Lange Nutzungsdauer ist aktiver Klimaschutz

In der Diskussion um den Klimawandel gerät immer wieder auch die Rindviehhaltung in den Fokus. Denn: Bei der Fermentation im Pansen wird Methan (CH4) freigesetzt, eine einzige Milchkuh produziert jeden Tag 235 Liter Methangas – das ist 25 Mal klimaschädlicher als Kohlendioxid (CO2). So wurde die furzende Kuh schnell zum Klimakiller abgestempelt. Tierernährung und Klimaschutz – ein unmöglicher Spagat?

Zur Senkung des Methanausstoßes empfiehlt die Welternährungsorganisation (FAO) in einem 2006 veröffentlichten Bericht eine Intensivierung der Rinderhaltung und den vermehrten Kraftfuttereinsatz. Eine kraftfutterreiche Ration bzw. die Zufütterung von bestimmten Fetten kann den Methanausstoß um 15 bis 30 % verringern. Weniger Grün- und mehr Kraftfutter vermindert die Methanbildung im Pansen der Kuh ebenso. Andererseits sind in Mitteleuropa die Grenzen für die Kraftfuttergabe aus physiologischer Sicht nahezu ausgeschöpft. Wie lässt sich das Dilemma auflösen? Dieser Frage gingen Ende Januar 2011 vier renommierte Wissenschafter im Rahmen eines Fachsymposiums in Göttingen nach.

„Eine Methanreduzierung ist nur im Rahmen einer wiederkäuergerechten Rationsgestaltung möglich“

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(Bildquelle: Elite Magazin)

Eine Alternative zur methanbildenden Pansenfermentation gibt es laut Professor Hansjörg Abel vom Department für Nutztierwissenschaften der Universität Göttingen nicht. Auch aus Sicht der Tierernährung ist das im Pansen entstehende Methan „verlorene Energie“. Forscher suchten daher schon vor Beginn der Klimadiskussion nach Möglichkeiten zur Reduzierung der Methanentstehung. Versuche, die nahezu methanfreie Dickdarmfermentation auf den Pansen zu übertragen, zeigten keine langfristigen Erfolge. Auch Methan reduzierende Futterzusatzstoffe sind laut Abel nur kurzfristig wirksam und stellen daher keine echte Perspektive für die Zukunft dar. Bewiesen ist jedoch: „Faserreiches Fermentationssubstrat führt pro Gewichtseinheit zu mehr Methan als faserarmes Fermentationssubstrat“. Durch erhöhte Kraftfuttergaben und auch durch den Zusatz von Futterfetten kann der NH4-Ausstoß also tatsächlich gesenkt werden. Allerdings nur im Rahmen einer wiederkäuergerechten Rationsgestaltung, das bedeutet maximal einen Zusatz von fünf Prozent Fett und vor allem ausreichend Faserstruktur.

„Wir wissen einfach zu wenig“

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Laut Professor Gerhard Flachowsky vom Bundesforschungsinstitut für Tierernährung (FLI) in Braunschweig, führt eine insgesamt höhere Milchleistung der Tiere bei gleichzeitiger Senkung der Tierzahlen, eine verkürzte Aufzuchtdauer von Jungtieren und eine längere Nutzungsdauer der Kühe zur Reduzierung des Methan-Ausstoßes. Global gesehen lägen die größten Potenziale für Leistungssteigerungen und die Reduktion der Tierzahlen eher in den Entwicklungsländern als im ohnehin schon verhältnismäßig leistungsstarken Mitteleuropa. Entscheidend seien letztlich die Verbesserung der Tiergesundheit und weniger Tierverluste. Der Futterbedarf sollte möglichst exakt ermittelt und Überschüsse vermieden werden. Flachowsky fordert eine bessere Ausnutzung der Potenziale von Wiederkäuern, eine höhere Effizienz in der Nutzpflanzenproduktion und vor allem eine komplexe Bewertung der gesamten Lebensmittelerzeugung.
„Methan ist nicht alles“, merkten Abel und Flachowsky an. Sie verwiesen dabei auf das vielfach klimaschädlichere Lachgas. Sollten zukünftige Untersuchungen zum Beispiel ergeben, dass bei der Stallhaltung mehr Lachgas freigesetzt wird, könne sich die Forderung nach intensiver Stallhaltung schnell ins Gegenteil umkehren.

„Langlebigkeit ist wichtiger als Spitzenleistungen“

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Die Methan-Emission von Kühen kann nicht isoliert betrachtet werden, meint auch Professor Urs Niggli, Wissenschaftler am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz. Aktuelle Hochleistungsmodelle seien seiner Ansicht nach zu einseitig. Wichtiger als die reine Steigerung der Milchleistung sei die Langlebigkeit einer Milchviehherde. Den Schlüssel dazu sieht Niggli in einem optimierten Tiergesundheits- und Fütterungsmanagement. Ziel sei es, weniger „unproduktive“ Tage pro Kuh durch eine Steigerung der Nutzungsdauer zu erreichen. So könne durch eine Senkung der Remontierungsrate von 40 Prozent auf 20 Prozent auch der Methanausstoß halbiert werden. Die „Raufutterkuh“ und damit verbunden eine standortgerechte Nutzung von Dauergrünland haben laut Niggli immense ökologische Vorteile. Kleegras in der Fruchtfolge hält er für einen entscheidenden Erfolgsfaktor.

„Intensivierung ist nicht die Lösung“

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(Bildquelle: Elite Magazin)

Das große Potenzial des Dauergraslandes stellte Dr. Anita Idel, Tierärztin und Autorin des Buches „Die Kuh ist kein Klimakiller“, heraus. Sie kritisiert, dass bei den Untersuchungen der FAO nicht das gesamte „System“ betrachtet wurde. Idel stellt fest: „Treibhausgase waren schon immer da.“ Deutschland sei „führend“ im Ausstoß von Lachgas, Methan und Ammoniak und beim Einsatz von Mineraldünger. Laut Idel habe die Verfügbarkeit von synthetischem Stickstoff dazu beigetragen, dass der Erhalt der natürlichen Bodenfruchtbarkeit über Jahre hinweg vernachlässigt wurde. Den Herausforderungen der Zukunft - einer wachsenden Weltbevölkerung bei gleichbleibender Flächenverfügbarkeit und zusätzlicher Verschärfung durch die Produktion von Agrotreibstoffen - könne nicht durch Intensivierung, sondern nur durch eine Steigerung der Effizienz nachhaltiger Systeme begegnet werden. Dem Dauergrünland und seiner nachhaltigen Beweidung werde bisher eine zu geringe Bedeutung beigemessen. Weltweit stehen 4,5 Milliarden Hektar Nutzungsfläche zur Verfügung; davon etwa zwei Drittel Wiesen und Weiden. Für die Nutzbarmachung dieses Potenzials von etwa 40 Milliarden Tonnen faserreicher Futtertrockenmasse spielt die mikrobielle Umsetzung im Pansen von Wiederkäuern eine entscheidende Rolle. Hinzu kommt, dass durch die enorme Wurzelbildung und in Folge der permanenten Bodenbedeckung Dauergrünland einer der größten Kohlenstoffspeicher überhaupt ist. Für Anita Idel stellt deshalb fest: „Wir können nicht weitermachen wie bisher, und wir müssen uns verabschieden von der Vorstellung, dass artenärmere Bestände zu besseren Erfolgen führen“. Dauergrünland sei die Basis für die langfristige Welternährung. Idel plädiert für Mischbeweidung und eine Inwertsetzung von Flächen, beispielsweise in Naturschutzgebieten, durch regional angepasste Beweidungsstrategien.

Nicht höher, weiter, intensiver, sondern nachhaltiger!

So uneinig sich die Experten in manchen Punkten auch sind, eines wird deutlich: Einseitige Problembetrachtungen führen nicht zu einer Lösung. Das Rind kann nicht als „Klimakiller“ angeprangert werden, da es auf der anderen Seite durch die Nutzbarmachung von Grünland einen wichtigen Beitrag zur weltweiten Landnutzung und damit auch zum Klimaschutz und zur Ernährungssicherung leistet. Ein vermehrter Kraftfuttereinsatz und eine Intensivierung der Haltung tragen zwar auf den ersten Blick zur Reduzierung des Methanausstoßes bei, die Betrachtung darf aber hier nicht enden. Aspekte der Tiergesundheit, die Steigerung der Lebensleistung und eine standortgerechte Nutzung von Grünland müssen genauso einbezogen werden. Die Maxime lautet also nicht: „Höher, weiter, intensiver“, sondern vor allem „nachhaltiger“. Und das gilt nicht nur für die Tierernährung, sondern für sehr komplexe Systeme, vom Boden über die Produktion bis hin zur Ernährung und dem Umgang mit Abfällen.