In Ostfriesland steht der erste deutsche Serre-Stall, eine Stahlkonstruktion mit einem kombinierten Dach aus lichtdurchlässigen Kunststofftüchern.
Ruhig ist es hier!“ Sichtlich zufrieden lässt Klaas Geerdes (63) seine wachen Augen durch den neu errichteten Kuhstall schweifen. „Die Tiere fühlen sich wohl hier“, stellt der Milcherzeuger...
In Ostfriesland steht der erste deutsche Serre-Stall, eine Stahlkonstruktion mit einem kombinierten Dach aus lichtdurchlässigen Kunststofftüchern.
Ruhig ist es hier!“ Sichtlich zufrieden lässt Klaas Geerdes (63) seine wachen Augen durch den neu errichteten Kuhstall schweifen. „Die Tiere fühlen sich wohl hier“, stellt der Milcherzeuger unmissverständlich fest. Stimmt, es ist wirklich sehr ruhig im Stall, unterbrochen wird die Stille nur ab und zu durch die Fahrgeräusche der Lkw, die auf der nur einen Steinwurf entfernten Autobahn A 280 in Richtung Niederlande brausen.
Wir verweilen gemeinsam ein paar Minuten auf einem der beiden Futtertische, die an den Längsseiten der Halle angeordnet sind. Ich habe ja schon viele Kuhställe in meinem Berufsleben gesehen, doch dieser Serre-Stall ist etwas Besonderes. Warum? Der Stall hat etwas Leichtes, Beruhigendes. Vielleicht liegt es ja an der offenen Bauweise, der filigran anmutenden Stahlkonstruktion oder aber an der enormen Helligkeit im Stall. Egal, auf jeden Fall bietet der Serre-Stall den perfekten Kontrast zu herkömmlichen Kuhställen, die mich mit ihren Satteldächern immer mehr an gotische Kathedralen erinnern.
„Serre“ entstammt dem Französischen. Übersetzt bedeutet dies nichts anderes als Gewächshaus. Wahrscheinlich denken die meisten Menschen beim Anblick eines Serre-Stalles auch eher an die Aufzucht von Gemüse und Blumen als an eine „Wohngemeinschaft“ für 174 Milchkühe.
Typisch für die Serre-Ställe ist deren wellenförmige Dachkonstruktion. Anstatt eines Firsts, der das Dach in zwei Hälften zerteilt, finden sich auf den Serre-Ställen mit einer Spezialfolie bespannte „Wellen“. Obwohl die Folie von außen betrachtet dunkel erscheint, ist es im Stall sehr hell. Vom Inneren des Stalls, vom Futtertisch aus betrachtet, schimmert die Dachhaut hell. Laut dem niederländischen Hersteller (ID Agro) ist die Folie lichtdurchlässig bis zu 20%. Das bedeutet, bei sonnigem Wetter finden sich im Stall ca. 15.000 Lux wieder, bei starker Bewölkung noch mindestens 1.000 Lux (entspricht einer Beleuchtung in einem TV-Studio). Im Gegensatz zu einem Gewächshaus soll das Stallinnere aber nicht aufheizen. „Das ist wie bei einem Auto mit getönten Scheiben“, beschreibt Klaas Geerdes den Effekt treffend. Trotz der, von außen betrachtet, dunklen Autoscheiben lässt sich aus dem Wageninneren hinaus schauen. Zudem verhindern die dunklen Scheiben das Aufheizen des Innenraums des Autos!
Acht Jahre Garantie auf die Dachfolie
Einen Kuhstall baut man zwar nicht für die Ewigkeit, aber auch nicht alle Tage. Mindestens eine (Betriebsleiter-)Generation sollte ein Stall allein schon aus finanziellen Gesichtspunkten überstehen. Wie ist das mit dieser „Konstruktion“ möglich? Kein Mauerwerk, keine dicken Stahlträger, keine Leimbinder … nur leichtes Metallgestänge und eine Plane als Dachhaut. Klaas Geerdes lacht, diese Frage wurde ihm anscheinend schon des Öfteren gestellt, obwohl die ersten Kühe den Stall erst vor vier Wochen (Anfang November) bezogen haben. „Der Hersteller gewährt acht Jahre Garantie auf die Dachfolie! Ich habe aber Ställe gesehen, da liegt die erste Folie auch nach 15 Jahren noch unbeschadet drauf“, erklärt er mir. Und überhaupt sei der Austausch ja kein Problem, ist sich der Seniorchef sicher. Bei der Montage hätten die Hallenbauer schließlich die gesamte Folie an nur einem Tag aufgezogen und auch befestigt. „Das war wie beim Abdecken eines Silos, zunächst rollten zwei Mann die Folie aus, dann wurde sie seitlich verklemmt und am Ende mit Spanngurten verzurrt!“
Die Folie soll auch einen klimatisierenden Effekt haben. So soll die Sonnenstrahlung weitgehend aus dem Stall herausgehalten werden. Für ein ausgezeichnetes Stallklima sorgen sollen auch die hohen Traufen (5,20 m) und die offene Bauweise. Diese soll jederzeit eine Querventilation ermöglichen. Familie Geerdes hat sich allerdings dazu entschlossen, die vordere Giebelseite relativ dicht auszuführen, da es sich hier um die Wetterseite handelt. Aber dennoch ermöglicht die Ausführung (Netze) der oberen Hälfte der Giebelfassade, den Zutritt von Frischluft in die Halle. Der hintere, der Weide zugewandte Giebel ist komplett mit dunklen Windschutznetzen versehen.
Im Notfall, also bei extremen Wetterlagen, lassen sich die Seitenwände mit Curtains verschließen. Diese Jalousien lassen sich sowohl stufenlos ab- bzw. aufwickeln als auch vertikal in der Höhe frei verschieben. So kann z.B. bei Schlagregen nur der obere Teil der Wand geschlossen werden, um den Futtertisch weitgehend trocken zu halten. Frischluft gelangt aber dennoch in den Stall, da (je nach Position des Curtains) entweder über oder unter diesem ein Spalt verbleibt. Dank des hohen Lichteinfalls über das Dach erscheint das Stallinnere selbst im Winter bei komplett geschlossenen Seitenwänden noch hell.
Ausgestattet ist die 57 m lange und 40 m breite Halle mit 175 Hochliegeboxen. Auf diese haben Klaas und Christian Geerdes Liegeflächen mit einer speziellen Kuhmatratze aufgebracht. Ein Schaumstoffkern soll ein Maximum an Liegekomfort garantieren. „Die Oberfläche ist aus einem Stück gefertigt“, erläutert mir der Senior. „Da gibt’s keine Nähte, die aufgehen könnten, auch kann kein Schmutz und keine Feuchtigkeit eindringen.“
Zwischen den drei Doppel-Liegeboxenreihen liegen zwei, 3,5 m breite Laufgänge. Und überhaupt wurde bei den Verkehrsflächen nicht gespart: Die beiden Laufgänge am Futtertisch sind 4,0 m breit ausgeführt. Zudem sorgen zwei breite Übergänge (3,3 bzw. 4,5 m) dafür, dass sich die Tiere aus dem Weg gehen können.
Dank der Selektion vor dem Warteraum ist eine Liegeboxenreihe sowie ein Futtertisch nur den Frischabkalbern zugänglich. Allerdings können die Tiere sich jederzeit zum Rest der Herde begeben (Einwegtore machen es möglich).
Drei Melkboxen in einer Reihe
Großzügig dimensioniert ist auch der Warteraum vor dem Melkroboter (4,5 x 12,0 m). Interessantes Detail: Um zu den Melkboxen zu gelangen, müssen die Kühe zunächst eine Klauenwaschanlage passieren. Das scheint die Tiere aber nicht weiter zu stören, jedenfalls marschieren während meines Aufenthaltes im Stall alle Kühe tapfer durch die Wanne.
Das Herz des Melkzentrums bildet der MIone Melkroboter (GEA). Drei Melkboxen sind hier hintereinander angeordnet. Sie werden von einem Roboterarm versorgt. Dieser sorgt dafür, dass die Melkbecher problemlos und zügig angesetzt werden. Die Steuerung der Anlage (inkl. Selektion) sowie des Herdenmanagements (Aktivitätsmessung) übernimmt das ebenfalls von GEA installierte Softwareprogramm C21. Natürlich will ich wissen, warum die Familie Geerdes auf den Melkroboter setzt. In dem schönen, hellen Stall hätte das Melken doch sicherlich auch seinen Charme gehabt. „Ich will versuchen, auch künftig möglichst ohne feste Lohnarbeitskräfte auszukommen“, erklärt mir Junior Christian Geerdes (25). „Wenn sich meine Eltern in ein paar Jahren zurückziehen werden, dann hoffe ich, den Betrieb mit meiner Partnerin weitgehend alleine bewirtschaften zu können.“ Die niedrigen Milchpreise der letzten Monate noch vor Augen, glaubt der junge Betriebsleiter nicht, dass die Festanstellung einer oder mehrerer Arbeitskräfte so ohne Weiteres finanziell zu stemmen wäre.
Nur sechs Monate Bauzeit
„Eigentlich hätte der Stall schon vor einem Jahr bezogen werden sollen, doch zunächst verweigerten die Behörden die Baugenehmigung, da die Halle über keine deutsche Statik verfügte. Die Bauherren mussten sich also ein paar Monate gedulden, bis der Hersteller des Serre-Stalls ein Ingenieurbüro in Süddeutschland gefunden hat, deren Berechnungen den Ansprüchen der deutschen Baubehörden genügten. Nach der Erteilung der Baugenehmigung lief dann aber alles wie am Schnürchen. Mit dem Ausbaggern des Güllekellers wurde Anfang Mai begonnen, Ende Oktober/Anfang November konnten die Kühe schon aus dem alten Laufstall übersiedeln (weitere 70 Kühe, die in Mecklenburg zugekauft wurden, kamen eine Woche später hinzu). Die Betonarbeiten erledigte ein örtliches Bauunternehmen, die Halle wurde vom Hersteller aufgerichtet. Die Inneneinrichtung sowie die Installationsarbeiten wurden hingegen in Eigenregie ausgeführt (400 Stunden).
Die gesamte Gülle wird unter dem Stall gelagert, in sieben voneinander unabhängigen Kanälen. Ein Umpumpen von einem Becken (Laufgang) in ein anderes (Futtertisch) ist jederzeit möglich. „Wir leben hier auf Moorboden“, erklärt Senior Geerdes, der Boden wurde vor etlichen Jahren schon mal zwei Meter tief gepflügt. „Da hatten wir gar keine andere Wahl als den Stall zu unterkellern!“
7.000 Euro pro Stallplatz
Natürlich drängt sich bei diesem ungewöhnlichen Stallkonzept unweigerlich die Frage nach den Baukosten auf. „Rund 7.000 € pro Kuhplatz haben wir investiert“, schätzt der Senior Klaas Geerdes, „Technik und alle Bodenbewegungen inbegriffen.“ Ob der Serre- Stall (bis zu 150 kg/m² Schneelast (Schneelastzone 2a) und bis zu Windlastzone 4)) nun günstiger war als ein vergleichbares herkömmliches Stallgebäude, darauf kann mir Klaas Geerdes keine Antwort geben. „Wir haben kein zweites Angebot eingeholt, wir wollten ja nur dieses System!“ Die meisten anderen „Gewerke“ wurden hingegen ausgeschrieben. Diese Aufgabe erledigte der Senior mit Unterstützung eines örtlichen Architekten („Es ging alles über meinen Tisch“). Ebenso übernahm der „Chef“ die Rolle des Bauleiters – mit Erfolg, denn letztlich wurde der Zeitplan zu 100% eingehalten. Nach exakt sechs Monaten Bauzeit konnten die ersten Kühe in den Stall einziehen.
In den kommenden Monaten steht jetzt noch die Befestigung der Außenanlage an und der Ausbau des Zutriebs zur sieben Hektar großen Weide. Auf die Weide während des Sommerhalbjahres möchten Christian und Klaas Geerdes nämlich nicht verzichten. Schon installiert ist denn auch das Selektionstor am hinteren Giebel, mit dessen Hilfe im kommenden Frühjahr der Zugang der Kuhherde ins Grüne gesteuert werden soll. Man darf gespannt sein, welchen Aufenthaltsort die Kühe dann bevorzugen werden: den Wintergarten oder die Weide? G. Veauthier