Immer mehr Milchprodukte werben mit Labeln, die auf anspruchsvolle Produktionsverfahren und die regionale Herkunft hinweisen. Dies hat Folgen für die Milchbranche!
Sportlich-luxuriöse Autos, leistungsfähige Smartphones, breite Fernseher, es gibt viele Dinge, die sich die Deutschen gerne etwas kosten lassen. Beim Essen sind sie hingegen oft knauserig. Für rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung müssen Lebensmittel vor allem günstig sein. Kaum eine Nation gibt weniger für ihre Ernährung aus, nirgendwo werden Lebensmittel so günstig verramscht wie hierzulande.
Doch scheint sich in einigen Bevölkerungsschichten ein Mentalitätswechsel zu vollziehen. Die Zahl der Verbraucher steigt, die beim Lebensmittelkauf nicht mehr in erster Linie auf den Preis („Geiz ist geil“), sondern vermehrt auf Qualität achten, glaubt Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE), dessen Familie im Westerwald 31 Supermärkte betreibt. Er beobachtet bei Kunden zunehmend die Bereitschaft, für bessere Produkte einen höheren Preis zu zahlen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie des Nestlé-Konzerns. Der Preis, traditionell das dominante Kaufkriterium, verliert demnach kontinuierlich an Bedeutung. 58% der Bundesbürger legen laut der Studie mittlerweile Wert auf eine hohe Qualität ihrer Nahrungsmittel. Besonders die regionale Herkunft und eine nachhaltige Produktion finden beim Supermarktbesuch mittlerweile ebenso viel Beachtung wie das Preisschild.
Gilt das auch für die Milch und andere Molkereiprodukte? Schließlich ist Milch nicht nur eines der meistgekauften Produkte sondern auch noch immer ein „Leitlebensmittel“. Der Milchpreis gilt als untrüglicher Indikator, ob ein Supermarkt insgesamt günstig oder teuer ist. Der Wettbewerb um die Kunden wird denn auch oft im Kühlregal ausgetragen. Senkt ein Händler die Preise, ziehen die anderen sofort nach.
Dennoch scheinen zunehmend mehr Verbraucher bereit, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, wenn sie den Eindruck haben, dass die Milch von „bäuerlichen“ Milchkuhbetrieben stammt, die auf „natürliche“ Weise wirtschaften (sinnbildlich: urige Typen mit Vollbart und Hut). Wenn dann noch auf der Verpackung zu erkennen ist, dass der „Bauernhof“ in der Region liegt, ist die Chance groß, dass die Konsumenten trotz eines höheren Preises zugreifen.
Die Marketingexperten der Handelsketten haben diesen Trend natürlich längst erkannt. Sie drängen mit Nachdruck auf die Anpassung der Sortimente in den Kühlregalen. „Regionale“ und „natürliche“ Milchprodukte von der Weide sind gefragter denn je.
Jetzt kommt die Tierschutz-Milch
Allerdings sind Begriffe wie regional, natürlich, Weidemilch oder Tierwohl recht „dehnbar“, da sie keinen markenrechtlichen Schutz genießen. Das Irreführungspotenzial ist enorm, zumal in den meisten Fällen die Programme bzw. Label keiner unabhängigen Kontrolle unterliegen. Das weiß auch der Handel. Um Kommunikationspannen auszuschließen (wie z.B. im Fall der Alpenmilch, siehe Kasten auf Seite 22) versucht er bestimmte Produktionsvorgaben durchzudrücken. So hat kürzlich erst die Edeka-Gruppe, die eine Kooperation mit der Naturschutzorganisation WWF eingegangen ist, in einem sechsseitigen Brief den Molkereien, „Kriterien für die Weiterentwicklung des Tierwohls im Rahmen der Milcherzeugung für Edeka-Eigenmarken“ diktiert. Das bedeutet nichts anderes als knallharte Mindestanforderungen zur Haltung von Milchkühen, die deutlich über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen. Unter anderem wird verlangt:
- Haltung im Liegeboxenlaufstall oder in Ställen mit Außenklimakontakt (60% Offenfrontanteil);
- Mindeststallfläche netto 9m2 je Milchkuh;
- Verzicht auf Enthornung bei Kälbern bzw. Enthornen nur mit Lokalanästhesie und Schmerzmittelgabe;
- Verzicht auf Überbelegung (Tier:Liegeplatz-Verhältnis 1 :1 oder besser);
- Trächtigkeitsuntersuchung vor der Schlachtung;
- Angebot von Vorrichtungen zur Fellpflege;
- Möglichkeiten zur Absonderung kranker Tiere (mit weicher Einstreu) zusätzlich zu den Abkalbebuchten;
- mind. 18% Rohfaser in der Gesamtfutterration;
- ausschließlicher Einsatz GVO-freier Futtermittel;
- weiche, verformbare, wärmeisolierte Liegefläche mit Feuchtigkeit bindendem Material (Gummimatten ohne Einstreu sind nicht zulässig);
- Bestandsbetreuungsvertrag mit dem Tierarzt,
- tägliche Protokollierung von Tier- und Eutergesundheit, Fress-, Liegeverhalten, Verhaltensabweichung, usw.;
- Erfassung und Dokumentation tierbezogener Tierwohlindikatoren (z.B. BCS, Lahmheiten, Fett-Eiweißquotient der Milch, Nutzungsdauer etc.);
- Einsatz von Antibiotika nur nach tierärztlicher Untersuchung (keine Prophylaxe/Metaphylaxe!).
- Haltung im Liegeboxenlaufstall oder in Ställen mit Außenklimakontakt (60% Offenfrontanteil);
- Mindeststallfläche netto 9m2 je Milchkuh;
- Verzicht auf Enthornung bei Kälbern bzw. Enthornen nur mit Lokalanästhesie und Schmerzmittelgabe;
- Verzicht auf Überbelegung (Tier:Liegeplatz-Verhältnis 1 :1 oder besser);
- Trächtigkeitsuntersuchung vor der Schlachtung;
- Angebot von Vorrichtungen zur Fellpflege;
- Möglichkeiten zur Absonderung kranker Tiere (mit weicher Einstreu) zusätzlich zu den Abkalbebuchten;
- mind. 18% Rohfaser in der Gesamtfutterration;
- ausschließlicher Einsatz GVO-freier Futtermittel;
- weiche, verformbare, wärmeisolierte Liegefläche mit Feuchtigkeit bindendem Material (Gummimatten ohne Einstreu sind nicht zulässig);
- Bestandsbetreuungsvertrag mit dem Tierarzt,
- tägliche Protokollierung von Tier- und Eutergesundheit, Fress-, Liegeverhalten, Verhaltensabweichung, usw.;
- Erfassung und Dokumentation tierbezogener Tierwohlindikatoren (z.B. BCS, Lahmheiten, Fett-Eiweißquotient der Milch, Nutzungsdauer etc.);
- Einsatz von Antibiotika nur nach tierärztlicher Untersuchung (keine Prophylaxe/Metaphylaxe!).
Einige Discounter und Handelsketten wollen diese PR-Kampagne anscheinend nicht allein Edeka überlassen. Wie aus der Branche zu vernehmen ist, prüfen Netto, Lidl und Aldi Süd derzeit ebenfalls die Einführung eines Tierschutz-Labels für Milchprodukte. Als Partner der Handelskonzerne soll der Tierschutzbund parat stehen, der bereits für die Fleischbranche ein entsprechendes Zweistufen-Label mit dem Namen „Für mehr Tierschutz“ anbietet. Thomas Schröder, Präsident des Tierschutzbundes, bestätigte unlängst, dass der Verband derzeit Kriterien für die Haltung von Milchvieh erarbeitet. „Wir werden das Label zur Grünen Woche im Januar 2017 präsentieren. Die erste Tierschutz-Milch wird im Frühjahr in den Supermärkten zu finden sein.“ Ein Sprecher von Lidl bestätigte gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ): „Lidl Deutschland arbeitet daran, einen Teil seiner Milchprodukte mit dem Premium-Siegel des Deutschen Tierschutzbundes auszuzeichnen.“
Höhere Milchpreise durchsetzbar?
Konnten die Verbraucher bis vor Kurzem noch bei Frischmilch gerade mal zwischen zwei Varianten auswählen (1,5% bzw. 3,5% Fett), sehen sie sich künftig mit einer Vielzahl an unterschiedlich ausgezeichneten Milchprodukten gegenüber: Neben der neuen Tierschutz-Milch findet sich in den Kühlregalen noch Heumilch, regionale Milch, GVO-freie Milch, nachhaltige Milch (Verzicht auf Soja- und Palmkernprodukten), faire Milch, Bergbauernmilch, laktosefreie Milch, A2-Milch, Biomilch… und dann gibt’s ja noch die Eigenmarken, auf deren Milchtüten mehrere Logos (regional, GVO-frei, natürlich, Tierschutz), … prangen dürften.
Der Wunsch nach den neuen Premium-Produkten könnte die Verhandlungsposition der Molkereien in den Auseinandersetzungen mit dem Handel stärken. Denn künftig wird die Milch nicht mehr so einfach austauschbar sein. Theoretisch sollten die Milchverarbeiter höhere Preise verlangen können. Doch ob das Kalkül aufgeht, ist ungewiss. Warum?
Offen ist, ob die Einkäufer des Handels den Molkereien wirklich mehr für die Premium-Milchprodukte zahlen werden. Und werden die Molkereien die zusätzlichen Erlöse auch tatsächlich an die Milcherzeuger weiterreichen?
Einige Handelsketten haben kürzlich durchblicken lassen, die höheren Produktionskosten an die Verbraucher weiterzureichen. So will z.B. Lidl die Milch-erzeuger, welche die Kriterien erfüllen, mit mehre-ren Cent pro Liter Milch unterstützen. Auch Tierschutzbundpräsident Schröder bestätigt, dass die am Tierschutz-Milchprogramm teilnehmenden Erzeuger mit einer besseren Vergütung rechnen könnten.
Die Nachhaltigkeit derartiger Ankündigungen lässt sich aber nicht überprüfen. In einer von Milchüberschüssen geprägten Zeit ist es ein leichtes, nach und nach den Molkereien Daumenschrauben anzulegen (die Angst der Molkereien vor einer Auslistung ist groß). Das Ziel des Handels ist es, Premium-Qualität zu Dumpingpreisen einzukaufen, um die Premium-Milch dann wiederum u.a. als Eigenmarke günstig anzubieten! Es ist deshalb auch nur schwer abzuschätzen, ob die Milchverarbeiter längerfristig deutliche Zuschläge werden durchsetzen können.
Gegen einen (allzu) deutlichen Anstieg der Auszahlungspreise sprechen die oftmals wesentlich höheren Logistikkosten, welche infolge der getrennten Erfassung und Verarbeitung der Spezial-Milch in den Molkereien anfallen. Um diese auf einem „normalen“ Niveau einfrieren zu können, müssten alle Milcherzeuger in einer Region auf ein Produktionsverfahren eingeschworen werden, sodass keine parallelen Erfassungs- und Verarbeitungsstrukturen aufgebaut werden müssen. In der Praxis dürfte dies allerdings nur äußerst schwierig umzusetzen sein!
Private Molkereien im Vorteil?
Am stärksten profitieren dürften von den neuen Milch-Trends deshalb auch vor allem kleinere Molkereiunternehmen, die sich auf einige, wenige dieser (Nischen-)Produkte spezialisieren sowie private Milchverarbeiter. Insbesonders Letztere können ihren Lieferanten in den Milchlieferverträgen eine bestimmte Produktionsweise vorschreiben. Beispielsweise könnten sie verlangen, dass die Milcherzeuger nur GVO-freie Futtermittel einsetzen, zudem noch mindestens 10% heimische Leguminosen in die Futterration einbauen, auf den Einsatz von Glyphosat verzichten und ihren Kühen an 365 Tagen im Jahr Zugang zum Laufhof gewähren.
Größeren (Genossenschafts-)Molkereien dürfte es hingegen ungleich schwerer fallen, ein oder mehrere Programme zur Herstellung bestimmter Premium-Milchsorten durchzusetzen. Denn jede überregional agierende Molkerei wird immer nur eine Auswahl ihrer Milcherzeuger in ein Premium-Programm aufnehmen können. Unterstellen wir einfach mal, dass die Molkerei den ausgewählten Milcherzeugern als Ausgleich für die aufwendigere Produktion einen Bonus in Höhe von 2,0 ct gewährt. Anzunehmen ist, dass zumindest in Zeiten geringer Auszahlungspreise wahrscheinlich deutlich mehr Milcherzeuger an einer Teilnahme an dem Premium-Milchprogramm interessiert sind (bzw. diese einfordern werden), als die Molkerei von der Premium-Milch wird absetzen können. Hinzu kommt noch der regionale Aspekt. Es ist zu teuer, die „Spezial-Milch“ über große Entfernungen hinweg zu erfassen. Diskussionen sind in den Molkereien also vorprogrammiert („Wieso darf der liefern, ich aber nicht …?“).
Molkereien auf die Finger schauen!
Laut einem Gutachten („Wertschöpfung von Molkereien“), das im Auftrag der MEG Milchboard erstellt wurde, erreichten kleinere Molkereigenossenschaften (Verarbeitungsmenge von 100.000 bis 500.000 t), die auf regionale Spezialitäten, Qualitätsmilchprodukte und/oder Bio-Produkte setzen, eine höhere Nettowertschöpfung als die Großmolkereien („Kostenführer“). Dieser Trend könnte sich mit der zunehmenden Differenzierung der Produktionsweisen in den kommenden Jahren weiter verstärken!
Allerdings ist dem Gutachten auch zu entnehmen, dass Molkereien mit Markenprodukten, obwohl sie eine deutlich höhere Wertschöpfung erzielen, keine signifikant höheren Milchpreise an ihre Lieferanten auszahlen. Zum gleichen Ergebnis kommt auch eine Studie der Hochchule Kiel. Das lässt die Vermutung zu, dass diese Molkereien vermehrt „Kasse machen“, indem sie sich bei den Auszahlungspreisen am (unteren) Niveau der weniger leistungsfähigen Molkereiunternehmen orientieren.
An Qualitäts-Molkereien liefern
Milcherzeuger sind dennoch gut beraten, ihre Milch diesen Milchverarbeitern anzudienen (immer vorausgesetzt, die produktionstechnischen Anforderungen der Label lassen sich im Stall umsetzen, ohne größere Investitionen tätigen zu müssen). Denn langfristig scheint dieses Marktsegment „stabiler“ als eine starke Exportorientierung (extrem volatile Märkte!). Möglicherweise sind die Molkereien ja auch dazu zu bewegen, sich bei der Auszahlungsleistung nicht am unteren Niveau der Branche zu orientieren und ihre Lieferanten im Zuge einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit an der höheren Wertschöpfung teilhaben zu lassen. Dass dies keine Utopie ist, zeigt das Beispiel der Milchwerke Berchtesgadener Land Chiemgau eG. Die Molkerei hat im gesamten Jahr 2016 rund 33,3 ct ausbezahlt (netto, ohne Zuschläge).
Klar ist aber auch, dass viele Milcherzeuger aufgrund ihres Standortes (marktfern, keine Weide möglich, geringe Auswahl an innovativen Molkereien in der Region) keine Chance haben werden, ihre Milch in die Premium-Programme einfließen zu lassen. Das betrifft insbesondere viele in Nord- und Ostdeutschland beheimatete Milchbauern. Ihnen wird wohl leider nichts anderes übrig bleiben, als weiterhin auf eine möglichst schlanke Produktion und einen maximalen Milch-Outpt zu setzen. Das bedeutet letztlich, sich nicht zu einer GVO-freien Fütterung überreden zu lassen oder in marketingtechnische Maßnahmen zur Steigerung des Tierwohls zu investieren (Weidemilch, Tierschutzlabel), wodurch sich letztlich nur die Milchproduktion verteuern würde.
G. Veauthier