Mit der von ihm betreuten Herde in Iden steht Herdenmanager Hilmar Zarwel weltweit auf Platz drei der Herden mit den meisten 100.000 kg-Kühen. Insgesamt 96 Kühe haben diese magische Grenze bereits überschritten. Was ist das Erfolgsgeheimnis des Herdenmanagers?
Hilmar Zarwel öffnet den Riegel. Das grau-verzinkte Metalltor schwingt mit einem leisen Quietschen Richtung Futtertisch. Im Stallabteil, im hoch aufgetürmten Stroh, liegt eine große Kuh. Sie dreht den Kopf langsam Richtung Tor, schaut den Herdenmanager an und kaut unbeirrt weiter. Charlotta ist in der Herde des Zentrums für Tierhaltung und Technik in Iden (Landesanstalt für Landwirtschaft, Sachsen-Anhalt) eine kleine Berühmtheit. Sie ist auf dem besten Weg, mit dieser Laktation die erste 200.000 kg-Kuh der Herde und vermutlich Deutschlands zu werden!
Doch Charlotta ist nicht die einzige, die in der Herde beeindruckt. Denn auch die Leistungsdaten der übrigen 410 Kühe gleichen einer Aneinanderreihung von Superlativen: So weisen die Kühe bei Abgang im Schnitt eine Lebensleistung von 62.400 kg auf und erreichen eine Lebenstagsleistung von 23,3 kg. Insgesamt wurden hier bislang 96 Kühe mit einer Lebensleistung von über 100.000 kg gehalten. Damit ist Iden weltweit auf Platz drei der Herden mit den meisten 100.000 kg Kühen. All diese Zahlen sind umso erstaunlicher, als die Kühe nicht in einem nach neuesten Maßstäben des Kuhkomforts gebauten Laufstall, sondern in einem 1993 sanierten Stall aus DDR-Zeiten stehen. Hilmar Zarwel, seit 15 Jahren Herdenmanager in Iden, beschreibt das Erfolgsrezept so: „Alles was wir über das Management der Kühe wissen, müssen wir konsequent umsetzen. Jeden Tag, auch an Weihnachten.“
Fressen, fressen, fressen
„Ein wesentlicher Schlüssel für gesunde, langlebige Kühe ist eine maximale Futteraufnahme“, sagt er und deutet auf die fressenden Kühe am außenliegenden Futtertisch. Ein Großteil seiner Arbeitszeit verbringen Hilmar Zarwel und seine acht Kollegen deshalb damit, die Aufnahme der Kühe zu kontrollieren und gegebenenfalls gegenzusteuern. Diese Kontrolle beginnt in der Gruppe der Frischmelker, bei denen er bis zum sechsten Laktationstag täglich die Hungergrube beurteilt und zusätzlich die Pansentätigkeit mithilfe eines Stethoskops überwacht. Kommt ein Pansen nicht in Gang, erhält die Kuh ein Hefepräparat und Heu. Zusätzlich wird den Kühen bei Verdacht bzw. festgestellter Ketose Propylenglykol und Glycerin eingegeben. „Wir haben auch gute Erfahrungen damit gemacht, nach einer Schwergeburt Schmerzmittel zu verabreichen. Die Kühe stehen schneller wieder am Futtertisch“, sagt Zarwel. Allein die Arbeit mit den Frischmelkern kostet den Herdenmanager jeden Tag 1,5 Stunden.
Nach sechs Tagen ziehen die Kühe dann in den Produktionsstall um. Aber auch hier verliert Zarwel den Appetit der Kühe nicht aus den Augen. So ermitteln sie jeden Tag die Futtermengen aller Kuhgruppen. Die Ergebnisse werden in eine in seinem Büro hängende Tabelle eintragen. „Diese Liste ist mein wichtigstes Werkzeug“, sagt Hilmar Zarwel. Hier könne er auf einen Blick erkennen, wenn die Kühe zu wenig fressen und etwas nicht mit der Ration oder den Tieren stimmt.
Neben der Futteraufnahme, beurteilt der Herdenmanager ein Mal im Monat die Körperkondition der laktierenden und alle 14 Tage die der trocken stehenden Kühe. „Ich sehe mir einzelne Tiere und Gruppen an.“ Dabei ist ihm nicht der absolute BCS, sondern vielmehr der Verlauf der Kondition wichtig. Dass das mit durchschnittlich 3,5 Stunden im Monat aufwendig ist, weiß er und zuckt mit den Schultern: „Aber die Mühe lohnt sich, denn die Kühe in der Hochleistungsgruppe fressen derzeit 28 kg Trockenmasse am Tag!“
Viermal unters Messer
Nur gesunde Klauen tragen die Milch. Dieser bekannte Spruch wird auch in Iden ernst genommen. Deshalb bekommen die Kühe viermal in der Laktation die Klauen geschnitten. Der erste Schnitt erfolgt bereits am 14. Laktationstag. „Den Stress der ersten Laktationstage haben die Kühe dann hinter sich, sodass wir ihnen einen Klauenschnitt zumuten können.“ Der erste Schnitt ist vor allem ein Korrekturschnitt. Die Hohlkehlung wird herausgearbeitet, die Klauen gegebenenfalls gekürzt. „Die Kühe sollen mit gesunden Klauen durchs Energiedefizit marschieren. Eine wichtige Maßnahme, um die Kühe in dieser Zeit so oft wie möglich an den Futtertisch und damit ans Fressen zu bekommen.“
Der 2. Schnitt erfolgt um den 80. Laktationstag, sozusagen im Anschluss an das Energiedefizit. Dieser Schnitt soll die negativen Auswirkungen auf Hornwachstum und -stabilität beseitigen. Die beiden nächsten Klauenschnitte lässt er dann am 150. Laktationstag, also im ersten Drittel der Trächtigkeit, und am 250. Tag durchführen.
„Bisher hat ein Kollege die Klauen geschnitten. Wegen der Arbeitsbelastung suchen wir aber einen Klauenpfleger. Dabei ist uns Qualität sehr wichtig. Die Suche ist nicht ganz einfach.“ Klauenschneiden allein sei jedoch nicht ausreichend, um die Herde gut zu Fuß zu halten. Besonders Mortellaro ist eine Herausforderung. Daher laufen die Kühe regelmäßig durch ein desinfizierendes Klauenbad auf Basis von Glutaral und Benzalkoniumchlorid. Zusätzlich behandeln sie die Klauen bei Bedarf mit Blauspray. Damit halten sie die bakteriologische Klauenerkrankung so in Schach, dass sie weitestgehend auf eine Behandlung mit Verbänden verzichten können. Zarwel ist überzeugt: „Brauchen wir erst Verbände, um Mortellaro in den Griff zu bekommen, dann haben wir schon zu viel verpasst.“ Trotz der intensiven Betreuung rund um die Klaue sind Klauen- und Gliedmaßenerkrankungen nach wie vor die Abgangsursache Nummer eins. „Das ist vor allem dem Stall, aber auch dem Alter der Herde geschuldet.“
Trockenstellen nicht nach „Schema F“
Der Melker taucht alle vier Zitzen der Reihe nach in den Dippbecher. Der helle, die Zitze vollständig umhüllende Schaum, tropft langsam auf den Melkstandboden. Mit einer leicht drehenden Bewegung wischt der Melker den Schaum ab. Zurück bleibt eine saubere, rosig glänzende Zitze. Die Eutergesundheit ist ein weiterer Schlüsselfaktor, um Kühe lange zu halten. Derzeit liegt die Zellzahl der Herde bei 150.000/l Milch. „Die Entscheidung, vorzudippen, war richtig. Im Schnitt ist die Zellzahl dadurch um 30.000 nach unten gegangen.“
Doch den großen Schritt nach vorne, da ist sich Hilmar Zarwel sicher, hat ihnen der gezielte Einsatz von Trockenstellern und Zitzenversieglen gebracht. „Wir lassen die Milch jeder Kuh 14 Tage vor dem Trockenstellen bakteriologisch untersuchen. Je nach Befund wird entschieden, welchen antibiotischen Trockensteller wir einsetzen“, erklärt der Herdenmanager. „Damit können wir in der Trockenstehzeit durchaus Euterentzündungen therapieren und Infektionen verhindern.“ Neuinfektionen nach dem Trockenstehen treten bei den Kühen seitdem nur selten auf. „Größere Probleme bereiten uns eher die Färsen. Hier liegt die Infektionsrate rund um die Kalbung bei sieben bis acht Prozent.“ Um diese Neuinfektionen zeitnah zu finden und gegebenenfalls zu behandeln, wird die Milch jeder Kuh am fünften Laktationstag mit dem Schalmtest kontrolliert.
Künftig sollen die Kühe selektiv trocken gestellt werden. So das erklärte Ziel. Bisher hat sich der 45 Jahre alte Herdenmanager das noch nicht zugetraut. Vor einem Jahr hat er dreieckige Zitzengummis einbauen lassen, um die Zitzen zu schonen und Hyperkeratosen zu verhindern. „Mit einer besseren Zitzenkondition sollte das Risiko für Neuinfektionen zurückgehen. Sehen wir langfristig Erfolge, werden wir anfangen, gesunde Kühe nicht mehr antibiotisch trocken zu stellen.“
Frische Luft für alle!
Eine Färse steht unschlüssig hinter einer alten Kuh. Ein Vorbeilaufen scheint unmöglich. Im Idener Stall ist nur wenig Platz, um ranghöheren Kühen auszuweichen. Mehr Platz schaffen, dass kann Zarwel natürlich nicht. Gerade deshalb ist ihm Kuhkomfort enorm wichtig. Dafür scheut er keine Diskussion, wenn es um die Frage der Finanzierung geht. „Gerade bei den niedrigen Ställen ist Ventilation wichtig. Zuerst wurden aber nur Ventilatoren für die 80 Kühe unserer Herde angeschafft, die in den Fütterungsversuchen eingebunden sind.“ Er habe dann mal die Konzeptionsraten der beiden Gruppen in den Sommermonaten gegenübergestellt. Die Versuchsgruppe zeigte eine Konzeptionsrate von 38%, die Produktionsherde von 18%. „Die Zahlen haben gewirkt“, schmunzelt der Herdenmanager. Inzwischen sind alle Stallbereiche, außer dem Trockensteherstall, mit Ventilatoren ausgestattet.
Neben der Belüftung legt der Herdenmanager auch viel Wert auf komfortable Fressplätze. Das ist umso wichtiger, weil zwei Kühen nur ein Fressplatz zur Verfügung steht. Eine Fressplatzabtrennung sorgt z.B. dafür, dass auch Färsen ohne Störung durch ranghöhere Kühe fressen können. Daneben hat er im Versuchsgut verschiedene Fressgitter und Nackenrohre im Einsatz. „Besonders gefallen mir die grünen, flexiblen Kunststoffpalisaden. Sie sind nicht starr, sondern biegen sich nach vorne, wenn die Kuh an weiter entferntes Futter herankommen will.“ Hat er das Gefühl, dass seine Kühe beeinträchtigt werden, macht er auch schon mal kurzen Prozess. „Wir haben auch Schwedengitter im Einsatz. Die führten aber zu Druckstellen im Nacken der Kühe. Da habe ich die klappbaren Bügel einfach abgeflext.“
Sandbox für Festlieger
Wie viele Gedanken sich Zarwel um das Wohlergehen der Kühe macht, lässt sich z.B. an der Sandbox für Festlieger erkennen, die er vor einiger Zeit eingerichtet hat. „Wenn die Gummimatten auf dem nicht überdachten Fressgang abtrocknen, bildet sich schnell eine Schmierschicht. Dies führt leider immer mal dazu, dass Kühe aus‑ grätschen.“ Im Sommer bringt er diese Tiere dann mit einem Geschirr auf die Weide. Im Winter kühlen die Kühe hier jedoch zu stark aus. Deshalb kam dem Herdenmanager die Idee, eine Sandbox für Festlieger zu bauen. Mit ein paar Leitplanken, Rohren und Stromanschluss hat er ganz unkompliziert eine Krankenbox für Festlieger geschaffen, in der die Tiere sogar gemolken werden können. „Allerdings musste ich Lehrgeld bezahlen“, gibt Zarwel zu. „Bei der zweiten Befüllung habe ich Sand mit der feinsten Körnung gewählt. Da sinken die Beine zu tief ein. Jetzt habe ich gröberen Sand bestellt.“
Kälberstall top
Sich erst um die Tiere zu kümmern, wenn sie das erste Mal gekalbt haben und im Stall stehen, und dann alles daran zu setzen, dass sie alt werden, reicht nach Ansicht des Herdenmanagers nicht. „Den Grundstock müssen wir bei den Kälbern legen.“ Mit der Aufstallung und Haltung (dreimal tägliche Tränke) der Kälber in Einzeliglus und später in der Gruppe am Tränkeautomaten ist er zufrieden. Letztes Jahr hat er nicht ein Kalb durch Durchfall verloren. Um die Haltung der Kälber noch weiter zu verbessern und die Schadstoffbelastung zu senken, ließ er in diesem Jahr eine Schlauchlüftung im Kälberstall einbauen. „Wenn man sich hinten in den Stall legt, spürt man die frische Luft aus den Schläuchen.“
Zu Wünschen übrig, lässt nach seiner Ansicht aber die Aufstallung der Rinder. In den ersten zwölf Monaten sind sie in Tiefstreu aufgestallt. „Das passt.“ Aber anschließend muss er sie in Stallabteilen mit Hochboxen und Liegematten weiter aufziehen. „Die Haltung und Überbelegung macht den Tieren schon zu schaffen.“ Hinzu kommt, dass die Rinder bereits hier mit Mortellaro zu kämpfen haben. Deshalb schickt er auch alle Rinder ab dem ersten Lebensjahr zweimal jährlich durch den Klauenstand.
Da ist Luft nach oben
Alle beschriebenen Maßnahmen im Herdenmanagement und in der Jungviehaufzucht führen dazu, dass die Idener Kühe lange und gesund Milch geben können. Bei der ganzen Energie, die Hilmar Zarwel in die Kühe steckt, fällt es ihm da nicht schwer, sich von den alten Damen zu trennen? „Natürlich besteht das Risiko, dass wenn man erst mal an den alten Kühen hängt, sie zu spät selektiert.“ In der Regel ersetzt er alte Kühe durch Färsen, wenn sie weniger als 750 kg Fett und Eiweiß in der Laktation bringen. Aber, und das gibt er unumwunden zu, Kühe, die immer gesund und unauffällig waren, aber diese Leistungsgrenze nicht mehr überschreiten, werden dann doch manchmal noch besamt. Auf die Frage, welche Ziele er bei den beeindruckenden Kennzahlen denn noch in Zukunft erreichen möchte, hebt er erstaunt die Augenbrauen: „Wir wissen noch so viel was wir besser machen können, gerade in der Haltung. Deshalb ist in puncto Nutzungsdauer bei uns noch Luft nach oben!“ B. Ostermann-Palz
Alle beschriebenen Maßnahmen im Herdenmanagement und in der Jungviehaufzucht führen dazu, dass die Idener Kühe lange und gesund Milch geben können. Bei der ganzen Energie, die Hilmar Zarwel in die Kühe steckt, fällt es ihm da nicht schwer, sich von den alten Damen zu trennen? „Natürlich besteht das Risiko, dass wenn man erst mal an den alten Kühen hängt, sie zu spät selektiert.“ In der Regel ersetzt er alte Kühe durch Färsen, wenn sie weniger als 750 kg Fett und Eiweiß in der Laktation bringen. Aber, und das gibt er unumwunden zu, Kühe, die immer gesund und unauffällig waren, aber diese Leistungsgrenze nicht mehr überschreiten, werden dann doch manchmal noch besamt. Auf die Frage, welche Ziele er bei den beeindruckenden Kennzahlen denn noch in Zukunft erreichen möchte, hebt er erstaunt die Augenbrauen: „Wir wissen noch so viel was wir besser machen können, gerade in der Haltung. Deshalb ist in puncto Nutzungsdauer bei uns noch Luft nach oben!“ B. Ostermann-Palz
Hilmar Zarwel gibt sein Wissen im Rahmen unseres Elite Herdenmanager-Kurses weiter (siehe S. 64)