Wütende Bauern verschütten Millionen Liter Milch

Etwa 200 Bauern aus dem Allgäu haben aus Protest gegen die EU-Agrarpolitik am Donnerstag ihre Milch auf Äckern als Dünger ausgebracht - und sie sind nicht allein: Quer durch die Republik gibt es dieser Tage derartige Aktionen. Zuvor hatten bereits Milchbauern im Sauerland 15.000 Liter Milch auf einem Feld versprüht. In der Nähe der belgischen Kleinstadt Ciney haben Milchbauern aus Protest gegen die EU-Milchmarktpolitik sogar rund fünf Millionen Liter Milch auf einem Feld "entsorgt".

Die Menge entspricht in etwa einer Tagesproduktion aller wallonischen Milchkühe. Da sie für ihre Milch sowieso fast kein Geld mehr bekämen, könnten sie die Milch auch verschütten, erklärte Bauernvertreter Erwin Schöpges: „Es ist  eigentlich ein Skandal, so etwas zu tun, aber man muss deutlich machen, wie die Lage ist." Für die Protestaktion in Südbelgien rückten rund 300 Traktorfahrer mit Milch gefüllten Güllefässern an.
Die Milcherzeuger versuchen derzeit verstärkt, mit derartigen Aktionen die Milchkrise in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. So blockierten u.a. deutsche und belgische Milchbauern die Autobahn E40 in Belgien nahe der deutschen Grenze bei Aachen. Sie wurde daraufhin von der Polizei gesperrt. Zuvor hatten bereits österreichische Milchbauern eine Autobahn abgeriegelt.
Eine Wiederholung des Milchboykotts von 2008, als in Deutschland  viele Milcherzeuger streikten, bahnt sich jedoch nicht wieder an. Zwar berichtet das European Milk Board (EMB), dass europaweit mittlerweile 40.000 Milchbauern in den Lieferstreik getreten seien, doch wie es scheint, sind die vom EMB verbreiteten Streikzahlen deutlich zu hoch. So hat beispielsweise der belgische Bauernverband gemeldet, dass sich in Belgien gerade einmal 260 Milcherzeuger im Streik befinden. Unklar ist auch, wie viele der ca. 90.000 französischen Milcherzeuger derzeit am Milchstreik teilnehmen. Während der Präsident des französischen Milcherzeugerverbandes APLI (Pendant zum deutschen BDM), Pascal Massol, berichtet, dass 50 % der Landwirte keine Milch mehr liefern, geht der französische Bauernverband FNPL von einer deutlich geringeren Beteiligung aus. Seiner Einschätzung nach beteiligen sich nur ca. 7 %  der Milchbauern an dem Streik. Diese Zahlen werden  auch von neutralen Beobachtern der französischen Presse genannt. Widersprüchliche Angaben auch, was die Beteiligung in den anderen europäischen Ländern ist unklar. Das European Milk Board (EMB) hat dazu heute keine aktuellen Zahlen veröffentlicht.
Auch in Deutschland beteiligen sich weit weniger Bauern an dem Lieferboykott als noch vor einem Jahr. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) schätzt, dass wegen der Streiks in Deutschland derzeit 20 % der sonst produzierten Milchmenge nicht geliefert würden. Die Engpässe könnten sich Anfang kommender Woche auch in den Supermärkten bemerkbar machen, sagte BDM Präsident Romuald Schaber in einem Zeitungsinterview. Bezweifelt werden diese Angaben vom Milchindustrieverband (MIV). In Deutschland seien weniger als 1 % der Milchlieferungen ausgefallen erklärte MIV-Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser. Es sei immer noch so viel Milch auf dem Markt, dass die EU-Kommission am Donnerstag neue Ankäufe von Milchpulver beschlossen habe. Heuser sieht die Gefahr, dass die Protestaktionen bei den Verbrauchern schlecht ankommen. „Bildern von Bauern, die mit dem Güllefass Milch auf den Acker verteilen, passen nicht zum Image eines hochwertigen Lebensmittels“, wird der MIV-Hauptgeschäftsführer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitiert. „Solche Bilder schaden der Wertschöpfung und er Zahlungsbereitschaft für Milchprodukte.“„Die Beteiligung am Lieferstreik ist in Deutschland geringer als vor einem Jahr, weil wir nicht zum Streik aufrufen dürfen, begründet BDM-Chef Schaber die geringere Resonanz. Das Bundeskartellamt hatte kürzlich erst den Aufruf vor einem Jahr als Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht eingestuft. Das Bundeskartellamt hat dem Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) unmissverständlich mit Geldbußen gedroht, sollte der Verband erneut zum Boykott aufrufen. Daran halten sich die Funktionäre akribisch, einen offenen Boykottaufruf hat der BDM bislang denn auch vermieden. Allergings appellieren die BDM-Vorstände an ihre Kollegen, sich mit den französischen Bauern zu solidarisieren.
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