Nachdem lange nur auf eine hohe Milchleistung selektiert wurde, werden mittlerweile auch Fitnessmerkmale einbezogen. Doch das reicht nicht aus: Um die negative Energiebilanz nach der Kalbung wirklich zu beschränken, muss die Futteraufnahme in die Zuchtwertschätzung einfließen.
Die Leistungen der Milchkühe sind in Deutschland gerade in den...
Nachdem lange nur auf eine hohe Milchleistung selektiert wurde, werden mittlerweile auch Fitnessmerkmale einbezogen. Doch das reicht nicht aus: Um die negative Energiebilanz nach der Kalbung wirklich zu beschränken, muss die Futteraufnahme in die Zuchtwertschätzung einfließen.
Die Leistungen der Milchkühe sind in Deutschland gerade in den zurückliegenden Jahren rasant gestiegen. Mittlere Herdenleistungen von über 12.000 kg Milch/Kuh/Jahr sind heute keine Seltenheit mehr. Die konsequente Erhöhung der Milchleistung beruhte in erster Linie auf einer Selektion nach hoher Einsatzleistung. Da die begrenzte Futteraufnahmekapazität (FA-Kapazität) vor allem zu Beginn der Laktation jedoch nicht berücksichtigt wurde, hat dies zu einer dramatischen Zunahme der negativen Energiebilanz (NEB) geführt.
Eine Milchkuh deckt ihren Nährstoff- und Energiebedarf zu Beginn der Laktation jedoch nicht in ausreichendem Maß über das aufgenommene Futter. Daher mobilisiert sie ihre Körperreserven (Glycogen, Fett und Protein). Dieser Prozess ist evolutionär festgelegt und tritt bei fast allen Säugetieren auf, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.
Eigene Berechnungen zeigen, dass die NEB bei hochleistenden Milchkühen heute praktisch das gesamte erste Laktationsdrittel umfasst. Auch Eastridge (2006) hat bei US-amerikanischen Milchkühen eine Veränderung der Milchleistung der Veränderung der Futteraufnahme gegenübergestellt: Im Zeitraum von 1980 bis 2003 erhöhte sich die Milchleistung um über 50 %, die Futteraufnahme jedoch lediglich um ca. 25 %. Die Milchleistung und damit der Energiebedarf der Milchkühe veränderten sich also rasanter als die Fähigkeit zur Futteraufnahme. Eine lang andauernde und starke NEB stellt einen bedeutenden Risikofaktor für verschiedene Erkrankungen bzw. Fruchtbarkeitsstörungen dar. Neue Zuchtstrategien betrachten daher nicht nur die Einsatzleistung, sondern auch die Dauer und den Umfang der NEB.
Züchtung statt Kraftfutter
Um das Problem der NEB zu lösen, setzen Milchkuhhalter speziell im ersten Laktationsdrittel immer mehr Kraftfutter ein. Hier werden jedoch die physiologischen Grenzen der Milchkühe oft überschritten (Pansenübersäuerung!). Als Alternative bieten sich genetisch-züchterische Möglichkeiten an:
- Auf einen weiteren Anstieg der Milchleistung im ersten Laktationsdrittel verzichten, falls damit eine Ausdehnung der NEB verbunden ist;
- die Futteraufnahme verbessern, vor allem im ersten Laktationsdrittel;
- die Milchleistung im Laktationsverlauf klar unterschiedlich bewerten (= geringere Gewichtung der Milchleistung im ersten Laktationsdrittel, höhere Bewertung der Milchleistung nach dem 100. Laktationstag; Selektion auf eine flachere Laktationskurve);
- den Milchfettgehalt züchterisch senken, während man den Milcheiweißgehalt weiter steigert (vor allem im ersten Laktationsdrittel, Veränderung des aktuellen Milchfett- : Milcheiweißverhältnisses).
- Auf einen weiteren Anstieg der Milchleistung im ersten Laktationsdrittel verzichten, falls damit eine Ausdehnung der NEB verbunden ist;
- die Futteraufnahme verbessern, vor allem im ersten Laktationsdrittel;
- die Milchleistung im Laktationsverlauf klar unterschiedlich bewerten (= geringere Gewichtung der Milchleistung im ersten Laktationsdrittel, höhere Bewertung der Milchleistung nach dem 100. Laktationstag; Selektion auf eine flachere Laktationskurve);
- den Milchfettgehalt züchterisch senken, während man den Milcheiweißgehalt weiter steigert (vor allem im ersten Laktationsdrittel, Veränderung des aktuellen Milchfett- : Milcheiweißverhältnisses).
Die Futteraufnahme ist weniger stark erblich als die Milchleistung. Daher führen diese Selektionsansätze durch die genetischen Zusammenhänge zu sehr unterschiedlichen Selektionserfolgen. Alle genannten Ansätze werden immer erst mit der Etablierung einer neuen Generation praktisch wirksam, d. h. die Züchtung kann hier keine kurzfristigen Erfolge bieten. Über 12 bis 20 Jahre hinweg können sich die Fortschritte jedoch sehen lassen.
Futteraufnahme richtig bewerten
Um die Futteraufnahme korrekt zu bewerten, ist das Merkmal innerhalb verschiedener Laktationsabschnitte deutlich zu unterscheiden. Zu Beginn der Laktation muss das Merkmal Futteraufnahme als besonders wichtig erachtet werden, während es in der zweiten Hälfte eine eher negative Bewertung erfährt. Nur so lässt sich eine weitere Ausdehnung der NEB bei hochleistenden Milchkühen im ersten Laktationsdrittel verhindern.
Dies ist nicht nur im Sinne von Tierwohl und Tierschutz hochleistender Milchkühe, sondern auch im Interesse der Ressourcenschonung (kein Luxuskonsum zum Ende der Laktation). Außerdem ist die Futteraufnahme eine wichtige Größe zur Bewertung möglicher Methan(CH4)-Emissionen und wird zur Bewertung der Energiebilanz (EB) der Milchkuh herangezogen.
Die differenzierte Bewertung des Merkmals Futteraufnahme im Laktationsverlauf ist auch deshalb berechtigt, da einerseits die Futteraufnahme in verschiedenen Laktationsabschnitten von unterschiedlichen Genen bestimmt wird und gleichzeitig die Beziehungen zur Milchleistung und Körpermasse der Tiere variieren.
In den Niederlanden wird die Futteraufnahme bereits in die Zuchtprogramme einbezogen. Bei Holstein-Kühen ist dies besonders angesagt, da die auf Milchleistung gezüchteten Kühe zu Beginn der Laktation wenig Muskelmasse (Körperreserven) „zuschießen“ können.
Leistungsprüfung Futteraufnahme
Die Niederländer etablierten eine genomisch gestützte Zuchtwertschätzung für die Futteraufnahme. Um sichere Zuchtwerte zu erhalten, ist eine zuverlässige Leistungsprüfung zu Futteraufnahme, Milchleistung, Körpermasse und weiteren Merkmalen von mindestens 3.000 bis 4.000 gleichzeitig genotypisierten Milchkühen nötig. Für objektive Daten sind komplizierte technische Geräte wie Wiegetröge notwendig, die derzeit nur in wenigen Forschungseinrichtungen zur Verfügung stehen. Aktuell werden sehr umfassende staatliche Forschungsförderungsprojekte in Deutschland vergeben, um diese notwendigen Referenzdatenmengen in den nächsten drei Jahren zu erstellen.
Entscheidend wird aber sein, wie der Deutsche Holsteinverband (DHV) und seine Mitgliedsorganisationen nach Ablauf der staatlichen Förderung mit den Daten der Referenzpopulation verfahren. Idealerweise wird die Datenbasis weiter vergrößert. Vorstellbar wäre, dass sich der DHV und seine Mitgliedsverbände hier fünf bis acht Betriebe bundesweit vertraglich an sich binden und die zugehörige Leistungsprüfung zur tierindividuellen Futteraufnahme etc. dort gezielt fortsetzen.
Wollen die deutschen Holstein-Zuchtverbände international den Anschluss nicht verlieren, bleibt keine Alternative zu ressourcenschonenden, umweltrelevanten Zuchtzielen. Wir hinken im internationalen Wettbewerb den Trends bereits deutlich hinterher!
-cs-