Das Schlagwort „Tierwohl“ ist in aller Munde. Für die Milchbranche wird dieses Thema ebenfalls immer wichtiger, will sie die – noch vorherrschende – Wertschätzung der Verbraucher nicht verlieren. Mit den Vorschlägen der sogenannten Borchert-Kommission (Kompetenznetzwerk Nutzierhaltung) wurden erstmals Tierwohlkriterien auf den Tisch gelegt, die auch gesetzlicher Standard werden könnten. Aber, in dieser Legislaturperiode wird es wohl kaum noch zu einer Einigung kommen. Lesen Sie hier über die neuesten Entwicklungen.
Dreh- und Angelpunkt ist die Tierwohlkennzeichnung
Im Rahmen der Kommission hat sich die Arbeitsgruppe (AG) Rind bei der Erarbeitung der Tierwohlkriterien nach der geplanten, freiwilligen dreistufigen Tierwohlkennzeichnung des BMEL gerichtet. Update: Ein Gesetzentwurf für ein freiwilliges (!) Tierwohlkennzeichen ist im Bundestag im Juni abgeschmettert worden. U.a. die SPD plädieren für ein verpflichtendes Tierwohllabel, dass aber nach Aussage von Julia Klöckner (Landwirtschaftsministerin) europarechtlich derzeit nicht möglich sei. Die Landwirtschaftsminister der Länder drängen hingegen auf eine zügige Umsetzung der Borchert-Pläne.
Tierartübergreifend gelten die Vorgaben „Bewegung“ für Stufe 1, „Außenklima“ für Stufe 2 und „direkter Kontakt zu Außenklima“ (Regen, Sonne) für Stufe 3. Erste mögliche Vorgaben (Beispiele, Arbeitspapier) sind:
In Stufe 1 ist für Milchkühe die Laufstallhaltung vorgesehen. Laut einem Arbeitspapier soll z. B. der Fressgang am Futtertisch mindestens 3 m und der Laufgang zwischen Liegeboxen 2,5 m breit sein. Zudem werden Scheuermöglichkeiten für Kühe gefordert. Diese Stufe sollten nach ursprünglicher Auffassung der Kommission die meisten Betriebe eigentlich ohne große Investitionen erreichen.
In Stufe 2 ist ein Mehr an Platz sowie verbesserte Bedingungen in Bezug auf das Klima vorgegeben. Hier sollen Milchkuhbetriebe eingeordnet werden, die einen Außenklimastall haben bzw. ihren Kühen einen ständigen Zugang zum Außenklima bieten können.
In der 3. Stufe ist für Milchkühe und Rinder das wichtigste Kriterium der Außenklimastall. Zudem ist ein Zugang zu einem Laufhof und Weidegang geplant. Die Kühe sollen an 120 Tagen im Jahr für sechs Stunden Weidegang haben. Hier sollen z. B. Fressgänge 4 m und Laufgänge 3,0 m breit sein. Außerdem sollen den Kühen rotierende Bürsten zur Verfügung stehen. Diese Stufe soll an die Haltungskriterien des ökologischen Landbaus angelehnt sein.
Das Hauptaugenmerk richtet die Borchert-Kommission dabei auf die Etablierung einer zunächst freiwilligen, staatlichen Tierwohlkennzeichnung. Update siehe oben! Später (in 10 bis 20 Jahren) sollen dann, nach Vorstellung der Kommission, die Stufe 1 und 2 gesetzlicher Standard werden.
In der Stufe 3 werden rotierende Bürsten für die Kühe gefordert.
(Bildquelle: Veauthier)
Und die Anbindung?
Was passiert mit den Betrieben, die die Stufe 1 derzeit nicht erreichen könnten? In puncto Anbindehaltung gibt es verschiedene Möglichkeiten, die diskutiert werden. Eine Option könnte die Kombihaltung aus Bayern sein oder eine Haltung angelehnt an die Öko-Richtlinien. Dabei geht es auch darum, an wie vielen Tagen (120 oder 300) im Jahr Auslauf zur Verfügung stehen muss.
Für Laufstallbetriebe, die die Anforderungen an Laufgangs- und Durchgangsbreiten (z. B. Übergänge, …) nicht einhalten können, schlägt die AG Rind zudem Kompensationsmöglichkeiten zumindest für die ersten beiden Stufen vor (z. B. mehr Platz für die Kuh). Greift die Kompensation nicht, bleibt letztendlich nur der Umbau der Ställe.
Für Betriebe, die die Vorgaben für Laufgangbreiten nicht einhalten können, sind mögliche Kompensationsmaßnahmen geplant.
(Bildquelle: Ostermann-Palz)
Knackpunkt Abmessungen
In vielen Fragen bezüglich der Ausgestaltung der Stufen herrscht Einigkeit. Strittig bleiben jedoch u. a.:
Einige Stimmen plädieren dafür, anstatt der Abmessungen z. B. für Laufgänge besser den Mindestplatzbedarf, also m2 pro Kuh festzulegen (wie dies auch bei anderen Tierarten der Fall ist). Denn bei genau festgelegten Abmessungen könnten viele Ställe wahrscheinlich nicht ohne Investitionen in die Stufe 1 eingegliedert werden.
Andere heben hervor, dass Kuhställe in verschiedene Funktionsbereiche wie z. B. Warte- und Fressbereich unterteilt sind. Damit ausreichend Tierwohl in allen Bereichen geboten werden kann, müssten diese auch genau (u. a. über Abmessungen) definiert werden. Nur so könne ein wirkliches Mehr an Tierwohl argumentiert werden.
Die Stufe 3 wird der ökologischen Produktion gleichgesetzt. Deshalb wird von Seiten der Bio-Branche ein vierstufiges Modell, also eine weitere Stufe für die ökologische Produktion, gefordert, um die Bio-Betriebe zu fördern.
Update: Bei der AG Rind scheint es einen Kompromiss bezüglich der Kompensationsmaßnahmen gegeben zu haben. So könnten vermutlich auch ältere Ställe (90er Jahre) in Stufe 1 eingegliedert werden. In Punkto Anbindehaltung gibt es aber bisher wohl keine Einigung. Die Vorschläge sind inzwischen wieder an das Kompetenznetzwerk übergeben worden. Wann der endgültige Kriterienkatalog für Milchvieh veröffentlich wird, steht jedoch noch nicht fest. Die AG Rind hat jetzt mit den Besprechungen über Mast-Kriterien begonnen.
Langfristige Finanzierung!
Die Umsetzungen der Ziele sind für einen Teil der Betriebe nicht ohne Investitionen für Stallneubau bzw. Umbau zu erreichen. Das erhöht die Produktionskosten und kann auch genehmigungsrechtlich schwierig werden. Der Umbau der Tierhaltung sollte deshalb langfristig durch einen finanziellen Kostenausgleich gestemmt werden, so die Empfehlung der Kommission. Die Umstellung sollte zunächst freiwillig und durch höhere Förderanreize (Prämien für laufende Kosten und Investitionsförderung) erfolgen. Grundsätzlich sieht die Borchert-Kommission einen Finanzierungsbedarf von insgesamt 2 ct/kg Milch. Eineunabhängige Machbarkeitsstudie kommt allerdings zu einem höheren Finanzierungsbedarf.
Mehrwertsteuer oder Tierwohl-Soli?
Bei der Bewertung durch die unabhängige Machbarkeitsstudie haben sich drei Optionen herauskristallisiert:
Höhere Mehrwertsteuer von 7 auf 19 %: Bei diesem Vorschlag werden keine EU-rechtlichen Probleme erwartet. Allerdings würden mit dem höheren Steuersatz gerade hochpreisige Produkte (mehr Tierwohl, aber auch Bio-Produkte) stärker belastet.
Verbrauchssteuer auf tierische Produkte: Diese Tierwohlabgabe wäre eine Steuer pro verkaufte Menge. Allerdings gehen die Experten von einem hohen Verwaltungsaufwand aus. Auch könnte es mit EU-Recht kollidieren.
Tierwohl-Soli: Dies wäre eine Ergänzungsabgabe auf die Einkommenssteuer. Diese setzt nicht am Produkt selbst an, an der Finanzierung wären damit auch z. B. Veganer beteiligt. Diese Variante wird als die Einfachste eingestuft.
Angedacht sind dann Verträge, die die Landwirte mit dem Staat abschließen. Die Höhe, aber vor allem die Dauer einer Förderung werden den Ausschlag geben, wie die Milchkuhhalter Investitionen in Tierwohl umsetzen. Die bisher üblichen sieben Jahre seien, so Ludwig Börger (Referatsleiter Milch DBV) zu kurz, um die Milchkuhhaltung tiefgreifend umbauen zu können. Neben der Finanzierung gilt das geltende Bau- und Umweltrecht als ein Stolperstein für die Borchert-Pläne.
Update: Das Land NRW beispielsweise dringt weiter darauf privilegiertes Bauen für Tierwohlställe gesetzlich zu verankern.
Inwieweit dies den Milchkuhsektor betrifft, hängt am Ende von den geforderten Kriterien der verschiedenen Stufen ab. Diskutiert wird deshalb z. B., eine Privilegierung für Tierwohlställe einzuführen.
1)Die Borchert-Kommission wurde 2019 von der Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner eingesetzt, um eine nationale Nutztierstrategie zu entwerfen. Erste Ergebnisse wurden in 2020 veröffentlicht, die rechtliche Machbarkeitsstudie im März 2021.
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