EU-Agrarrat findet keine Einigkeit zur Milchkrise

Für die Milcherzeuger ist der Agrarrat in der vergangenen Woche enttäuschend ausgefallen, erneut wurden keine konkreten Entscheidungen getroffen. Dabei wächst der Druck auf die Europäische Kommission, entlastende Maßnahmen zu beschließen. Problem: Die Meinungen gehen nach wie vor stark auseinander.

Bundesregierung möchte auf Krisenreserven zurückgreifen: Deutschland sprach sich am Dienstag vergangener Woche (17.5.) in Brüssel grundsätzlich für mehr Flexibilität bei der Unterstützung im Agrarbereich aus und befürwortete eine Anhebung der De-Minimis-Obergrenze. Zudem wurde deutlich gemacht, dass zum nächsten Agrarrat (27. und 28.6.) Klarheit über ein zweites EU-Hilfspaket von der EU-Kommission erwartet werde. Staatssekretär Dr. Robert Kloos vom Bundeslandwirtschaftsministerium appellierte an die Kommission, zu prüfen, inwieweit nicht ausgeschöpfte Mittel aus dem Hilfspaket des vergangenen Jahres in ein neues Hilfspaket übertragen werden könnten. Erstmals offen vertreten wurde von deutscher Seite ein Rückgriff auf die Krisenreserve, wenn die anderen Optionen ausgeschöpft sind. EU-Diplomaten sehen darin eine Kehrtwende in der Berliner Position. Bislang hielt die Bundesregierung das Antasten der aus Direktzahlungen gespeisten Krisenreserve für die europäische Landwirtschaft nicht für vertretbar. Im Haushaltsentwurf für 2017 ist dafür ein Betrag von 450,5 Mio. Euro vorgesehen.
EU-Agrarkommissar Phil Hogan wies allerdings erneut darauf hin, dass er die Wirkung der bislang eingeleiteten Maßnahmen zur Bekämpfung der Agrarkrise zunächst abwarten und über mögliche weitere Hilfen erst auf dem nächsten Agrarrat beraten wolle. In 13 Mitgliedstaaten sei das im September beschlossene Hilfspaket noch gar nicht in der Praxis der Landwirtschaft angekommen, auch Deutschland habe die zur Verfügung stehenden Mittel noch nicht vollständig ausgeschöpft, erklärte Hogan.
Italien für Neuordnung des EU-Milchmarktes: Im Rat kursierte ein von Italien lanciertes Papier mit der Forderung, dass die bislang auf drei bis sechs Monate befristeten EU-Maßnahmen zur Minderung der Milchproduktion mindestens zwei bis drei Jahren gelten sollten. Verlangt wird darin auch die „Errichtung einer wirklich funktionierenden Gemeinsamen Marktorganisation für den Milchsektor“. Deutschland sei mit den Italienern im Gespräch, sagte dazu ein EU-Diplomat. Italiens Agrarminister Maurizio Martina forderte, ernsthaft darüber nachzudenken, ab 2017 wieder Gemeinschaftsmaßnahmen zur Produktionsregulierung einiger Agrarprodukte zu beschließen. Die Krise in der EU-Milchwirtschaft sollte Anlass für eine grundlegende Umorganisation des Milchmarktes sein.
Nordländer gegen weitere Beihilfen: Unter anderem Kroatien, Tschechien und Österreich forderten „neue gezielte Unterstützungen“ auch für die Milchbranche. Die Regierungsvertreter aus Schweden und Dänemark, Sven-Erik Bucht und Esben Lunde Larsen, pochten indes darauf, dass die mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vereinbarte Marktorientierung erhalten bleiben müsse. Mengenregulierungen seien kein geeignetes Instrument zur Krisenbekämpfung. Schweden und Dänemark lehnen außerdem weitere Staatsbeihilfen für Landwirte sowie die auch von Deutschland ins Spiel gebrachte Anhebung der De-Minimis-Schwelle ab. Stattdessen könnte die Kommission wie schon 2015 höhere Vorschusszahlungen auf die Direktzahlungen ermöglichen. Diese Forderung wurde auch von den Regierungsvertretern aus Finnland, Irland und Lettland geteilt.
Frankreich will Überproduktion notfalls sanktionieren: Frankreichs Agrarminister Stéphane Le Foll wies derweil darauf hin, dass es Betriebe gebe, die Agrarprodukte unter dem Interventionspreis ankauften und diese dann im Rahmen der öffentlichen Intervention andienten. Dies sei inakzeptabel. Hogan stellte dazu fest, dass einem derartigen Missbrauch der Intervention nachgegangen werden müsse. Er bat die 28 Regierungsvertreter um konkrete Hinweise auf solche Fälle. Mit Blick auf das hohe Milchangebot untermauerte Le Foll die Forderung, die Produktion notfalls durch Sanktionen dem Marktbedarf anzupassen. Ziel müsse es sein, das Problem der Überschussproduktion gemeinsam mit allen EU-Ländern zu lösen. Der ungarische Regierungsvertreter wies auf die Notwendigkeit eines zielgerichteten EU-Hilfspaketes hin. Ein Antasten der Krisenreserve lehnt die Budapester Regierung jedoch ab. Unterstützt wurde sie in dieser Haltung unter anderem von Dänemark und der Tschechischen Republik. Dagegen stimmten Polen und Litauen der deutschen Anregung zu, auch die Nutzung der Krisenreserve zu erwägen.
Luxemburg appelliert an gemeinschaftlichen Ansatz: Luxemburgs Landwirtschaftsminister Fernand Etgen beschwor einen gemeinschaftlichen Ansatz der Krisenbewältigung. Nationale Alleingänge verzerrten bloß den Markt, warnte er. Die Wiedereinführung der Milchquote lehnt der Luxemburger zwar ab, aber ein aus Gemeinschaftsmitteln finanziertes, zeitlich begrenztes und freiwilliges System zur Mengenreduzierung erachtet er als „sinnvoll“. Unterstützt wurde er dabei von der slowenischen Regierung, die sich gemeinsam mit Rumänien und Bulgarien für eine besondere Förderung kleinerer Milchviehbetriebe in Gebirgsregionen aussprach.
Freiwillige Produktionsbegrenzungen umstritten: Skeptisch bewerteten mehrere Regierungsvertreter die Erfolgsaussichten der bisher eingeleiteten Maßnahmen zur Entlastung des Milchmarktes. Die belgische Seite monierte, dass eine freiwillige Kürzung der Milchproduktion bislang nirgendwo richtig funktioniert habe. Wichtig sei deshalb eine europaweite Produktionsbegrenzung beziehungsweise eine zeitlich befristete Angebotseinschränkung, die für die Milchbauern mit einer europäischen Ausgleichszahlung verbunden sein sollte. Staatssekretär George Eustice vom britischen Landwirtschaftsministerium äußerte derweil die Befürchtung, dass Eingriffe in den Milchsektor den Markt verzerren könnten. Statt Kürzungen sehe Großbritannien den Agrarsektor auf Wachstumskurs, sagte der Brite und verwies auf einen am Dienstag dieser Woche stattfindenden und von London organisierten „Runden Tisch“ über die Finanzierungsmöglichkeiten für die Landwirtschaft im Rahmen des Europäischen Fonds für strategische Investitionen. Auch die dänische Regierung setzte sich auf dem Brüsseler Ratstreffen EU-Diplomaten zufolge vehement dafür ein, die Ausrichtung auf den freien Markt und auf „Innovation“ beizubehalten und die Finger von staatlichen Beihilfen und einer Renationalisierung der Agrarpolitik zu lassen.
Irland für höheren Interventionspreis: Irland pochte darauf, dass freiwillige Mengenbeschränkungen zeitlich begrenzt und von den jeweiligen Ländern finanziert werden sollten. Der Interventionspreis für Magermilchpulver sollte aber nach Ansicht des neuen irischen Agrarministers Michael Creed angehoben werden. Er bat seinen Landsmann Hogan, ferner zu prüfen, ob es sinnvoll sein könnte, Einfuhrzölle für bestimmte Vorleistungsgüter zu senken und so Produktionskosten für die Landwirtschaft zu drücken.
Agrarkommissar Hogan erinnerte zum Abschluss des Treffens daran, dass sich Rat und Europaparlament bei der Agrarreform 2013 auf eine Marktorientierung der GAP verständigt hätten. Aus Sicht der Kommission könne eine Milchquote nicht wieder eingeführt werden. Offen zeigte sich Hogan aber dafür, die Obergrenzen für die Intervention von Milchmagerpulver und Butter gegebenenfalls weiter zu erhöhen. Die Bereitstellung zusätzlicher Mittel hält der Agrarkommissar dagegen für schwierig. Er wies darauf hin, dass aus dem ersten Hilfspaket noch rund 227 Mio. Euro bereitstünden. Aus der Kommission hieß es am vergangenen Donnerstag (19.5.), dass die Frage nach „frischem“ Geld für die Landwirtschaft allenfalls im Herbst mit einem Ergänzungsschreiben zum EU-Haushalt 2017 in Angriff genommen werden könne. (AgE)