattung dem Mainstream geschuldet ist, moderne Tierproduktionsverfahren per se als nachteilig für Mensch, Tier und Umwelt in eine Schmuddelecke zu drängen.
2. Aufklärung ist dringend erforderlich: Die meisten Verbraucher und auch (Medienvertreter) kennen anscheinend selbst die grundlegenden Zusammenhänge der Milch- und Lebensmittelproduktion nicht mehr.
3. Es wird höchste Zeit, dass die deutschen Molkereien die Wünsche der  Verbraucher nach mehr Transparenz in der Produktion ernst nehmen und das Thema Herkunftsbezeichnung sowie die Einführung weiterer Qualitätsprogramme offensiv angehen (siehe auch Elite Ausgabe 4/13, Seite 3: Keine Idylle vorgaukeln und Seite 12: Zurück ins Grüne).
Überhaupt nicht nachvollziehen kann ich, dass sich anscheinend weder ein Vertreter eines Molkereiunternehmens noch der Milchindustriebverband getraut hat, der ZDF-Autorin Rede und Antwort zu stehen (beim MIV in Berlin hätte man eigentlich von der Ausstrahlung der Reportage wissen müssen und im Vorfeld das Gespräch mit dem Redaktionsteam suchen müssen!).
Gregor Veauthier