Aktuell brandheiße Vererber können sich morgen schon wieder auf den hinteren Rängen wiederfinden. Nicht alle Bullen können ihre Leistungen nach dem ersten Einsatz im Feld bestätigen.
Die Auswahl der Vererber entscheidet maßgeblich über den künftigen Betriebserfolg. Heute hochgehandelte genomische Bullen sollten deshalb auch morgen noch...
Aktuell brandheiße Vererber können sich morgen schon wieder auf den hinteren Rängen wiederfinden. Nicht alle Bullen können ihre Leistungen nach dem ersten Einsatz im Feld bestätigen.
Die Auswahl der Vererber entscheidet maßgeblich über den künftigen Betriebserfolg. Heute hochgehandelte genomische Bullen sollten deshalb auch morgen noch (nach Einsatz in den ersten Herden) gute Leistungen bringen. In der Praxis wird jedoch immer wieder diskutiert, dass Vererber, die mit einem hohen, genomisch unterstützten Zuchtwert in die Zuchtwertschätzung einsteigen, mit ersten Töchterinformationen oft deutlich absacken. Der Einsatz birgt also ein hohes Risiko. Ob dies nur ein „Gefühl“ ist oder ob die Zuchtwerte im Laufe der Zeit tatsächlich (deutlich) sinken und wie stark diese Schwankungen sind, damit beschäftigten sich Mitarbeiter der Hochschule Anhalt.
Zuchtwerte von 156 Vererbern
Der offizielle Zuchtwert eines Tieres ist eine Verknüpfung zweier Informationen: Der klassische Zuchtwert (ZW) wird durch Eigen- und/oder Töchterleistung oder ‑ wenn noch nicht vorhanden ‑ dem Pedigree-Index der männlichen Vorfahren errechnet. Der direkte genomische Wert (dGW) ist das Ergebnis der Genotypisierung. Beide Werte zusammen bilden den veröffentlichten kombinierten Zuchtwert (gZW), der im Laufe der Zeit durch die Ergebnisse der Töchtertests ergänzt wird. Besonders für niedrig erbliche bzw. spät anfallende Merkmale sind durch die genomischen Werte höhere Sicherheiten früher verfügbar.
In der Untersuchung der Hochschule Anhalt wurde berechnet, ob sich diese frühen genomischen Zuchtwerte drei Jahre später, nach Eingang der Töchterinformationen, bestätigen. Deshalb wurden die genomisch unterstützten Zuchtwerte verschiedener Holstein-Vererber aus der Zuchtwertschätzung Dezember 2010 mit denen der Schätzung im August 2013 verglichen.
Die beiden veröffentlichten Zuchtwerte berechneten sich wie folgt:
- Zuchtwerte Dezember 2010: Kombination aus direktem genomischen Wert und dem Pedigree-Index.
- Zuchtwerte August 2013: Kombination aus direktem genomischen Wert und Töchterinformationen.
- Zuchtwerte Dezember 2010: Kombination aus direktem genomischen Wert und dem Pedigree-Index.
- Zuchtwerte August 2013: Kombination aus direktem genomischen Wert und Töchterinformationen.
Bei der Zuchtwert-Berechnung wurde die jeweilige Basisanpassung von April 2011, 2012 und 2013 berücksichtigt, um ein objektiveres Bild des Zuchtwertvergleichs zu erhalten. Neben der Entwicklung des Relativ-zuchtwerts Gesamt (RZG) wurden auch die Relativzuchtwerte für die Milchleistung (RZM), das Exterieur (RZE), die Eutergesundheit (RZS), die funktionale Nutzungsdauer (RZN) und die Reproduktion (RZR) berechnet. Für die Auswertung zog man die Zuchtwerte von insgesamt 72 Bullen des Rinderzuchtverbandes Sachsen-Anhalt (RSA) und 84 Vererbern des Landesverbandes Thüringer Rinderzüchter (LTR) heran. Zur Zuchtwertschätzung im August 2013 wiesen die Bullen durchschnittlich mehr als 60 Töchter je Bulle auf, die sich im Mittel auf mehr als 36 Betriebe verteilten.
Die Vererber wurden je nach ihrem Relativzuchtwert in sieben verschiedene Gruppen eingeteilt (Übersicht 1). Bei der Gruppe 1 lag der Relativzuchtwert (RZG) bei ≤ 75, Vererber in der Gruppe 7 wiesen hingegen einen Relativzuchtwert von ≥ 136 auf.
Genomische Werte sinken
Die Datenanalyse ergab, dass der Relativzuchtwert Gesamt (gRZG 2013) in den drei Jahren im Durchschnitt sowohl bei den Holstein-Bullen der RSA von 114 auf 109 (Übersicht 2), als auch bei den Holstein-Vererbern aus Thüringen (116 vs. 112) sank. Der gleiche Trend zeigte sich bei den Relativzuchtwerten Exterieur (gRZE 2013). Damit wird deutlich, dass die genomisch unterstützten Relativwerte im Mittel mit dem Einfluss der Töchterinformationen absinken. Diese Abweichungen liegen jedoch noch in einem zu erwartenden Rahmen, da Zuchtwerte umso genauer werden je mehr Informationen in die Berechnung einfließen.
Lediglich die Relativzuchtwerte für Reproduktion (gRZR) und für die funktionale Nutzungsdauer (gRZN) entwickelten sich im Durchschnitt zwischen den Jahren 2010 und 2013 positiv. Auffällig war jedoch, dass auch die Standardabweichung der Zuchtwerte deutlich anstieg, d.h. die Streubreite der Zuchtwerte über- bzw. unterhalb des Mittelwerts zunahm.
Ein weiteres Ergebnis der Berechnung war, dass Vererber, die im Jahr 2010 einen hohen genomisch unterstützten Relativzuchtwert Gesamt (gRZG 136) aufwiesen, im Durchschnitt deutlich stärker überschätzt wurden. Der Relativzuchtwert dieser Bullen ist seit 2010 deutlich stärker abgesunken als bei Holstein-Bullen, die einen mittleren gRZG in 2010 aufwiesen. Eine Überschätzung nimmt somit mit steigendem gRZG 2010 zu (Übersicht 3 und 4).
Es konnte aber auch festgestellt werden, dass die höchsten töchterbasierten Zuchtwerte (gRZG 2013) nicht zwingend aus der Gruppe der höchsten Zuchtwertbullen aus dem Jahr 2010 stammten. Hier sollten weitere Analysen folgen, denn in anderen Verbänden oder Organisationen könnten andere Ergebnisse beobachtet werden. In der Summe wäre es jedoch wichtig, dass die Zuchtorganisationen oder die „Verkäufer“ die Landwirte als Kunden nicht nur über die „Überflieger“ informieren, sondern auch starke negative Abweichungen (vor allem bei Bullenvätern) kommunizieren.
Einzelne Bullen fallen besonders auf
Problematischer als die variierenden durchschnittlichen Zuchtwerte sind jedoch die extrem starken Abweichungen einzelner Vererber. Ihr Einsatz ‑ vor allem bei einem breiten Einsatz in den Herden ‑ kann sich negativ für Zuchtfortschritt und Leistung der einzelnen Milchviehbetriebe auswirken. So sanken bei einigen Vererbern die gRZG 2013 (mit Töchterinformationen) um bis zu 32 Relativpunkte im Vergleich zum gRZG 2010 (mit Pedigree-Index) ab (Übersicht 5). Insgesamt wiesen 34 % der analysierten Bullen eine Abweichung im gRZG 2013 gegenüber dem gRZG 2010 von mehr als zehn Punkten auf. Das gleiche Bild zeigte sich auch bei den Relativzuchtwerten Exterieur (RZE). Auch hier sanken die Werte einzelner Bullen im Zeitraum 2010 bis 2013 um bis zu 23 Relativpunkte (Übersicht 6). Diese starken Abweichungen bei einzelnen Bullen zeigten sich sowohl bei Vererbern des Rinderzuchtverbands Sachsen-Anhalt als auch bei Bullen des Landesverbandes Thüringer Rinderzüchter.
Fazit: Die Ergebnisse der Zuchtwerte-Analyse verdeutlichen, dass auch zukünftig das Pedigree der Vererber sowie eine ausreichende Anzahl an Töchterinformationen (breiter Einsatz) wieder stärker in den Fokus der Zucht rücken sollten, sowohl auf Seiten der Milcherzeuger als auch auf der der Zuchtorganisationen. Das Hauptaugenmerk sollte auf dem Einzeltier/Vererber liegen.
Für die Zucht und damit für die genetische Zukunft der Milchviehbetriebe reicht es nicht aus, wenn zwar die Mittelwerte der Relativzuchtwerte nach Eingang der Töchterinformationen passen, einzelne Vererber jedoch sehr stark in ihrer Leistung nachlassen. Die genomische Selektion bei Bullen ist ein Hilfsmerkmal bei der Auswahl potenzieller Besamungsbullen und sollte auch als solches gesehen werden. Um Risiken zu minimieren sollten sich Milcherzeuger bei den genomischen Bullen im Gegensatz zu den töchtergeprüften Vererbern nicht auf einzelne Vererber konzentrieren und den Einsatz auch in einem überschaubaren Rahmen halten. -os-