Das Wissen um eine „artgerechte“ Abkalbebox ist oft noch lückenhaft. Wir stellen Ihnen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema vor!
Was Kuhkomfort für die (frisch-)laktierende Kuh bedeutet, ist in den vergangenen Jahrzehnten ausführlich untersucht worden und allseits bekannt. Im...
Das Wissen um eine „artgerechte“ Abkalbebox ist oft noch lückenhaft. Wir stellen Ihnen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema vor!
Was Kuhkomfort für die (frisch-)laktierende Kuh bedeutet, ist in den vergangenen Jahrzehnten ausführlich untersucht worden und allseits bekannt. Im Gegensatz dazu ist der Kuhkomfort rund um die Geburt eher stiefmütterlich behandelt worden. Dabei kann die richtige Gestaltung der Abkalbebox (sozialen) Stress und damit auch das Risiko für Schwergeburten und Totgeburten reduzieren. Nur einige wenige Untersuchungen haben sich in den letzten Jahren mit dem Thema Abkalbebox auseinandergesetzt. Welche Erkenntnisse die Forschung hieraus zieht, haben wir für Sie zusammengefasst.
Kühe brauchen Privatsphäre
Als Herdentiere sind Rinder sozial, sie verlassen nicht oft den Schutz ihrer Herde. Einer von den wenigen Momenten, in denen sie sich von der Herde absondern, ist die Vorbereitung auf die Kalbung. Dies geschieht in der Regel einen Tag vor der Geburt. Die Kühe suchen sich einen abgesonderten Platz mit weichem und trockenem Untergrund und hohem Gras oder Baumbestand. Wissenschaftler der kanadischen Universität British Columbia (Proudfoot et al., 2014) haben untersucht, ob Kühe dieses Verhalten auch bei Stallhaltung zeigen. Die Forscher bauten dazu eine Abkalbebucht mit zwei Abkalbebereichen: einen „offenen“ Bereich (2,40 x 7,30 m) ohne Barrieren und eine „geschlossene“ Box (2,4 x 6,10 m). Die Wände aus Sperrholz waren hier 2,4 m hoch. Drei Wände waren vollständig geschlossen, an der vierten Seite befand sich eine 2,4 m breite Öffnung. Diese ermöglichte es den Kühen, den Bereich frei zu betreten und zu verlassen. Beide Abkalbebereiche waren mit Sägespänen eingestreut. Die Kühe wurden drei Tage vor der Kalbung in die Abkalbebucht umgestallt, um sich an beide Bereiche gewöhnen zu können. Die Wissenschaftler stellten fest:
- Eine Mehrheit (61%) der 72 Kühe kalbte in der abgeschlossenen Kalbebox.
- Diese Entscheidung war jedoch davon abhängig, ob die Kuh zur Tages- oder Nachtzeit kalbte. Das Gros (81%) der Kühe, die während des Tages kalbten, suchten die Abgeschiedenheit, während die Kühe nachts keine eindeutigen Vorlieben zeigten (Übersicht 1). Waren die Kühe zu zweit, veränderte sich ihr Verhalten. Dann suchten sie tagsüber den Schutz nicht so stark auf, hielten aber dennoch Abstand zur zweiten Kuh.
- Eine Mehrheit (61%) der 72 Kühe kalbte in der abgeschlossenen Kalbebox.
- Diese Entscheidung war jedoch davon abhängig, ob die Kuh zur Tages- oder Nachtzeit kalbte. Das Gros (81%) der Kühe, die während des Tages kalbten, suchten die Abgeschiedenheit, während die Kühe nachts keine eindeutigen Vorlieben zeigten (Übersicht 1). Waren die Kühe zu zweit, veränderte sich ihr Verhalten. Dann suchten sie tagsüber den Schutz nicht so stark auf, hielten aber dennoch Abstand zur zweiten Kuh.
Da unter Praxisbedingungen aber derartige Abkalbebuchten nicht praktikabel sind, suchte man an der Universität Aarhus (Dänemark) in Kooperation mit der Universität British Columbia nach einem praxistauglicheren Entwurf für Abkalbeboxen. Hier errichtete man einzelne Boxen (3x4,5 m) direkt angrenzend an einen großen Close-up-Bereich (Stroh-Gruppenbucht). Die Einzelboxen wurden von den Gruppenbuchten mit Metalltoren getrennt, so konnten die kalbenden Kühe weiter in Kontakt mit ihren Gefährtinnen in der Vorbereitergruppe treten. Für Privatsphäre sorgte eine 1,8 m hohe Sperrholzwand an den Längsseiten. Auch eine Hälfte der vorderen Wand (direkte Verbindung zur Gruppe) bestand aus einer Sperrholzplatte. So entstand eine „verdeckte“ Schutzecke (Übersicht 1). Die Wissenschaftler beobachteten, dass 79% der Kühe auf der verdeckten Seite der Box kalbten.
Fazit: Die Versuche zeigten, dass im Stall untergebrachte Milchkühe in der Regel ihre Kalbeinstinkte beibehalten und sich beim Kalben absondern.
In Sichtweite bleiben
Abgeschiedenheit scheint wichtig zu sein. Aber wie stark sollte der Bereich abgeschirmt werden, damit Kühe ihn gerne zur Kalbung aufsuchen? Dieser Frage gingen Wissenschaftler der Universität Aarhus (Rorvang et al., 2016) nach. Sie boten Abkalbeboxen mit drei unterschiedlichen Barrieren (Rückzugsmöglichkeiten) an:
- Starke Isolation: Tor 50 cm breit, Wände 1,80 m hoch
- Mittlere Isolation: 1,00 m breites Tor, restliche Wände 1,80 m hoch
- Geringe Isolation: Tor 50 cm breit, restliche Frontwand 1,00 m hoch
- Starke Isolation: Tor 50 cm breit, Wände 1,80 m hoch
- Mittlere Isolation: 1,00 m breites Tor, restliche Wände 1,80 m hoch
- Geringe Isolation: Tor 50 cm breit, restliche Frontwand 1,00 m hoch
Vor dem Versuch gingen die Wissenschaftler davon aus, dass Kühe, sofern sie die Wahl haben, sich die Box mit der größtmöglichen Abgeschiedenheit aussuchen. Es stellt sich jedoch heraus, dass nur die Kühe, die später eine längere, schwerere Geburt zeigten, sich die Box mit der stärksten Isolation aussuchten. Die übrigen zeigten keine eindeutige Präferenz.
Fazit: Obwohl die idealen Abmessungen für eine Barriere noch nicht festgelegt werden konnten, sollten die Wände nicht die gesamte Box abdecken, da dies für die Kuh durch mangelnden Sichtkontakt zur Herde zur Belastung werden kann. Zudem erschweren hohe Wände die Einsicht in die Abkalbebox.
Gruppenbox mit Rückzugsmöglichkeit
Kühe in einer Einzelbox kalben zu lassen, ermöglicht den Tieren die geforderte Isolation. Doch diese vollständige, soziale Isolation kann besonders Färsen sehr stressen und zu einer verlängerten Kalbung und Schwergeburt führen. Eine Alternative kann die „Just in time“-Abkalbung sein, bei der man die Tiere nur für kurze Zeit umstallt. Werden die Tiere jedoch zu spät umgestallt (zu weit fortgeschrittener Kalbeverlauf), kann dies auch zu vermehrten Schwer- und Totgeburten führen. Um zu sehen, wie sich Färsen verhalten, wenn sie entweder in einer Einzelbox (Just in time) oder in einer Gruppenbox mit „Schutzraum“ aufgestallt sind, wurden am Miner Institut (New York, USA) 54 Färsen jeweils einer dieser Aufstallungen zugeordnet (Morrison, 2013).
- 40% der Färsen in der Gruppenbucht nutzten den Schutzraum (siehe Foto, S. 39) während der Abkalbung. Hinzukam, dass einige Färsen zum Schutzraum gingen, dieser jedoch bereits besetzt war.
- Auch zeigte sich, dass Färsen, die just in time in die Einzelbucht umgestallt wurden, fast 30 Minuten länger für die Geburt benötigten, als die Färsen in der Gruppe.
- Bei 46% der Just in time-Färsen mussten die Mitarbeiter Geburtshilfe leisten, bei der Gruppenabkalbung lag dieser Anteil nur bei 27%.
- 40% der Färsen in der Gruppenbucht nutzten den Schutzraum (siehe Foto, S. 39) während der Abkalbung. Hinzukam, dass einige Färsen zum Schutzraum gingen, dieser jedoch bereits besetzt war.
- Auch zeigte sich, dass Färsen, die just in time in die Einzelbucht umgestallt wurden, fast 30 Minuten länger für die Geburt benötigten, als die Färsen in der Gruppe.
- Bei 46% der Just in time-Färsen mussten die Mitarbeiter Geburtshilfe leisten, bei der Gruppenabkalbung lag dieser Anteil nur bei 27%.
Fazit: Besonders Färsen sollte ein Abkalbebereich geboten werden, der den Tieren sowohl die Möglichkeit bietet sich abzusondern, als auch in Interaktion mit anderen Tieren zu treten. Hierzu bietet sich beispielsweise ein zugänglicher „Schutzraum“ an.
Viel Platz zum Bewegen
Wie viel Platz einer kalbenden Kuh (Einzel- oder Gruppenbox) zur Verfügung stehen sollte, wurde kaum erforscht. Eine an der Universität British Columbia durchgeführte Untersuchung (Jensen, 2012) zeigt, dass Kühe rund um die Kalbung deutlich aktiver sind (Verdopplung des Aufsteh- und Abliegeverhaltens). Dieser Anstieg wird wahrscheinlich durch unangenehme Muskelkontraktionen und die Bewegung des Kalbes verursacht, sowie durch den Wunsch, einen geeigneten Kalbeplatz zu finden. Um diesem Verhalten gerecht zu werden, empfehlen Forscher an der Universität Wisconsin, dass Einzelboxen mindestens 14 m2 Platz bieten sollten. Die Empfehlungen für Gruppenabkalbeboxen variieren, sie gehen aber in Richtung 18,5 m2 pro Tier.
Trittsicher
Das aktive Verhalten zur Kalbung erfordert trittfesten Untergrund. Mit Betonböden und/oder Gummimatten ausgeführte Abkalbeboxen lassen sich nach jeder Geburt relativ zügig reinigen und desinfizieren. Doch wollen Kühe auf diesen vergleichsweise harten Oberflächen kalben oder bevorzugen sie einen weicheren Untergrund? An der Universität British Columbia (Campler et al., 2014) wurden 17 Kühen verschiedene Liegeflächen direkt vor und während der Kalbung „angeboten“. Die hochtragenden Milchkühe konnten wählen zwischen aufgerautem Betonboden, einer profilierten Gummimatte (18 mm) sowie Sandeinstreu (10 cm). Alle drei Oberflächen wurden zusätzlich mit einer 15 cm dicken Strohschicht versehen. Dabei zeigte sich, dass zehn Kühe auf Sand abkalbten, sechs auf Beton und nur eine Kuh auf der Gummimatte. Zudem lagen die Kühe einen Tag vor der Kalbung deutlich länger auf Sand und Beton (mit Stroheinstreu).
Fazit: Die Rutschfestigkeit bei Sand- bzw. Betonuntergrund scheint den Kühen besser zu behagen als Gummimatten, trotz der vergleichbaren Stroheinstreu. Unter hygienischen Aspekten betrachtet, bieten Gummimatten und Betonböden jedoch den Vorteil, dass sie in Einzelabkalbebuchten nach jeder Geburt gereinigt und gegebenenfalls desinfiziert werden können.
Selbst ist die Kuh
In Dänemark gibt es ein neues Gesetz, das eine Einzelabkalbung der Kühe und eine gemeinsame Aufstallung von Kuh und Kalb in den ersten Stunden fordert. Um ein für die Kuh rechtzeitiges Umstallen in eine Einzelbox gewährleisten zu können, wird derzeit an der Universität Aarhus eine Abkalbebox entwickelt, die mit einem selbstschließenden Mechanismus versehen ist. Die Kühe sollen dabei durch eigene Motivation die Kalbebox aufsuchen können. Ein Tor verhindert, dass andere Tiere eindringen können. Die kalbende Kuh selbst soll jedoch die Box jederzeit wieder verlassen können. Im Zuge dieser Untersuchungen wurde geschaut, wonach die Färsen/Kühe ihren Abkalbeplatz aussuchen. Neben der Möglichkeit sich geschützt hinzulegen, scheinen bereits abgekalbte Kühe und ihr Kalb eine anziehende Wirkung auf später kalbende Kühe zu haben. Dies zeigt eine erste Studie, in der das Kalbeverhalten von zehn Kühen unter die Lupe genommen wurde. Sie ergab, dass die Kühe (bis auf eine, siehe Übersicht 3) in einer Körperlänge Abstand zu dem Ort abkalbten, an dem die letzte Kalbung stattgefunden hatte. Möglicherweise lässt sich dies durch das Vorhandensein (Geruch) von Fruchtwasser erklären.
Bleibt festzuhalten: Es ist noch Forschung nötig, um alle Faktoren zu bestimmen, die zu einer stressfreien Kalbeumgebung führen. Ein „selbstbestimmtes“ Kalben könnte ein Weg sein.B. Ostermann-Palz