„Das Genossenschaftsprinzip hat sich in den letzten 20 Jahren nahezu überholt“

Leidenschaftlich und kontrovers wurde auf dem Tag der Agrarökonomie Milchproduktion in Güstrow über die Milchpreise, Wachstumsstrategien und die Unternehmensausrichtung der Molkereien diskutiert.

Wie geht es weiter mit der Milchproduktion nach dem Auslaufen der Milchquoten am 31. März 2015? Dieses Thema beherrscht derzeit die Diskussionen etlicher Versammlungen, zu denen landauf und landab Beratungsträger, Berufsverbände und Molkereien einladen. Das Interesse der Milcherzeuger ist groß, obwohl kaum zu erwarten ist, dass etwas grundlegendes Neues zu erfahren wäre. In der Regel gleichen denn auch die Diskussionen zwischen den Milcherzeugern auf der einen und den Molkereiunternehmen einem Schwarzen Peter Spiel. Während die Milchproduzenten den Molkereien vorwerfen, bei der Vermarktung nicht Vollgas zu geben (sich von den Einkäufern der Handelsketten regelmäßig abkanzeln zu lassen), verweisen die Molkeristen gerne auf die böse Konkurrenz (zumeist aus dem Ausland) und auf die allgemeine politische Großwetterlage (zumeist mindestens durch einen Tiefausläufer  bestimmt).
Ähnlich wäre auch der Tag der Agrarökonomie Milchproduktion in Güstrow abgelaufen, hätte nicht der niedersächsische Unternehmensberater Bernd Lührmann zum Angriff auf die Molkerei-Genossenschaften geblasen. Mit markigen Sätzen wie „das Genossenschaftsprinzip hat sich in den letzten 20 Jahren nahezu überholt“, ließ Lührmann bei so manchem anwesenden überzeugten Genossen den Puls schlagartig in die Höhe schnellen.
Güstrow

(Bildquelle: Elite Magazin)

Konkret warf der Unternehmensberater den Genossenschaftsmolkereien vor, eine Auskunft über die Höhe des Auszahlungspreises der nächsten zwei bis drei Monate zu verweigern. „Die Milcherlöse müssen planbar sein, d.h. mindestens zwei, eigentlich aber drei Monate im Voraus muss das Milchgeld feststehen.“ Realisierbar sei dies durchaus, u.a. durch eine Absicherung der Rohstoffmengen an der Terminbörse. „Der Landhandel kann es schließlich doch auch“, wehrte der Berater sogleich alle Gegenargumente ab.
Nächster Vorwurf: Viele „Ehrenämtler“ seien vollkommen überfordert mit ihren Aufsichts- und Kontrollpflichten in den diversen Gremien. Solche Aufgaben müssen in größeren Unternehmen, fachlich an den diversen Universitäten sehr gut ausgebildete Spezialisten übernehmen. In den Führungsetagen der Genossenschaften säßen aber oft „nur“ wenig bis gar nicht geschulte Landwirte, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben überfordert seien.
Und noch ein Seitenhieb: Man müsse Sicherheit in der Milchvermarktung auch in Zeiten ohne Mengenbegrenzung und Einschränkungen erwarten können. Das sei aber nicht immer der Fall. Fest stehe nur, dass die Genossenschaften die gesamte Milch ihrer Mitglieder künftig entgegennähmen. „Dann muss aber auch die entsprechende Vermarktung dahinterstehen." Gerade von den Full-Linern (angesprochen wurden hier direkt die beiden anwesenden Vertreter von Arla und DMK) müsse man kontinuierlich überdurchschnittliche Milchauszahlungspreise in jeder Marktsituation erwarten dürfen. Zumindest beim DMK sei dies allerdings noch nicht der Fall. „Spielen Sie endlich mal Ihre Mengeneffekte aus“, forderte der Berater den anwesenden DMK-Geschäftsführer Dr. Dirk Gloy auf.
Der DMK-Geschäftsführer versuchte alle Angriffe seiner Vorredner (nach Bernd Lührmann stellte noch Peter Guhl von der MEG Milch Board das Konzept des Milch Marker Indexes (MMI) vor) an sich abprallen zu lassen. Seine vergleichsweise emotionale Vortragsweise ließ dann doch erahnen, wie tief die von Lührmann abgeschossenen Pfeile ins Fleisch des durchaus kampferprobten Molkereimanagers eingedrungen sind. Die negative Beurteilung des genossenschaftlichen Prinzips sei ja schließlich nichts Neues, quasi gar ein alter Hut, erklärte der Mann, der über Jahre hinweg bei der Nordmilch (als Zuständiger für Produktion und Milcherfassung) Zielscheibe für alle diejenigen war, die sich mit den unterdurchschnittlichen Milchpreisen der Nordmilch nicht zufrieden gegeben haben. Wahrscheinlich reflexartig zeichnete er denn auch zu Beginn seiner Ausführungen das Bild einer Wipp-Schaukel, an deren einem Ende die Milcherzeuger, am anderen die Molkereien sitzen. Dass er mit dieser Aussage unbedacht Öl ins Feuer der Genossenschafts-Kritiker goss - schließlich soll es nach dem genossenschaftlichen Prinzip keine Gegenspieler geben (die Molkerei gehört den Erzeugern!) - scheint den Emotionen des sonst so abgeklärt, kühlen Norddeutschen geschuldet .
In puncto Auszahlungspreisen wähnt sich der Molkereimanager auf dem richtigen Weg. Letztlich habe man sowohl damals bei der Nordmilch wie auch jetzt beim DMK immer die richtige Strategie eingeschlagen, gibt sich Dr. Gloy überzeugt. „Wo ist die Milchhanse heute? Pleite! So viel zum Thema aktive Milchvermarktung! (Anmerkung: Die Milchhanse wurde von  ca. 200, zumeist unzufriedenen Nordmilch-Erzeugern gegründet, mit dem Ziel, die Milch 8.124 Mio. kg) bestmöglich zu vermarkten). Und wo ist die MUH heute? Bei Arla untergeschlüpft! So viel zum Thema Spezialisierung! Wir haben rund 1 Mrd. kg H-Milch vom Markt genommen, das war richtig! Und dass wir künftig verstärkt auf Käse bauen, ist auch richtig, denn Käse ist auf dem Vormarsch!“ Deshalb habe man auch angekündigt, eine bundesweit überdurchschnittliche Auszahlungsleistung zu gewähren. Doch wann es soweit sein wird, eine Antwort auf diese Frage, auf die viele der Anwesenden mit Spannung gewartet haben, blieb der Referent schuldig.