„Zuchtfortschritt wird sich verdoppeln“

Die Sicherheit der genomischen Zuchtwerte wird sich weiter erhöhen und den Zuchtfortschritt in den Gesundheitsmerkmalen deutlich verbessern. 200 Rinderzuchtexperten diskutierten in Verden auf der Fachtagung zum dem Thema „Stand und Perspektiven der genomischen Selektion beim Rind“.

In der neuen Methodik der Berechnung werden die Zuchtwerte direkt auf Grundlage des genetischen Kodes eines Tieres (Genom) anstatt seiner gemessen Leistung bzw. der Leistung von Töchtern bei Bullen ermittelt. Grundlage der neuen Technologie ist die Entschlüsselung des drei Milliarden Basenpaare umfassenden genetischen Codes des Rindes. 50.000 repräsentative Stellen (SNP) hiervon können mit modernster Labortechnik vergleichsweise preiswert bestimmt werden. Aus diesen Informationen wird dann mittels aufwändiger statistischer Verfahren der genomische Zuchtwert berechnet.
35 % aller Bullen genomisch „geprüft“
Die deutsche Holsteinzucht verfügt inzwischen über die international größte Lernstichprobe mit fast 20.000 töchtergeprüften Holsteinbullen. Die Größe und Qualität der Lernstichprobe bestimmt entscheidend die Sicherheit genomischer Zuchtwerte, denn an diesen sicher geprüften Bullen werden die Formeln für genomische Zuchtwerte abgeleitet, d.h. es wird die Beziehung zwischen genetischem Muster und tatsächlicher Vererbung „gelernt“.
Der Einsatz genomischer Holsteinbullen hat sich innerhalb von nur sechs Monaten fast verdoppelt. Wie der Geschäftsführer der Weser-Ems Union (WEU), Dr. Josef Pott, berichtete, ist der Anteil genomischer Jungbullen an den Besamungen von September 2010 bis April 2011 von 18 % auf über 35 % gestiegen.
Bahnbrechende Innovation
Die genomische Selektion gilt als bahnbrechend, da sie das bisherige Zuchtsystem bei den Milchrindern grundlegend verändert. Seit der breiten Einführung der künstlichen Besamung vor ca. 60 Jahren werden nur noch wenige, herausragende Bullen für die Erzeugung der nächsten Generation benötigt. Um die Spitzenbullen herauszufiltern, mussten bisher zunächst je 100 Töchter von erfolgversprechenden Vererbern (Testbullen) erzeugt werden. Erst auf Basis der Leistungen der Testbullentöchter konnten nach ca. fünf Jahren Wartezeit Zuchtwerte geschätzt werden und die Spitzenvererber selektiert werden. Dieses lange und aufwändige System machte konventionelle Besamungszuchtprogramme sehr teuer. Hinzu kommt, dass Informationen über funktionale Merkmale wie Nutzungsdauer und Fruchtbarkeit später anfallen als für die Milchleistung und dass für sichere Zuchtwerte mehr Töchter je Testbulle erforderlich sind. Jetzt kann der züchterische Wert für alle Merkmale direkt aus dem individuellen genetischen Code jedes Tieres, also auch des Bullen, berechnet werden und dies bereits unmittelbar nach der Geburt. Neuere Modellrechnungen zeigen, dass eine Verdoppelung des Zuchtfortschrittes bei gleichzeitig deutlich geringeren Kosten möglich ist.