In der Zeit rund um die Geburt wird der Stoffwechsel von einem feinen Konzert von Hormonen gesteuert. Bei hochleistenden Kühen kommen die Instrumente aus dem Takt!
Ein solide gemanagter Milchviehbetrieb in Deutschland: Die Herde erreicht eine hohe Milchleistung, sie befindet sich im oberen Viertel der Auswertungsbetriebe der Region; der...
In der Zeit rund um die Geburt wird der Stoffwechsel von einem feinen Konzert von Hormonen gesteuert. Bei hochleistenden Kühen kommen die Instrumente aus dem Takt!
Ein solide gemanagter Milchviehbetrieb in Deutschland: Die Herde erreicht eine hohe Milchleistung, sie befindet sich im oberen Viertel der Auswertungsbetriebe der Region; der Herdenmanager hat einen guten Blick fürs Tier. Doch trotzdem scheinen manche Kühe die Hochleistung besser wegzustecken als andere, trotz gleicher Futtergrundlage und sorgfältiger Betreuung. Woran liegt das?
Aufschluss gibt ein Blick in die Kuh: Glukose ist der Hauptenergielieferant im Organismus. Normalerweise versorgt sich jedes Organ selbst mit genügend Glukose aus dem Blut, um seinen Energiebedarf zu decken. Die Organe benötigen dazu Insulin als „Schlüssel“ (Übersicht 1). Wenn eine Kuh ein Kalb bekommt, stellt sich der Stoffwechsel um: Das Überleben des Nachkommen hat nun oberste Priorität. Dazu werden Gebärmutter und Euter (hier ist Glukose der Baustein für den Milchzucker) in die Lage versetzt, die Glukose auch ohne Insulin direkt aus dem Blut aufzunehmen. Diese beiden erhalten also bevorzugt Energie.
Die Veränderung im Stoffwechsel beginnt circa drei Wochen vor der Kalbung, wenn das Kalb noch einmal stark wächst. Zudem wird Glykogen, eine Speicherform der Glukose im Körper, kurz vor der Geburt in die Leber des Kalbes eingelagert. Es dient dort als „Notreserve“ (bis etwa vier Tage nach der Geburt) und stellt einen weiteren „Energiefresser“ für die trächtige Kuh dar.
Normalerweise kommt der Stoffwechsel wieder ins Gleichgewicht, sobald die negative Energiebilanz (NEB) nach der Abkalbung überwunden ist und genügend Energie zur Verfügung steht. Hochleistende Milchkühe sind allerdings durch die Zucht der vergangenen Jahrzehnte besonders gut und lange in der Lage, der Milchdrüse den Vorzug zu geben und Glukose in Richtung Euter umzuleiten.
Hochleistung nicht per se ein Problem
Viele Kühe kommen mit der Bevorzugung des Euters gut zurecht. Bei manchen hält die „Unterversorgung“ der übrigen Organe jedoch länger an. Dann besteht die Gefahr, dass bei hohen Milchleistungen (massiver Transfer von Glukose ins Euter bei nur begrenzter Futteraufnahme) nicht genügend Energie übrig bleibt. Die Folge: Prozessen wie Immunabwehr oder Fruchtbarkeit geht der Treibstoff aus. Was läuft bei diesen Kühen schief?
Bei gesunden Kühen sorgt ein hoher Glukosegehalt im Blut dafür, dass Insulin ausgeschüttet wird. Die Zellen in den Organen sollen die Glukose schließlich aus dem Blut aufnehmen, um mit der Energie die in den Zellen ablaufenden Prozesse „anzufeuern“. Insulin hat jedoch einen Gegenspieler, das seine Wirkungen hemmt – das Wachstumshormon (GH). GH ist eigentlich dafür zuständig, die Bildung weiterer Hormone anzuregen, die für das Zellwachstum in den Organen zuständig sind (Übersicht 4, siehe Kasten auf Seite 59). Läuft dieser Prozess korrekt ab, ist immer nur so viel GH im Blut, wie der Körper benötigt, um die Wachstumsprozesse am Laufen zu halten.
Nach der Kalbung verhindert jedoch die Negative Energiebilanz (Energiemangel) die Bildung von GH-Rezeptoren in der Leber, die das GH aus dem Blutstrom auffangen. Der Körper bemerkt, dass die vom GH beabsichtigten Wirkungen nicht mehr eintreten und stößt noch mehr GH aus, um dies zu korrigieren. Die „Entkopplung“, das Aufschaukeln des GH-Gehalts im Blut, verursacht eine Insulinresistenz, also eine verminderte Insulinwirkung in den Geweben. Die Folgen:
Die Milchdrüse, die auf Insulin nicht angewiesen ist, kann weiterhin Glukose nutzen. Bei jeder Kuh tritt nach der Geburt die Negative Energiebilanz auf, die Entkopplung des Wachstumshormons kommt jedoch bei hochleistenden Kühen häufiger vor (Übersicht 2). Die Milch läuft weiter – aber auf Kosten der Fruchtbarkeit!
Denn IGF-1 (eines der Hormone, deren Produktion GH auslösen sollte) und Insulin steuern im Follikel gemeinsam mit FSH und LH das Zellwachstum, das Brunstverhalten und die Ovulation. Im Gelbkörper stimulieren sie mit LH die Progesteronausschüttung und sorgen dafür, dass in der Gebärmutter neue Schleimhaut wächst, die Entwicklung des Embryos gefördert wird und so die Gefahr der Embryoverluste verringert wird. Sinkt der IGF-Gehalt ab, benötigt eine Milchkuh länger, um wieder tragend zu werden (die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tier zur ersten Besamung tragend wird, steigt mit der Futteraufnahme und dem IGF1-Gehalt im Blut; Patton et al., 2006). Zum anderen steht durch die verminderte Insulinwirkung weniger Energie für die Immunabwehr zur Verfügung, was Metritis begünstigt.
Und sobald ein weiteres Ereignis auftritt, das die Futteraufnahme bremst (Lahmheit, Fütterungsfehler), multipliziert sich das Problem. Langfristig müssen daher Kühe selektiert werden, die darauf gut angepasst sind: viel Milch, mit genügend IGF1 bzw. genügend Bindeproteinen und Rezeptoren. Diese Kühe gibt es, jedoch sind sie bisher noch nicht systematisch in ein Zuchtprogramm integriert. Genomische Selektion bietet sicherlich in Zukunft noch einige Möglichkeiten.
Auch in Bezug auf Fruchtbarkeit ist wahrscheinlich eine Auswahl zur Zucht möglich. In einer Studie von Schneider et al. (2013) konnten die Wissenschaftler eine Genvariante eines Wachstumshormonrezeptors (Alu1) identifizieren, bei der die Kühe deutlich schneller tragend wurden. Die Unterschiede zwischen fruchtbaren und weniger fruchtbaren Kühen scheinen vor allem auf Ebene der Rezeptoren für die Hormone zu finden zu sein, wie eine ander Studie (Cummins et al. 2012) ergab.
Bei Färsen fällt ein hoher IGF-Gehalt mit hohen täglichen Zunahmen zusammen (Brickell et al. 2009). Die frühe Fütterung bis zum ersten Monat hat ei-nen signifikanten Effekt auf die IGF1-Konzentration im Blutplasma. Intensive (Ad libitum-)Fütterung zahlt sich hier aus, denn die Rinder kommen früher in die Pubertät.
Die Transitphase ist der Schlüssel
Was heißt das nun also für die Praxis? Die Transitphase ist entscheidend. Gerade wenn der BCS vor der Kalbung zu niedrig oder zu hoch ausfällt, kommt die Negativspirale in Gang. Kommen Sie aber nicht auf die Idee, Blutuntersuchungen in Ihrem Bestand durchzuführen, um den Gehalt an IGF oder GH im Blut festzustellen. Fehlschlüsse sind häufig. Im Blut ist IGF1 relativ gut interpretierbar. Welche Wirkung es konkret in den Organen auslöst, hängt jedoch von dem Zusammenspiel mit IGF-Bindeproteinen ab. Besser ist es, die Erklärungen im Hintergrund im Kopf zu behalten und im Management auf eine ausreichende Futteraufnahme zu achten (maximale Energiebereitstellung). Kein Fett in der Transitperiode und in den ersten 6 bis 8 Wochen der Laktation einsetzen; Fettsäuren im Blut verstärken die Insulinresistenz und reduzieren den Appetit. C. Stöcker