Wie wird in 15, 30 oder in 50 Jahren Milch produziert? Diese Frage haben sich US-Wissenschaftler gestellt. Ihre Antworten sind faszinierend.
Die Zukunft der Milchproduktion kann großartig werden: Dank des Fortschritts (u.a. Digitalisierung, Gentechnik,…) werden sensorgesteuerte Maschinen uns lästige und oftmals eintönige Arbeiten im Stall und auf dem Feld abnehmen; die Kühe werden länger leben und Milch produzieren, die sich besser (hochpreisiger) vermarkten lässt. Dieses...
Wie wird in 15, 30 oder in 50 Jahren Milch produziert? Diese Frage haben sich US-Wissenschaftler gestellt. Ihre Antworten sind faszinierend.
Die Zukunft der Milchproduktion kann großartig werden: Dank des Fortschritts (u.a. Digitalisierung, Gentechnik,…) werden sensorgesteuerte Maschinen uns lästige und oftmals eintönige Arbeiten im Stall und auf dem Feld abnehmen; die Kühe werden länger leben und Milch produzieren, die sich besser (hochpreisiger) vermarkten lässt. Dieses Zukunftsszenario haben Wissenschaftler in den USA entworfen. Ihre Vision basiert auf dem aktuellen Stand der Forschung, bereits bestehende Entwicklungen in den Bereichen der Produktionstechnik haben die Experten in die Zukunft verlängert.
Futterbau: Das Ertragspotenzial wird durch den Anbau von Klima-angepassteren Gras- und Maissorten und durch bessere Anbaumethoden ansteigen. Künftig werden Futtermittel mit einer höheren Verdaulichkeit (weniger Lignin und mehr Stärke) zur Verfügung stehen. Gräser, die Stickstoff effizienter nutzen, werden herkömmliche Gräsersorten ersetzen, dadurch wird künftig weniger Stickstoff benötigt. Der Mais wird zunehmend ertragsstarken, mehrjährigen Pflanzen mit einem hohen Zuckergehalt weichen.
Aufgrund des Klimawandels werden Bewässerungsysteme mehr an Bedeutung gewinnen. Durch den breiten Einsatz von Precision Farming-Technologien wird die Menge an chemischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln deutlich reduziert.
Es muss davon ausgegangen werden, dass mit der globalen Erwärmung auf der Nordhalbkugel die Trockenperioden während der Vegetationszeit zunehmen. Standorte mit guter Wasserverfügbarkeit werden die Milch anziehen; es wird künftig also verstärkt in Grünlandgebieten und in Küstennähe gemolken. Entlang der Küsten lässt sich mithilfe leistungsfähiger Meerwasser-Entsalzungsanlagen das zur Futterproduktion benötigte Wasser in ausreichender Menge bereitstellen (Beregnung). Die zur Entsalzung des Wassers benötigte Energie wird klimaneutral erzeugt (Wind- und Wasserkraft).
20.000 kg im Herdendurchschnitt
Zucht/Genetik: Auch wenn man es sich heute kaum vorstellen kann, dürfte sich die durchschnittliche Herdenleistung schon bald der 20.000 kg-Grenze nähern – gleichzeitig werden die Kühe gesünder sein als heute, die Nutzungsdauer wird sich erhöhen (Übersicht 1). Wie ist das möglich? Infolge von Genomics haben sich die Generationsintervalle schon deutlich verkürzt, hat der Zuchtfortschritt an Tempo massiv zugelegt. Durchaus denkbar, dass schon bald Genome Editing (molekularbiologische Techniken zur zielgerichteten Veränderung der DNA) Einzug in die Tierzucht halten wird. Das ist sogar wahrscheinlich, da die Veränderung bestimmter genetischer Merkmale dazu beitragen kann, die Rentabilität der Milchproduktion zu steigern, u.a. durch die Zucht auf Resilienz oder Futtereffizienz (Übersicht 2). So schlagen die Experten vor, mithilfe der Gentechnologie vier neu zusammengesetzte genetische Kuh-Linien zu kreieren – eine für jede Klimazone (tropische, trockene, gemäßigte und kalte Zone). Einige Unternehmen werden sich sicherlich auch auf die „Zucht“ von Kühen fokussieren, die vermehrt „interessante“ Milchinhaltsstoffe produzieren. Absehbar ist, dass die bislang vorherrschende Reinzucht deutlich an Bedeutung verlieren wird, zumal künftig die Kühe voraussichtlich im Labor erschaffen werden, die erforderliche Remontierung über Embryonen abgedeckt wird. „Die Zukunft liegt in der Vervielfältigung von bestimmten Genen und nicht auf der Zucht von Kuhrassen“, erklärt Jack Britt, einer der Autoren der Studie.
Künstliche Intelligenz
Herdenmanagement: Die Digitalisierung (Sensoren, Robotik, Automatisierung) wird die Arbeit im Stall bzw. das Herdenmanagement grundlegend verändern. In einigen Jahren werden etwa 90% der Arbeiten auf einer Milchfarm automatisch durchgeführt werden. Mithilfe des Cloud-basierten Datenmanagements „kommunizieren“ elektronische Sensoren kontinuierlich miteinander und integrieren praktisch alle Aspekte des Herdenmanagements. So werden Sensoren schon auf dem Feld das Wachstum der Futterpflanzen erfassen, Daten über die Verdaulichkeit und Qualität des Futters weitergeben und in Silos die Lagerbedingungen überwachen. Die Futteraufnahme einer jeden Kuh wird durch dreidimensionale Bildgebungssysteme erfasst. Implantierbare, biologisch abbaubare Sensoren überwachen die Leber und andere Organe. Stoffwechselmerkmale und die Konzentration der wichtigsten Hormone werden kontinuierlich kontrolliert, in der Milch wird die Zell-DNA überwacht. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen werden die diagnostische Genauigkeit verbessern und Vorhersage komplexer Ereignisse erlauben, z.B. Veränderungen beim Immunstatus. Weitere Leistungssteigerungen und Verbesserungen bei der Tiergesundheit sind so möglich, da schließlich vieles vom Management abhängt (Übersicht 3). Hier kommt auch die Epigentik ins Spiel: Änderungen der Genfunktion, die nicht auf Veränderungen der DNA beruhen und dennoch an Tochterzellen weitergegeben werden). So ist z.B. bekannt, dass Nachkommen von Kühen, die unter Hitzestress trächtig werden, oft eine geringere Milchleistung aufweisen als Jungkühe, die unter kühleren Temperaturen ausgetragen wurden.
In den meisten Milchfarmen werden Kühe von Robotersystemen gemolken; Futter wird von fahrerlosen Mischwagen geladen, gemischt und vorgelegt. Energie wird klimaneutral vor Ort erzeugt, Gülle und Abwasser werden durch anaerobe Fermenter und osmotische Filtration aufbereitet, Nährstoffe zurückgewonnen. Um die Transportkosten der Milch zu reduzieren, werden der Milch bereits im Melkzentrum ihre Feststoffe entzogen. Die flüssigen Anteile, die Laktose und einige Mineralien enthalten, werden in den Futterrationen wiederverwendet. Je nach Genetik der Kühe wird die Milch vorsortiert und in unterschiedlichen Tanks gesammelt.
Intelligente Laufflächen
Stallbau: Die Stallhaltung schränkt das natürliche Verhalten und auch das Wohlbefinden von Rindern und Kühen ein. Milchkühe verbringen den größten Teil des Tages (bezogen auf Stand- und Laufzeiten) auf Beton oder anderen harten Oberflächen, die nur wenig Dämpfung und Komfort bieten. Künftig werden Laufgänge (und Liegeflächen) so gestaltet, dass sie eine hohe Grundfestigkeit und Dauerhaftigkeit ähnlich Beton aufweisen, jedoch die Klauen weniger belasten. Schon heute wird mit übereinanderliegenden Schichten aus flexiblen Polymeren experimentiert, die durch Kohlenstoff verstärkt sind. In den Böden eingebaute Sensoren werden den Herdenbetreuer auf mögliche Lahmheiten hinweisen. Reinigungsroboter werden die Exkremente aufsammeln und die Böden trocken halten sowie die Liegeflächen pflegen bzw. einstreuen.
Spezielle Einrichtungen werden die Möglichkeit anbieten, dass neugeborene Kälber für einen längeren Zeitraum mit ihren Müttern interagieren können, ohne dass die Kühe separiert werden müssen.
Farm wird zum Superorganismus
Betriebsentwicklung: Die zunehmende Automatisierung wird zu einem weiteren Herdenwachstum führen. Wachstum ist unumgänglich, da sich nur durch eine größere Milchmenge die Produktionskosten konstant halten lassen. Die Experten raten in diesem Zusammenhang, eine Milchfarm (Unternehmen) als Superorganismus zu verstehen. Als Superorganismus wird eine lebendige Gemeinschaft von vielen Individuen bezeichnet, die Fähigkeiten entwickeln, die über die Fähigkeiten der Individuen hinausgehen. In besonders artenreichen Ökosystemen kann der Kampf um die Ressourcen zu hoch entwickelten Insektenstaaten wie die Blattschneiderameisen führen. In solchen Kollektiven sind alle Individuen auf Gedeih und Verderb mit der Gemeinschaft verbunden – sie sind wie Zellen eines neuen Körpers, des Superorganismus.
Übertragen auf die Milchproduktion bedeutet dies nichts anderes, als die intensive Zusammenarbeit spezialisierter Futterbaubetriebe, Rinderhalter und Milcherzeuger, da das Ergebnis bei Weitem die Möglichkeiten übertrifft, die einzelne Milchproduzenten hätten. Wenn eine Milchfarm als Superorganismus (Wirtschaftseinheit) „gedacht“ wird, lassen sich die oftmals noch zu beobachtenden erheblichen Unterschiede minimieren, die bei benachbarten Kuhherden in Leistung, Gesundheit und letztlich auch bei der Wirtschaftlichkeit immer wieder auftreten.
So könnten sich beispielsweise mehrere Agrarbetriebe in unmittelbarer Nähe zusammenschließen, ein jeder von ihnen sich voll und ganz auf seine Stärken konzentrieren. Die Milchfarm besteht dann aus unterschiedlichen Departments (Futterbau, Futterzentrum, Transitphase und Abkalbung, Kälberaufzucht, Rinderaufzucht, Melken und Trockensteher). Ein solcher Superorganismus ermöglicht einen größtmöglichen Grad an Spezialisierung und Tierwohl, gleichzeitig sinkt das Investitionskapital und es verringern sich die Festkosten pro Liter Milch.
Auch Kooperationen mit Molkereien, Herstellern von Stalltechnik, Zulieferern, Tierärzten, Beratungs- und Forschungseinrichtungen sind denkbar. So lassen sich die unterschiedlichen Produktionsprozesse zukünftig noch besser aufeinander abstimmen.
Die beschriebene Organisationsstruktur bietet vor allem kleineren Kuhherden Vorteile: Sie können von dem Know-How ihrer Partner profitieren, durch die Spezialisierung wettbewerbsfähig bleiben. Auch eine vertikale Integration mehrerer Produktionseinheiten unter dem Dach eines Unternehmens ist denkbar. Trotzdem werden sicherlich einige Milchviehbetriebe „unabhängig“ bleiben, diese werden sich in Nischenmärkten bewegen (z.B. Direktvermarkter, Milch mit therapeutischen Inhaltsstoffen).
Kaum ändern dürfte sich die Milchpreisvolatilität. Die Märkte werden solange „instabil“ bleiben, solange Milchfarmer in Zeiten guter Milchpreise ihre Herden aufstocken. „Wenn wir mehr Milchkühe halten wollen, müssen wir neue Märkte für ihre Milch erschließen“, resümieren die Autoren. G. Veauthier