Genomische Selektion ist gang und gäbe bei potenziellen Besamungsbullen oder Bullenmüttern. Warum sie sich auch für „normale“ Rinder eignet, erklärt Kent Weigel (Universität Wisconsin).
Es könnte so einfach sein: Eine gute Kuh mit einem dazu passenden, gut getesteten Bullen anpaaren und – schwups – steht die hochwertige Färse für...
Genomische Selektion ist gang und gäbe bei potenziellen Besamungsbullen oder Bullenmüttern. Warum sie sich auch für „normale“ Rinder eignet, erklärt Kent Weigel (Universität Wisconsin).
Es könnte so einfach sein: Eine gute Kuh mit einem dazu passenden, gut getesteten Bullen anpaaren und – schwups – steht die hochwertige Färse für die Remontierung der Herde parat. Leider spielt die Natur hier ihre eigenen Karten und gar nicht so selten bleibt das „Kracher-Rind“ in seiner ersten Laktation deutlich hinter den Erwartungen zurück. Dabei könnte man bares Geld sparen, wenn man nur die Jungrinder aufzieht, welche die Herde später weiterbringen.
Sehr junge Bullen werden heute viel häufiger eingesetzt als zuvor: Im Jahr 2012 wurden mehr als 50 % der Besamungen bei Holsteins und Jerseys mit vorselektierten Jungvererbern durchgeführt, die selbst noch keine Nachkommen vorweisen konnten. Dieser Wert hat sich seit 2007 mehr als verdoppelt. Die Sicherheit auf der Väterseite hat sich bei diesen jungen Bullen gegenüber den Altbullen zwar reduziert, entspricht aber trotzdem in etwa der Sicherheit bei den früheren Testbullen. Doch wie sieht es bei „ganz normalen“ Kühen aus? Könnte man auch hier die Sicherheit erhöhen, um letztendlich bessere Nachzucht zu realisieren?
Bisher war in den Zuchtprogrammen immer der Zuchtfortschritt in weiblichen Tieren das schwächste Glied der Kette. Die Betriebe mussten nahezu alle auf dem Hof geborenen Färsen zur Remontierung ihrer Herde behalten, weil man erst mit der Kalbung und der ersten Milchkontrolle die Qualität einer Färse einschätzen konnte. Doch dieses Paradigma beginnt zu bröckeln: Viele Betriebe ziehen durch bessere Haltung, verbesserte Kälbergesundheit, weniger unfreiwillige Abgänge und höhere Trächtigkeitsraten sowie dem Einsatz von gesextem Sperma mehr weibliche Kälber auf, als sie benötigen. Sie schaffen erstmals die Möglichkeit, bei Kuhkälbern zu selektieren. Dazu kommt der Preisverfall bei den Chips für die genomische Analyse. Die Genotypisierung mittels Low-Density-Chip ist mittlerweile über die Zuchtverbände für unter 60 € pro Tier möglich (z. B. Masterrind: 49 € zzgl. Steuern, RUW: 55 € zzgl. Steuern). Indem man bereits früh über- und unterdurchnittliche Kälber sicher auseinanderhalten kann, ließen sich Futterkosten sparen und das genetische Niveau der Herde verbessern. Aber klappt das auch tatsächlich?
Seit 2011 Mutterkälber genotypisiert
Die Allenstein Dairy Herd an der Universität von Wisconsin, Madison, besteht aus 764 Kühen mit einem Herdenschnitt von 12.865 kg Milch (488 kg Fett, 406 kg Eiweiß; zweimaliges Melken). Seit 2011 wurde jedes Mutterkalb während der Tränkephase mit einem Low-Density-Chip (Clarifide, Zoetis) getestet. Rund 400 der mehr als 1.000 getesteten Färsen wurden mittlerweile aufgezogen und in die Milchviehherde eingegliedert, sodass nun genügend Informationen zur Verfügung stehen, um die Genauigkeit der Schätzungen zu überprüfen.
Insgesamt wurde bei 411 Holstein-Färsen (1. Lakta- tion) mit mehr als 60 Tagen in Milch die genetische Veranlagung für verschiedene Merkmale geschätzt, die „genomic predicted transmitting ability“ (PTA; mittlere genetische Vorhersage). Unter dieser US-amerikanischen Kennzahl versteht man die Fähigkeit eines Zuchttieres, Eigenschaften wie Milchmenge, Milchinhaltsstoffe oder Fruchtbarkeitsmerkmale an seine Nachkommen zu übertragen. Der deutsche Zuchtwert beschreibt die Hälfte der PTA.
Die PTA für Milchmenge wurde mit der tatsächlichen 305-Tage-Leistung auf ME-Basis (mature equivalent, eine auf Kalbedatum, Alter und Melkfrequenz standardisierte Milchmenge) verglichen. Als Referenz wurde zudem die erste 305-Tage-Produktion jeder Kuh mit der PTA für die Milchmenge ihres Vaters aus der August-Zuchtwertschätzung 2014 verglichen.
Lohnt sich die Investition?
Die genomisch geschätzte PTA einer Kuh, die als Kalb aus den „eigenen“ Genen berechnet wurde, erklärte 18,8 % der Variation der ersten 305-Tage-Leistung, während der reine Pedigreezuchtwert (Milch-PTA des Vaters) nur einen Anteil von 4,4 % an der Variation beschreiben konnte. Die Genotypisierung eines weiblichen Jungrindes bringt also einen Wissenszuwachs. Doch wiegt dieser Zugewinn an Wissen die Kosten der Genotypisierung (umgerechnet hier etwa 40 €) auf?
Um dies herauszufinden, wurden die Kühe in vier Quartile eingeteilt: abhängig von ihrer eigenen genomischen PTA für die Milchmenge in einem Alter von zwölf Monaten, zudem in einer zweiten Auswertung aufgrund der Milch-PTA des Vaters. Der Leistungsunterschied zwischen den besten und schlechtesten 25 % betrug bei einer Rangierung auf Basis eigener (Färsen-)Zuchtwerte 2.178 kg Milch. Zum Vergleich: Rangiert man die Kühe anhand der Werte ihrer Väter, war der Unterschied zwischen den besten und den schlechtesten 25 % nur halb so groß, nämlich 1.074 kg Milch. Daraus folgt, dass die genomische Information von Einzeltieren genauere Selektionsentscheidungen erlaubt als solche, die sich nur auf väterliche Pedigreeinformationen beziehen. Hinweis: In den USA sind bei rund 15 % der Kühe falsche Abstammungsinformationen zugeordnet. In der Testherde betrug die Fehlerhäufigkeit bei der Identifikation der Väter rund 5 %. Diese Fehler wurden bereits durch die Genotypisierung korrigiert.
Die Kosten „falscher“ Selektion
Wie hoch wären die Kosten ausgefallen, wenn anstatt der tatsächlich schlechtesten 25 % der Herde (Genotypisierung weibliche Kälber) die Rinder aufgrund der Väterinformationen (Pedigree) selektiert worden wären?
Der Mehrertrag durch „eigene“ Zuchtwerte beträgt rund 108 kg Milch pro Laktation bzw. 297 kg Milch über die Nutzungsdauer hinweg. Der mittlere Milchertrag der besten 75 %, basierend auf genomischer PTA (13.532 kg) minus dem durchschnittlichen Milchertrag der top 75 %, welche „nur“ durch Väterinformationen ausgewählt wurden (13.424 kg), ergibt 108 kg Milch (Übersicht 1 und 2). Multipliziert mit durchschnittlich 2,75 Laktationen pro Kuh macht dies 297 kg Milch Gesamtleistung. Nach Abzug der zusätzlichen Futterkosten für diese 297 kg Milch (43 % des zusätzlichen Milchwerts) und einem Drei-Jahres-Durchschnittspreis von 18,13 €*/45 kg verbleibt ein zusätzliches Einkommen von 68 € pro Kuh bzw. etwa 21.000 € insgesamt (68 € pro Kuh mal 309 Tiere, die zur Remontierung dienten). Die Kosten für die Genotypisierung betragen 16.440 € (40 € für die Genotypisierung mal 411 getestete Tiere).
Bedenken Sie, dass der genetische Fortschritt dauerhaft erhalten bleibt. Sie fahren also weiterhin finanzielle Gewinne ein, wenn Sie die Töchter und Enkelinnen jener Färsen melken, die per Genotypisierung ausgewählt wurden.
Auch in Sachen Fruchtbarkeit und Tiergesundheit kann sich die genomische Selektion bei Färsen lohnen. Der Unterschied zwischen den Güsttagen, ausgedrückt durch die genomische PTA für Töchterfruchtbarkeit (genomic PTA for daughter pregnancy rate, DPR) zwischen den besten und schlechtesten 25 % der Färsen betrug 21 Tage (Übersicht 3). Nutzte man die Väter-PTA der DPR, betrug der Unterschied lediglich 3,4 Tage (Übersicht 4). Es lässt sich also mithilfe eigener Zuchtwerte auch hier schärfer selektieren. Nimmt man Kosten von zwei bis vier Euro pro Güsttag an, hilft die bessere Fruchtbarkeit dabei, dass sich die Typisierungskosten amortisieren.
Fazit
Genomische Werte sind nicht perfekt, aber deutlich informativer als Pedigreeinformationen allein. Das trifft nicht nur auf junge Besamungsbullen und Bullenmütter zu, sondern auch für Färsen zur Remontierung in „normalen“ Produktionsherden. Basierend auf den Daten der Versuchsherde aus Wisconsin lässt sich festhalten, dass die Vorteile die Kosten der Genotypisierung aufwiegen.
Dies funktioniert jedoch nur dann, wenn die Typisierungsergebnisse zu den richtigen Rückschlüssen im Management führen. Die schlechtesten 25 % der Nachzucht sollten abgehen, um Futter zu sparen und dadurch die Kosten der Genotypisierung wieder hereinzuholen. Kostet die Aufzucht nach dem Absetzen rund 2,30 $ (etwa 2 €) pro Tag, hätte man im Versuch durch den Verkauf der 102 schlechtesten Kuhkälber in einem Alter von drei Monaten näherungsweise 148.000 $ (131.500 €) Aufzuchtkosten sparen können.
Zudem sollte man, wann immer möglich, weitere Vorteile der Genotypisierung nutzen:
- Sehr gute Tiere als Eizellspender, unterdurchschnittliche Rinder als Empfängertiere verwenden.
- Bei den besten Tieren gesextes Sperma einsetzen (weibliche Nachzucht von wertvollen Tieren).
- Anpaarung auf Grundlage der genetischen Informationen (Erbfehler vermeiden, Inzucht minimieren).
- Sehr gute Tiere als Eizellspender, unterdurchschnittliche Rinder als Empfängertiere verwenden.
- Bei den besten Tieren gesextes Sperma einsetzen (weibliche Nachzucht von wertvollen Tieren).
- Anpaarung auf Grundlage der genetischen Informationen (Erbfehler vermeiden, Inzucht minimieren).
Am meisten bringt Genotypisierung in Kombination mit Embryotransfer, In-Vitro-Fertilisation, gesextem Sperma, Anpaarungsprogrammen und anderen Reproduktions- und Managementtechnologien. -cs-