Es war einmal ... So, da waren sich die Genossen der Agrofarm eG Lüssow einig, soll die Geschichte ihres Betriebes nicht beginnen. Sie haben deshalb in den vergangenen Jahren gemeinsam beschlossen, ihren Milchviehbetrieb für die Zukunft zu wappnen.
Hügelige Weite. Ackerflächen so weit das Auge reicht. Nur unterbrochen von mächtigen,...
Es war einmal ... So, da waren sich die Genossen der Agrofarm eG Lüssow einig, soll die Geschichte ihres Betriebes nicht beginnen. Sie haben deshalb in den vergangenen Jahren gemeinsam beschlossen, ihren Milchviehbetrieb für die Zukunft zu wappnen.
Hügelige Weite. Ackerflächen so weit das Auge reicht. Nur unterbrochen von mächtigen, Jahrhunderte alten Eichen und Buchen. Die breite Kreisstraße schlängelt sich entlang an gelb gefärbten Gerstenfeldern. An dieser Straße im Landkreis Rostock befindet sich auch die Agrargenossenschaft Agrofarm eG Lüssow. Das Gelände der Agrargenossenschaft ist durch einen Weg in zwei Hälften geteilt: Auf der linken Seite das Bürogebäude und der neue Gemeinschaftsraum, auf der rechten die aneinandergereihten Ställe für 900 Kühe. Noch aus DDR-Zeiten, aber zu luftigen und hellen Ställen umgebaut.
Ein näher kommendes Motorengeräusch, der gelbe Teleskoplader biegt in den Stall ein, senkt im Fahren die Gabel ab und fährt in den Mist hinein. Für viele sicherlich nur schwer vorstellbar, aber der Fahrer des Teleskopladers ist genauso Besitzer des Milchviehbetriebes wie sein Vorstandsvorsitzender, Lars- Peter Loeck.
Dieser Gleichheitsgedanke ist den Mitarbeitern sehr wichtig, deshalb setzen Lars-Peter Loeck und seine Vorstandskolleginnen Julia Prützmann und Wencke Ladwig alles daran, die Genossenschaft und ihre Milcherzeugung zu erhalten. Für sie ist dieses Modell ein Weg in die Zukunft.
Investoren unerwünscht
Agrargenossenschaften haben dieser Tage mit zwei großen, existenzgefährdenden Problemen zu kämpfen. Da ist auf der einen Seite, und da unterscheiden sie sich in keinster Weise von allen anderen Milchviehbetrieben, die Milchpreiskrise, die auch ihre Milcherzeugung massiv bedroht. Daneben aber haben sie mit schrumpfenden Mitgliederzahlen und infolgedessen mit dem Auseinanderbrechen der Genossenschaften zu kämpfen. Der Grund: Mehr und mehr Genossen der ersten Stunde gehen in Rente. Und nur selten können junge Mitarbeiter dazu begeistert werden, wieder Genossenschaftsanteile zu zeichnen. Die Anteile der Alten gehen deshalb nicht selten an einen Geschäftsführer, der so nach und nach die Genossenschaft aufkauft oder an Investoren, die sich sukzessive in den Agrargenossenschaften einnisten.
Wie groß dieser Druck ist und war, lässt sich an der Entwicklung der Agrargenossenschaften sowie deren durchschnittlicher Mitgliederzahl in Deutschland erkennen. Gab es im Jahr 2009 im Deutschen Raiffeisenverband noch 852 Agrargenossenschaften, lag ihre Zahl im Jahr 2015 nur noch bei 750. Noch stärker aber ist dieser Wandel an den durchschnittlichen Mitgliederzahlen zu erkennen. Allein von 2007 bis zum Jahr 2012 schrumpfte die Anzahl der Genossen von 48 auf 38 pro Betrieb. Das sollte der Agrofarm nicht passieren! Doch wie kann man gegen diesen Trend ansteuern?
Die Alten bleiben
Um diesen Trend aufzuhalten und damit den Fortbestand zu sichern, passte die Genossenschaft schon vor einigen Jahren ihre Satzung an. „Eine wichtige Änderung“, da ist sich Lars-Peter Loeck sicher, „ist die Einführung der Seniormitgliedschaft.“ Diese ermöglicht es ehemaligen Mitgliedern, in der Regel den Rentnern, weiter Genossen und damit Teil des Betriebes zu sein. Dabei haben sie nach Lars-Peter Loecks Aussage die gleichen Rechte wie vor ihrem Ruhestand. „So können wir die Ehemaligen langfristig an uns binden. Einige kommen auch noch regelmäßig, um nach dem Rechten zu sehen“, sagt Lars-Peter Loeck und schmunzelt. Andere wiederum hielten ihre Anteile wegen der Dividende, die die Genossenschaft alljährlich auszahlt. Aber das sei in Ordnung. „Hauptsache, unsere Agrargenossenschaft wird nicht durch eine hohe Fluktuation geschwächt.“
Die Seniormitgliedschaft allein ist jedoch nicht die einzige Veränderung, die der Vorstand in die Satzung eingefügt hat. „Denn vor allem in der Jugend liegt ja die Zukunft unseres Betriebes.“ Doch wie eine Mitgliedschaft Auszubildenden mit schmalem Gehalt schmackhaft machen? Die Lösung, sagt Lars-Peter Loeck, liege darin, dass neue Mitglieder nun den Kaufpreis der Anteile über einige Jahre abstottern können. „Gerade die engagierten jungen Mitarbeiter möchten wir noch stärker für unseren Betrieb begeistern, sie zum Mitgestalten ermuntern. Mit dem neuen Finanzierungsmodell ist das nun möglich.“
Die Änderung der Satzung hat sich gelohnt, auch wenn nicht jeder der Mitarbeiter Genossenschaftsanteile hält. Denn entgegen des allgemeinen Trends ist die Mitgliederzahl wieder um fünf Genossen angestiegen und liegt derzeit bei 65, davon sind 26 Seniormitglieder. „Wir sind halt ein exklusiver Club“, sagt der Vorstandsvorsitzende und lacht.
Gekauft werden können maximal drei Anteile zu je 2.000 €. „Diese Investition ermöglicht aber nicht nur eine Mitsprache in der Genossenschaft. Bisher hat sich die Investition bereits immer im ersten Jahr amortisiert.“ Denn die Genossenschaft konnte in den vergangenen Jahren, auch im Jahr 2015, pro Anteil eine Dividende von 2.000 € auszahlen. „Das ist ja wohl mehr als man derzeit auf der Bank bekommt“, kommentiert Loeck mit deutlich zu hörender Zufriedenheit in der Stimme. Selbst in diesem von der Milchpreiskrise geprägten Jahr hat der Vorstand beschlossen, den Genossen noch eine Dividende von 500 € auszubezahlen.
Will doch ein Mitglied aussteigen, kann er seine Anteile nur an die Genossenschaft verkaufen. „So bleiben wir vor anderen Geldgebern geschützt.“
Im Wir liegt die Stärke
Doch Geld allein reicht nicht aus, damit alle an einem Strang ziehen. Das weiß auch Lars-Peter Loeck: „Wir investieren hier laufend in moderne Arbeitsplätze. Bei uns muss keiner mit einem alten Schlepper durch die Gegend fahren oder mit einem klapprigen Futtermischwagen füttern.“
Trotz all des Zusammenhalts und des Teamgedankens, wer nicht mitzieht und sich am Erfolg des Unternehmens beteiligt, der hat auf Dauer keinen Platz im Betrieb. „Der Vorstand entscheidet so etwas nicht selbstherrlich, wir quälen uns lange mit solchen Entscheidungen. Aber am Ende sind wir eben allen Mitgliedern verpflichtet.“ All das hört sich eigentlich an, als wäre die Genossenschaft wie ein großer Familienbetrieb. Alle arbeiten auf ein Ziel hin, alle haben das Wohl des Betriebes und der Herde im Auge. Funktioniert das wirklich?
Julia Prützmann, ebenfalls Vorstandsmitglied und verantwortlich für die Herde, öffnet das mit Netzen bespannte Tor zum Stall. Kuh 818, linkes Ohr nach unten geknickt, treuer Blick aus großen Augen, reckt ihren Kopf nach draußen. Ihre Schnauze erwartungsvoll nach vorne gestreckt: „Sie holt sich wenn möglich täglich ihre Streicheleinheiten ab“, sagt Julia Prützmann lachend und krault erst einmal die Ohren der Kuh, die sich genüsslich hin und her windet.“
Hier im Stall, da zeigt sich, ob der Wir-Gedanke wirklich funktioniert. Und vertraut man den Kennzahlen der Herde wird deutlich, die Zusammenarbeit auf dem Betrieb ist erfolgreich. Nicht nur, dass die Agrofarm eG Lüssow schon seit Jahren eine der leistungsstärksten Kuhherden in Mecklenburg-Vorpommern hat. „Wir haben in diesem Jahr die 11.000 kg Milch pro Kuh geknackt“, sagt Julia Prützmann und strahlt dabei. Auch die Langlebigkeit der Herde konnten sie nachhaltig verbessern. So weisen die Kühe beim Abgang inzwischen eine Lebensleistung von 37.700 kg auf. Solche guten Leistungen lassen sich tatsächlich nur erreichen, wenn allen Mitarbeitern der Erfolg des Betriebes am Herzen liegt.
Ein weiterer Erfolgsfaktor für die guten Leistungen ist dabei aber sicherlich auch das konsequente Auswerten und die Überwachung aller wichtigen Kennzahlen. „Unsere Kühe werden über Futterbänder gefüttert. Deshalb ist es uns möglich, täglich die Futtermengen der verschiedenen Leistungsgruppen zurückzuwiegen.“ So können sie z.B. zeitnah auf einen Rückgang der Futteraufnahme reagieren. Aber den Kühen gleichzeitig auch immer ausreichend Futter zur Verfügung zu stellen. Durch das tägliche Wiegen des Restfutters konnten sie auch die Unterschiede in der Futteraufnahme zwischen Färsen und Mehrlaktierenden ausmachen. „Die hochlaktierenden Färsen fressen bei uns 25 kg Trockenmasse, die älteren Kühe 27 kg pro Tag. Deshalb passen wir die Rationen den Anforderungen der Tiergruppen an.“ Die unterschiedliche Trockenmasseaufnahme ist auch ein Grund weshalb die Färsen und die mehrlaktierenden Kühe in jeder Laktationsphase in getrennten Gruppen aufgestallt sind.
Nicht nur bei den Kühen legen Julia Prützmann und ihre Kollegen großen Wert auf die Tierkontrolle. Auch die Entwicklung der Jungrinder wird konsequent überwacht. „Jedes Rind, dass bei uns besamt wird, muss erst einmal auf die im Stall fest installierte Waage. Wiegt das Jungrind keine 380 kg wird es nicht besamt.“
Trotz Preiskrise, weiter nach vorn!
Blaue, große Schläuche hängen über dem Abteil der frischmelkenden Färsen. Aus den Schlauchöffnungen weht eine frische Brise über die Tiere hinweg. Sich immer weiterentwickeln und nicht auf dem IST-Zustand ausruhen, das ist Julia Prützmann wichtig. Deshalb hat die Genossenschaft in einem Stallabteil in diesem Jahr auch in die Tubes investiert. „Wir wollen uns erst einmal anschauen, wie sich das Stallklima im Hochsommer hier bei den Färsen entwickelt. Dann werden wir entscheiden, ob sich die Schlauchlüftung auch für den Rest der Ställe anbietet“, erklärt Julia Prützmann. Um nicht nur „einem Gefühl“ zu folgen, wie sie sagt, arbeiten sie mit den Veterinären der Freien Universität Berlin zusammen, die im Rahmen eines Versuchs die Klimadaten aufzeichnen. Trotz der Milchpreiskrise will die Agrargenossenschaft weiter in ihre Zukunft investieren. „Wir versuchen trotz der desolaten Preissituation an der Weiterentwicklung unseres Betriebes zu arbeiten.“
Die Leistung stimmt also, die Motivation der Genossen auch. Da kann man Lars-Peter Loeck nur zustimmen, wenn er sagt: „Wir sind kein Auslaufmodell!“
Birte Ostermann-Palz