Kälberaufzucht

Woran scheitert die ad-libitum-Tränke?

Kälbern ad-libitum zu füttern, fördert Tageszunahmen und Gesundheit. Trotzdem gibt es oft Bedenken und einige Fehlerquellen. Hier finden Sie wichtige Tipps.

Die Bedeutung der Kälberaufzucht wird Milchkuhhaltern immer bewusster, deshalb liegt auch die ad-libitum-Tränke im Trend. In vielen Untersuchungen zeigten sich Vorteile in der Entwicklung, Gesundheit und Leistungsfähigkeit, wenn Kälber unbegrenzt (ad libitum) mit Milch versorgt wurden.

Dennoch traut sich nicht jeder Milchkuhhalter an dieses Tränkesystem. Häufig kommt es auch vor, dass Landwirte das System testen und doch wieder zurück zur restriktiven Tränke kommen.

Unbewusst falsches Handeln, z.B. bei Durchfall, ist oft die Ursache, dass die ad-libitum-Tränke scheitert. Hier finden Sie wichtige Tipps zur Durchführung sowie typische Fehlerquellen, die Sie verhindern sollten.

So funktioniert das Tränkeverfahren

Das System: In den ersten drei Lebenswochen bekommt das Kalb leicht angesäuerte Milch zur freien Aufnahme (ad libitum). Mit Beginn der vierten Lebenswoche wird das Kalb dann auf nur noch zwei Milchportionen umgestellt, die Milchmenge langsam aber kontinuierlich reduziert. Ziel ist, dass die Kälber die Milchmenge langsam und selbstständig an ihre sich ändernden Bedürfnisse anpassen, ohne dass sie Durchfall bekommen. Damit kommt es dem artgerechten Tränkeverhalten der Kälber sehr nahe.

1. Kolostrumversorgung: Hier gilt wie bei jedem Tränkeverfahren: So früh wie möglich, so viel wie möglich! In dieser ersten Phase ist es wichtig, das Kalb an das Saufen am Nuckel anzulernen. Zwischen den Mahlzeiten muss der Nuckeleimer mit Milch bzw. Kolostrum an der Kälberbox hängenbleiben, so merkt das Kalb von Anfang an, dass immer Milch vorhanden ist. Sobald das Kalb das selbstständige Nuckeln erlernt hat, reicht es, den gut gefüllten Nuckeleimer an die Box zu hängen und das Kalb zu kontrollieren. Ab jetzt bedient sich das Kalb selbst.

2. Milchversorgung: Zweimal am Tag werden die Nuckeleimer gefüllt. Dabei wird einmal die Restmenge verworfen und die Eimer heiß gereinigt (das ist die einzige Phase, in der das Kalb keine Milch vor der Nase hat!). Beim zweiten Mal werden die Eimer lediglich aufgefüllt. Bei größeren Kälbern, denen 16 Liter Milch nicht genügen, muss ein weiteres Mal nachgefüllt werden. Die Milch muss immer gleich stark angesäuert sein. Die Nuckeleimer sollten mit einem Deckel ausgestattet werden, um eine Verunreinigung der Milch zu verhindern. Richtige und regelmäßig ausgewechselte Nuckel sorgen dafür, dass die Kälber möglichst langsam trinken.

3. Ansäuern: Das Ansäuern der Milch auf einen pH-Wert von 5,5 verhindert eine Verschlechterung der Milchqualität im Tagesverlauf. Außerdem wird die Milch besser verdaut und kann auch kalt getrunken werden. Das Ansäuern kann einmal täglich im Vorrat erfolgen, die angesäuerte Milch kann dann bis zum nächsten Auffüllen abgedeckt aufbewahrt werden. Kolostrum sollte unangesäuert angeboten werden, manche Kälber mögen die angesäuerte Milch nicht. Ab dem zweiten Lebenstag wird schrittweise mit der Ansäuerung der Biestmilch begonnen, damit die Kälber über ca. zwei Tage langsam an die Ansäuerung gewöhnt werden. Wichtig ist, kalte Milch (15 °C) zu verwenden. Mit dem Tränken warmer Milch wird ein verstärktes hastiges Saufen provoziert.

4. Überwachen von Tränkeaufnahme und Gesundheit: Ad-libitum-getränkte Kälber haben keinen Heißhunger. Sie bleiben deshalb häufig beim Auffüllen der Nuckeleimer liegen, weil sie satt und zufrieden sind. Die Betreuungsperson muss lernen, ein krankes Kalb frühzeitig zu entdecken, z.B. ist ein zusätzlicher Kontrollgang sinnvoll. Zudem kann notiert werden, wie viel Milch bei jedem Kalb aufgefüllt bzw. weggeschüttet wurde. So fällt schnell auf, wenn ein Kalb weniger Appetit hat als üblich. Saufen die Kälber im Alter von drei Wochen weniger als acht Liter täglich, muss der Säuregehalt der Milch überprüft werden. Auch trotz korrektem pH-Wert von 5,5 können Kälber die Milch als zu sauer empfinden. In diesem Fall sollte weniger Säure dosiert werden.

5. Wasser, Kraftfutter und Heu: Da ad-libitum getränkte Kälber fit und „unternehmungslustig“ sind, lohnt es sich, sowohl Wasser, Heu als auch Kraftfutter ab den ersten Lebenstagen anzubieten. Wasser muss spätestens ab dem zweiten und Heu ab dem 15. Lebenstag angeboten werden.

6. Übergang zur Gruppenhaltung: Am 22. Tag wird das Milchangebot auf zwei (besser drei) Portionen beschränkt, um die Festfutteraufnahme zu fördern. Die Menge wird um ca. zwei Liter reduziert und richtet sich nach der zuvor aufgenommenen Milchmenge. Wenn die Eimer leer sind, werden sie entfernt. Die Milchmenge sollte nicht pauschal auf z. B. acht Liter pro Tag reduziert werden. So schnell kann sich das Kalb nicht umstellen.

Nach jeder Mahlzeit sollte das Kalb Heu und Kraftfutter „vor der Nase“ haben, da der Appetit in dieser Phase am größten ist. Sobald die Kälber an die portionierte Tränke gewöhnt sind, können sie in die Gruppenbucht umgestallt werden. Direkt nach dem Tränken haben sie den höchsten Saugdrang. Festfutter kann helfen, diesen zu überwinden und gegenseitiges Besaugen zu reduzieren.

Typische Fehlerquellen ausschalten

Beim Umstieg von restriktiver bzw. portionierter Tränke auf ad-libitum-Tränke sollten folgende Punkte beachtet werden, um Fehler und entsprechend negative Folgen zu vermeiden:

 

  • Umstellung: Eine Umstellung von erst restriktiver Fütterung auf ad-libitum-Fütterung ist zu unterlassen, da es zu fütterungsbedingten Durchfällen kommt. Grundsätzlich sollte nicht zwischen ad libitum" und portioniert" gewechselt werden (Abtränken als Ausnahme). Heißt: In der betrieblichen Umstellungsphase muss zeitweise zweigleisig" getränkt werden: Kälber, die noch restriktiv angelernt wurden, müssen auch so weiter getränkt werden und alle Neugeborenen werden direkt auf die ad-libitum-Tränke angelernt.
  • Konstant: Das Tränken muss sehr konstant ablaufen, die Milch muss immer gleich sauer und hygienisch einwandfrei sein und einen gleichmäßigen Eiweißgehalt aufweisen. Das Kalb muss immer, zu jeder Zeit, Milch aufnehmen können, der Tränkeeimer darf nie leer sein.
  • Wasser: Den Kälbern sollte immer auch Wasser zur freien Verfügung stehen. Dabei ist wichtig, dass das Wasser nicht auch über einen Nuckel, sondern aus einer Schale bzw. einem Becken aufgenommen wird.
  • Tierbeoachtung: Die Tierbeobachtung erfordert mehr Aufmerksamkeit, da die Kälber nicht hungrig sind und damit auch nicht sofort aufstehen, wenn die Nuckeleimer neu aufgefüllt werden.
  • Durchfall: Generell darf die Milch nicht abgesetzt werden, sondern muss weiter angeboten werden, damit das Kalb ausreichend Energie bekommt! Zusätzlich muss so schnell wie möglich der Flüssigkeits- und Elektrolytverlust durch Elektrolyttränke ausgeglichen werden. Eine Übersäuerung lässt sich durch das Verabreichen einer Puffersubstanz entgegenwirken. Ist das Kalb schon matt und verweigert die Elektrolyttränke, müssen Flüssigkeit, Elektrolyte und Puffersubstanz per Infusion zugeführt werden. Bei starkem Durchfall (u.a. mit Fieber) muss der Erreger ermittelt werden (Kotprobe) und eine entsprechende Behandlung durch den Tierarzt erfolgen. Bei milden Verlaufsformen ist die Ursache eher im Tränkeregime zu suchen.
  • Winter: Bei Frost kann die Milch im Nuckeleimer rasch einfrieren, sodass die Kälber keine Chance haben, über den Tag verteilt ihre Milch aufzunehmen. In diesem Fall sollten die Nuckeleimer tagsüber noch einmal mit Milch befüllt werden und die Vollmilch auf 25°C angewärmt werden. Zudem kann eine Neopren-Hülle um den Eimer helfen, das Einfrieren der Milch zu verhindern.
  • Nie zu viel: Die Sorge, dass der Labmagen bei hohen Tränkemengen überläuft" oder Kälber wegen zu viel Milch Durchfall bekommen, ist unbegründet.
Kalb im Iglu

Neben Milch sollten auch Festfutter und Wasser zur freien Verfügung angeboten werden. (Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck )

Positive Auswirkungen sind vielseitig

Neben Tageszunahmen von 800 bis 1.000 g in der Tränkephase sowie einer deutlichen Leistungssteigerung der Färsen, die ad libitum getränkt wurden, haben verschiedene Studien folgende Ergebnisse geliefert:

Gesünder durch ad-libitum-Sauertränke: Ein Vergleich zwischen einer angesäuerten ad-libitum-Milchaustauschertränke und einer nicht angesäuerten restriktiven Milchaustauschertränke hat bewiesen, dass die Kälber durch eine ad-libitum-Sauertränke deutlich gesünder sind. Das Erkrankungsrisiko dieser Gruppe lag nur bei 1,2%, die Vergleichsgruppe bei 5,2%. Nach dem Absetzen konnten keine Unterschiede mehr festgestellt werden. (Todd et al., 2017, Kanada)

Frühe Gruppenhaltung nur mit ad-libitum Tränke: Verschiedene Studien haben die Umstellung auf Gruppenhaltung in Bezug zum Tränkeverfahren untersucht. Es wurde beobachtet, dass eine restriktive Tränke in der Gruppenhaltung vermehrt zum Wegdrängen von der Milch und zu gegenseitigem Besaugen führt. Diese Kälber sollten deshalb erst später in Gruppen aufgestallt werden bzw. verstärkt kontrolliert werden. Eine frühe Gruppenhaltung, d.h. schon vor dem 14. Lebenstag, funktioniert bei einer ad-libitum-Tränke besser. Gleichzeitig ist der Arbeitsaufwand geringer. (Abdelfattah et al., 2017; De Paula Viera et al., 2010)

Höhere Leistung der Kühe: Untersuchungen zeigen, dass ad-libitum-gefütterte Kälber zwischen dem 25. und 70. Lebenstag mehr Kraftfutter aufnehmen und höhere Tageszunahmen aufweisen. Zudem hat sich die Milchleistung dieser Tiere in den ersten zwei Laktationen im Durchschnitt um 405 kg erhöht. (Kunz, 2014, Schleswig-Holstein) Entsprechende Beobachtungen sind auch in der Schlachtleistung von Mastbullen zu beobachten.


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