„Sündenböcke der Nation“ – so fühlen sich viele Milcherzeuger, wenn sie die Medienberichte verfolgen. Wie lässt sich dagegenhalten?
...
„Sündenböcke der Nation“ – so fühlen sich viele Milcherzeuger, wenn sie die Medienberichte verfolgen. Wie lässt sich dagegenhalten?
Neulich erzählte uns eine Milcherzeugerin von den Problemen ihres Patenkindes: In dessen Schule, einer höheren Handelsschule, müsse sich das Kind ständig rechtfertigen und zur Wehr setzen, weil es von einem Milchviehbetrieb kommt.
Milchviehhalter werden in letzter Zeit in den Medien immer wieder als „Tierquäler“ oder gar „Tiermörder“ diffamiert. Anklagen hagelt es nicht mehr nur von radikalen Tierschutzorganisationen, mittlerweile scheint die Kritik (Bauern-Bashing) gesellschaftsfähig zu werden, wie u.a. die Serie der ZEIT „Rache aus dem Stall“ belegt. Warum ist eine sachliche Diskussion über die Milchviehhaltung kaum mehr möglich?
Heidi-Ideal in den Köpfen
„Menschen haben ein ungutes Gefühl bei der Vorstellung, dass ein Naturprodukt unter „industriellen“ Bedingungen hergestellt wird. Mit industriell hergestellt wird immer ein Gefühl von unheimlicher Übermächtigkeit verbunden, so als könnte man dann nichts beeinflussen“, ist Dr. Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP), überzeugt. Obwohl in anderen Wirtschaftsbereichen Technisierung und Produktivitätssteigerung positiv bewertet werden, sei das in der Landwirtschaft durch das „althergebrachte Heidi-Ideal“ nicht der Fall. Einerseits soll Milch von glücklichen Kühen kommen, die Blumen auf der Alm fressen. Andererseits steht aber gleichzeitig der Wunsch nach einem hygienisch einwandfreien, möglichst billigen, ständig verfügbaren Produkt. Diese Inkonsequenz mache sich der Verbraucher nicht klar. Dafür gibt es mehrere Ursachen:
- Die Milchwirtschaft selbst hat mit ihrer Werbung, in der Kühe auf Almwiesen Wildkräuter kauend in die Kameras blicken, sicherlich (gewollt?) dazu beigetragen, ein idyllisches Versprechen zu geben. Kommt dann heraus, dass die Realität anders aussieht, ist die Enttäuschung umso größer.
- Die Milchviehhaltung hat den Kontakt zum Verbraucher verloren! Grund ist ein „über Jahre hinweg entstandenes Kommunikationsdefizit mit der Folge, dass viele Verbraucher moderne Landwirtschaft nicht mehr verstehen“, so Peter Berndgen, Chef der Marketing-Agentur agro-kontakt (siehe Interview, S. 28). Mit einem Verbraucher, dem man wichtige Informationen nie angeboten hat, lässt sich kaum sachlich diskutieren.
- Die Milchwirtschaft selbst hat mit ihrer Werbung, in der Kühe auf Almwiesen Wildkräuter kauend in die Kameras blicken, sicherlich (gewollt?) dazu beigetragen, ein idyllisches Versprechen zu geben. Kommt dann heraus, dass die Realität anders aussieht, ist die Enttäuschung umso größer.
- Die Milchviehhaltung hat den Kontakt zum Verbraucher verloren! Grund ist ein „über Jahre hinweg entstandenes Kommunikationsdefizit mit der Folge, dass viele Verbraucher moderne Landwirtschaft nicht mehr verstehen“, so Peter Berndgen, Chef der Marketing-Agentur agro-kontakt (siehe Interview, S. 28). Mit einem Verbraucher, dem man wichtige Informationen nie angeboten hat, lässt sich kaum sachlich diskutieren.
Doch viele Konsumenten wollen Informationen über die moderne Landwirtschaft. Eine Umfrage der Deutschen Landwirtschaft-Gesellschaft hat das gezeigt. Bei dieser Studie wurden 400 in der Stadt lebende Verbraucher (Rhein-Main-Gebiet) nach ihrem Wissen und ihrer Einstellung zur Landwirtschaft befragt. Dabei zeigte sich, dass 62 % der Teilnehmer ihre fachbezogenen Kenntnisse als „nicht gut“ bewerteten. 44 % der Befragten bekundeten ein Informationsbedürfnis im Bereich Agrarwirtschaft. Dass das kein rein deutsches Bedürfnis ist, zeigt auch eine US-amerikanische Studie, in der 53 % der befragten Verbraucher angaben, dass sie, wenn sie die Möglichkeit hätten, gerne mit einem Milchbauern über die Milcherzeugung sprechen würden.
Die Verbraucher, zumindest ein großer Teil von ihnen, wollen also Informationen. Es scheint nicht ausreichend zu sein, dem Milchkonsumenten wie ein Mantra immer wieder vorzubeten, dass Milch calciumreich und damit gesund ist. Er will Informationen über Tiergesundheit und Haltung, die moderne Milchproduktion mit einfachen Worten erklärt bekommen.
Der Milchwirtschaft ein Gesicht geben
Marketingexperten empfehlen, der Landwirtschaft endlich ein Gesicht zu geben. „Der persönliche Kontakt ist das Wichtigste und für die Meinung jedes Einzelnen das Entscheidende. Hat man ein Bild zum Landwirt, können die Medien nicht mehr so viel Schaden anrichten“, glauben Susanne Behnk und Sabine Möller, Milcherzeugerinnen aus Schleswig-Holstein, die Schulklassen auf ihre Höfe einladen (siehe Interview in ElitePLUS). Die Parole muss also heißen „Ran an den Verbraucher“.
Doch nicht jeder Milchbauer hat die Zeit oder die Möglichkeit, Gruppen auf den Hof einzuladen. Es geht auch anders! Informationen lassen sich auch z. B. über digitale Kanäle transportieren wie das Projekt My Kuhtube von der Initiative der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen zeigt. Hier präsentieren derzeit 16 Milcherzeuger ihren Alltag im Stall. Über Videos nimmt der Zuschauer teil an einer Kalbung, dem Melken oder aber der Erstversorgung eines neugeborenen Kalbes. Die Milcherzeuger/innen erklären dabei auf einfache aber dennoch fachlich untermauerte Weise die Abläufe im Kuhstall. Ein vergleichbares Projekt ist die Internetseite stallbesuche.de, auf der Videos von Milcherzeugern zu finden sind, die dem Zuschauer die Kuh erklären.
Wichtig ist es, sich um die Verbraucher zu kümmern, die sich wirklich informieren wollen, auf allen Kanälen!