Milchmarkt

Das EU-Hilfspaket hat viele Kritiker

Das vergangene Woche beschlossene zweite 500 Mio. Euro schwere EU-Hilfspaket hat erwartungsgemäß unterschiedliche Reaktionen in Deutschland und den anderen europäischen Mitgliedsstaaten ausgelöst. Auch der EU-Agrarausschuss zweifelt mitunter an der Wirkung. Eine Meinungssammlung.

Die am Montag vergangener Woche (18.7.) angekündigten Maßnahmen zur Entlastung der Milcherzeuger im neuen Hilfspaket wurden von den deutschen Politikern sehr unterschiedlich aufgenommen:
Während Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus wie sein CDU-Amtskollege aus Baden-Württemberg, Peter Hauk, davon sprach, dass die 500 Mio. Euro der EU in die richtige Richtung gingen, vertrat der Agrarsprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Wilhelm Priesmeier, die Ansicht, dass das „mit heißer Nadel“ gestrickte Programm an den eigentlichen Problemen des Milchmarktes vorbeigehe. Alternativ besser wären nach seiner Ansicht eine stärkere Förderung von Dauergrünland, eine Umstellung auf bio-, gentechnikfreie- oder Weidemilch sowie eine Prämie zur Aufgabe der Milchviehhaltung gewesen.
Niedersachsens grüner Landwirtschaftsminister Christian Meyer wies darauf hin, dass die für Deutschland eingeplanten 58 Mio. Euro bei bundesweit rund 71.000 Milcherzeugern auf gerade einmal 800 Euro pro Milchviehbetrieb hinausliefen, sollten tatsächliche alle Liquiditätshilfe beantragen. Der Agrarsprecher der grünen Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, warf Rat und Kommission „Fahrlässigkeit“ vor, denn es bestehe ein tiefer Graben zwischen den Akteuren. Auf der einen Seite stünden die, die eine Mengenbegrenzung wollten, auf der anderen Seite die, die Milcherzeuger „schonungslos dem Weltmarkt aussetzen“ wollten und den Export als „heilsbringenden“ Wirtschaftszweig verkauften.
Der Agrarsprecher der Landtagsfraktion der Freien Wähler in Bayern, Dr. Leopold Herz, warf Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) in Sachen Milchmengenreduzierung vor, erst zuletzt rhetorisch umgeschwenkt zu haben, als seine „ruinöse Milchpolitik“ nicht mehr durchzuhalten gewesen sei.
Einig war sich indes die Mehrheit der Politiker darüber, dass die noch offenen Fragen jetzt schnell geklärt und die Maßnahmen zügig umgesetzt werden müssen.
Die deutschen Branchenverbände zeigten sich zweifelnd:
Der Deutsche Bauernverband (DBV) hat sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass wenn diese Gelder tatsächlich unterstützen sollen, diese dann auch spätestens im Herbst ausgezahlt werden müssten. Zudem müssten die Gelder, wenn ernst gemeint, national deutlich aufgestockt werden.
Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) pochte wenn dann ebenfalls auf eine unverzügliche Umsetzung. Für den WLV sei aber auch klar, dass eine wie immer geartete staatliche Mengensteuerung nicht funktioniert habe, Reduzierungen am Milchmarkt gingen nur freiwillig oder gar nicht. Es braucht strukturelle Veränderungen, wie eine neue Gestaltung der Lieferbeziehungen.
Der Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau (BWV), Michael Horper, bewertete die beabsichtigte Kopplung finanzieller Unterstützungsmaßnahmen an einzelbetriebliche Produktionsentscheidungen kritisch. Dies führe zu Mitnahmeeffekten, zu bürokratischen Belastungen durch Antragstellung, Bescheidung, Dokumentation sowie Kontrolle und sei letztlich auch ungerecht gegenüber denjenigen Betrieben, die in den letzten Wochen und Monaten bereits ihre Milcherzeugung verringert hätten. Horper begrüßte zudem die Haltung des Mainzer Landwirtschaftsministers bei der Sonder-Agrarministerkonferenz (AMK) am vorletzten Freitag (15.7.) in Brüssel. Offenkundig habe Dr. Volker Wissing als einziger Agrarminister noch einen klaren Blick für die Dinge, so der BWV-Präsident. Wissing hatte auf der Sonder-AMK einem Beschlussvorschlag als einziger Länderminister nicht zugestimmt.
Der Landesbauernverband (LBV) Brandenburg wies darauf hin, dass allein in Brandenburg die Milcherzeuger in den vergangenen sechs Monaten einen Verlust von insgesamt 72 Mio. Euro verbucht hätten. „Da sind die 2,1 Mio. Euro, die unter Umständen irgendwann einmal bei uns ankommen, nicht viel“, stellte der Präsident Henrik Wendorff klar.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) die geplante Zahlung von 14 Cent pro nicht erzeugtem Liter Milch für „die richtige Medizin“, die aber bislang „leider völlig unterdosiert“ sei. Der Effekt einer wirklich ausreichenden Mengenreduzierung zur Erreichung kostendeckender Milcherzeugerpreise erfordere mindestens das Fünffache. Die Molkereien müssten noch einmal die gleiche Summe drauflegen. Ähnlich äußerte sich der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM).
Was die anderen EU-Mitgliedsländer von dem neuen Hilfspaket halten

Während die auf den Weg gebrachte Liquiditätshilfe bei den Landwirtschaftsministern in Frankreich, Spanien, Italien und Österreich auf Zustimmung stießen, betrachteten die französischen und spanischen Branchenverbände diese eher kritisch.
Frankreichs Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll begrüßte die Bereitstellung der 500 Mio. Euro, diese Summe stimme mit den seit Monaten geäußerten Forderungen überein. Spaniens Agrarministerin Isabel García Tejerina sicherte der Umsetzung der Maßnahmen ihr volles Engagement zu, denn die Milcherzeugerbetriebe müssten möglichst schnell davon profitieren. Italiens Ressortchef Maurizio Martina sieht mit den angekündigten Maßnahmen ebenfalls die richtige Richtung eingeschlagen, hätte sich aber mehr Mut von EU-Agrarkommissar Phil Hogan gewünscht. Italien werde seine zugesprochenen 21 Mio. Euro dafür einsetzen, Qualitätsregelungen, Beweidungskonzepte und die Zusammenarbeit der Landwirte zu fördern. Denn es sei wichtig nicht nur punktuell zu helfen, sondern strukturelle Maßnahmen zu ergreifen, betonte Maurizio Martina. Er verwies auf den Aufbau einer gemeinsamen Marktordnung und den besonderen Schutz kleiner Milcherzeugerbetriebe. Der österreichische Minister Andrä Rupprechter sieht mit dem Paket seine Ziele für Österreichs Milcherzeuger erfüllt, es entspreche seinen von Anfang an getätigten Forderungen.
Der französische Milcherzeugerverband (FNPL) fordert die 50 Mio. Euro für Frankreich durch eine nationale Kofinanzierung zu verdoppeln. Die Gelder sollten nur für Milcherzeuger verwendet werden, die erhebliche finanzielle Probleme haben und ihre Milchmenge stabilisiert oder reduziert hätten. Die spanische Organisationen COAG, UPA und ASAJA halten dagegen nichts von dem Hilfspaket. Sie befürchten, dass es durch den freiwilligen Milchverzicht zu einer Produktionsverlagerung zu Lasten der in den Produktionsbedingungen schlechter gestellten südeuropäischen Länder komme. Auch kritisierten sie die angekündigte Verlängerung der Programme zu privaten Lagerhaltung von Magermilchpulver. Diese könnten nur eine Wirkung entfalten, wenn gleichzeitig auch der Interventionspreis erhöht werde.

Der EU-Agrarausschuss hegt neben grundsätzlichem Lob auch Skepsis

Bei einer Sondersitzung am Dienstag vergangener Woche (19.7.) stellte sich EU-Agrarkommissar Phil Hogan dem Landwirtschaftsausschuss des Hohen Hauses Rede und Antwort zu seinem Hilfspaket. Zufrieden zeigten man sich etwa darüber, dass das Geld für das geplante Hilfspaket nicht aus dem Agrarhaushalt entnommen werde. Neben grundsätzlichem Lob gab es jedoch auch wesentliche Kritikpunkte:
Der agrarpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Paolo De Castro warnte vor einem Scheitern des neuen Pakets, da es nur auf freiwillige Produktionsbegrenzung setze. Der Italiener hätte sich einen „mehr europäischen Ansatz“ bei der Verminderung der Milchproduktion gewünscht und bedauerte, dass das vorangegangene Paket vom September 2015 von den EU-Ländern nicht für eine Verringerung der Milchproduktion genutzt worden sei. Vielmehr habe es zu einem beträchtlichen Mengenanstieg geführt.
Kritik gab es im Ausschuss auch an den Agrarministern und der EU-Kommission, sie hätten die Folgen der Abschaffung der Milchquote nicht vorausgesehen und daher nicht besser abgefedert. Der britische Konservative James Nicholson zeigte sich zudem skeptisch bezüglich der Möglichkeit für die EU-Länder ihre Mittel mit nationalen Geldern bis zu 100 % zu erhöhen – erhöhen die Länder unterschiedlich intensiv, könnte sofort ein Marktungleichgewicht zwischen den europäischen Milcherzeugern entstehen. Auch der Liberale Jens Rohde sieht diesbezüglich ein Risiko. Die größte Sorge des Dänen sei, dass mit Unterschieden in den nationalen Aufstockungen eine Renationalisierung" der Agrarpolitik verbunden sei, die am Ende gar zu einer Erhöhung anstatt zu einer Minderung der Milchproduktion führen könne.
Den Befürwortern einer staatlich herbeigeführten Angebotsdrosselung geht das Paket nicht weit genug. Die Maßnahme zur Reduzierung der Milchproduktion sieht die EVP-Fraktion im Europaparlament zwar als sinnvoll, bedauere jedoch gleichzeitig, dass es im Kommissionspaket keine greifbaren sofortigen Maßnahmen zur Milchmengenregulierung gebe.Vorgeschlagen wurde etwa eine dauerhafte Butterfettstützung, mit der ökologisch fragwürdiges Palmfett ersetzt werden könne.
Der Agrarsprecher der Grünen/EFA-Fraktion, Martin Häusling, beklagte, dass das von Hogan angestrebte Ziel, die Milchmenge um etwa 2 Mio. l pro Jahr zu senken, nur „halbherzig angepackt“ werde. Diese Menge entspreche gerade einmal einem Drittel der Milch, die die EU-Milchbauern seit dem Ende der Milchquote im April 2015 pro Jahr mehr erzeugt hätten.
(AgE)