Morgens-Abends-Regel infrage gestellt

Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass der Eisprung bei Kühen früher eintritt als bei Färsen.

Die Morgens-Abends-Regel besagt, dass eine Kuh am Morgen in Brunst gesehen, am Abend besamt werden sollte (zwölf Stunden später). Ein Tier, das dementsprechend abends in Brunst gesehen wird, kann morgens besamt werden. Das beruht auf einer physiologischen Beobachtung, dass es nach Brunstbeginn 24 Stunden dauert, bis die Kuh einen Eisprung hat. Hintergrund ist, dass die Eizelle kurzlebig und nach Brunstbeginn noch ca. 12 Std. befruchtbar ist. Die Spermien wiederum brauchen nach der Besamung noch sechs bis zehn Stunden, um den Eileiter zu durchwandern und zu reifen (kapazitieren). Auch die Spermien sind kurzlebig, sodass der ideale Besamungszeitpunkt zwölf Stunden nach Brunstbeginn ist. Soweit die Theorie. Die Schwierigkeit in der Praxis ist eher, dass der exakte Brunstbeginn nicht erkannt wird. Bei einer durchschnittlichen Brunstnutzungsrate auf deutschen Betrieben unter 50% muss man daran zweifeln, dass der Brunstbeginn (Duldung) sicher erkannt wird. Eine Arbeitsgruppe aus den USA hat Kühe aus 19 Herden (115 bis 1.065 Kühe) mit Halsbändern zur Aktivitätsmessung versehen, um den exakten Beginn der Brunst zu terminieren. Dabei zeigte sich, dass 87% der Kühe, die in Brunst gemeldet wurden, auch wirklich brünstig waren. Letzteres wurde durch Eierstockskontrolle mit Ultraschall und Progesteronwert-Messung überprüft.
Jungkühe hielten sich an die Morgens-Abends-Regel und erreichten zwölf Stunden nach der Besamung hohe Konzeptionsraten von 46%. Bei den Kühen sah es dagegen anders aus: Die Konzeptionsraten lagen stabil bei 34% in der Zeit von Brunstbeginn bis zwölf Stunden später. Danach war ein deutlicher Abfall des Konzeptionserfolges zu sehen (Übersicht 2). Fazit: Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Morgens-Abends-Regel nicht mehr uneingeschränkt gilt. Gute Besamungserfolge werden erreicht, wenn man bei Sichtbarwerden der Brunst sofort besamt.
Stevenson et al., 2014