Ursachen und Abhilfe

Wenn Kühe die Milch nicht hergeben…

Eine gute Melkroutine ist gekennzeichnet durch eine möglichst vollständige, schonende und dabei schnelle Entleerung des Euters. Nicht selten kommt es aber vor, dass nur ein kleiner Teil der Milch ermolken werden kann, da die Milch nicht oder nur unvollständig einschießt. Bleibt eine größere Menge Milch im Euter zurück, führt das nicht nur zu nachhaltigen Ertragseinbußen, sondern auch zu einem erhöhten Risiko für Mastitis.

Die Milch im Euter kann hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit in zwei Gruppen, in die Zisternen- und die Alveolarmilch, eingeteilt werden. Die Zisternenmilch sammelt sich während der Zwischenmelkzeit kontinuierlich in den Hohlräumen von Zitze und Drüse, sowie in den großen Milchgängen. Sie ist jederzeit für die Melkmaschine verfügbar, lediglich durch den Schließmuskel wird ihr Abfließen verhindert.
Die Alveolarmilch hingegen ist durch Kapillarkräfte im Drüsengewebe fixiert. Sie ist in den Drüsenbläschen (Alveolen) und in kleinen Milchgängen gespeichert und ist auf Grund des geringen Gefäßdruchmessers nicht unmittelbar für die Melkmaschine verfügbar. Die Alveolarmilch wird erst dann in die Zisterne gepresst und steht für den Milchentzug zur Verfügung, wenn sich die Alveolen durch die Wirkung des Hormons Oxytocin kontrahieren. Oxytocin wird in der Hirnanhangdrüse gebildet, die Freisetzung erfolgt durch mechanische Stimulation bei der Eutervorbereitung, sowie beim eigentlichen Melkvorgang bis zum Abnehmen des Melkzeuges.

Jungkühe besonders betroffen

Störungen in der Milchabgange werden in der Praxis immer häufiger beobachtet, besonders betroffen sind dabei Erstlaktierende Kühe nach der Abkalbung. Hier verschwinden die Milchejektionsstörungen aber meist etwa 10 Tage später wieder. Zusätzlich kann auch mangelnde Erfahrung in der Melkroutine zum Zurückhalten der Milch beitragen.
Auch bei älteren Kühen können Probleme mit der Milchabgabe auftreten, durchaus auch spontan in der laufenden Laktation. Häufig treten solche Störungen dann im Zusammenhang mit Änderungen des Haltungssystems und des Managements auf, insbesondere bei einer Umstellung des Melksystems beziehungsweise bei einer Änderung der Melkroutine.

Kriechströme – seltene aber durchaus mögliche Ursache

Eine weitere mögliche Ursache stellen Kriechströme dar, allerdings tritt diese Problematik in der Praxis eher selten auf. Kühe haben auf Grund ihrer Anatomie einen niedrigeren inneren Widerstand (Impedanz) als Menschen, sodass sie bei einer gegebenen Spannung durch deutlich höhere Ströme als das Melkpersonal durchflossen werden können. So können Kriechströme, die durch den Melker gar nicht wahrgenommen werden, bei Kühen bereits große Probleme verursachen. Schon ab einer Spannung von 1 V können theoretisch Reaktionen beobachtet werden. Ein Anstieg der Zellzahlen, Mastitis, Störungen in der Milchejektion oder häufiges Urinieren oder Abkoten im Melkstand stellen erste Warnsymptome dar. Durch fachgerecht ausgeführte Erdungsmaßnahmen können Kriechströme vermieden werden.

Adrenalin hat keinen Einfluss

Das Stresshormon Adrenalin kann die Art einer spontan auftretenden Ejektionsstörungen nicht auslösen, das haben zahlreiche Versuche gezeigt. Das ist deshalb erwähnenswert, da man experimentell eine andere Art von Ejektionsstörungen durch Adrenalin auslösen kann. Dabei werden hohe Mengen Adrenalin verabreicht, diese blockieren dann den Transport der Milch durch das Milchgangsystem. Die Freisetzung von Oxytocin ist dabei völlig normal oder sogar erhöht. Eine durch Adrenalin erzeugte Ejektionsstörung bleibt auch dann, wenn Oxytocin gespritzt wird.

Oxytocin richtig einsetzen!

Demgegenüber wurde in Versuchen mit spontan auftretender Milchejektionsstörung eindeutig eine mangelhafte oder völlige fehlende Oxytocinfreisetzung festgestellt. Forschungsarbeiten der letzten 20 Jahre konnten klar aufzeigen, das mangelnde Freisetzung von Oxytocin die Grundlage von Ejektionsstörungen ist. Wie aber die Blockade der Oxytocinfreisetzung gesteuert wird, bleibt weiterhin Spekulation. Es besteht der Verdacht, dass sogenannte endogene Opiate (z.B. Endorphine) im Gehirn die Reizleitung blockieren. Eine nachhaltige Therapie des Problems gibt es nicht, die Verabreichung von Oxytocin kann nur während einer Melkung Abhilfe schaffen.
Betroffene Kühe werden häufig mit Oxytocin behandelt, und das meist mit sehr hohen Dosierungen. Doch diese Behandlung birgt hohe Risiken. Das Euter gewöhnt sich innerhalb weniger Tage an die hohe Hormonkonzentration, dann selbst nach Normalisierung der Oxytocinfreisetzung aus der Hirnanhangsdrüse ist eine normale Milchabgabe nicht mehr möglich. Während der laufenden Laktation ist es also fast unmöglich „von der Nadel“ wieder weg zu kommen.
Die Oxytocintherapie sollte des halb so kurz wie möglich und die Dosierung so niedrig wie möglich gehalten werden, um eine Abhängigkeit zu vermeiden. Bei intramuskulären Spritzen reichen meist 5 Einheiten (0,5 ml), bei intravenöser Verabreichung 0,5 Einheiten (0,05 ml, nach vorheriger Verdünnung mit physiologischer Kochsalzlösung), um eine normale Entleerung des Euters zu erreichen.

Eine mögliche Alternative…

Eine mögliche Alternative zur Oxytocintherapie ist die alte Methode des Einblasens von Luft in die Vagina. Diese Methode stellt einen stärkeren Reiz bezüglich der Oxytocinfreisetzung dar als die Stimulation des Euters. Bei einer Blockade der Reizleitung wird so meist noch ausreichend Oxytocin freigesetzt, um eine vollständige Entleerung des Euters zu erreichen. Da das Oxytocin aus der Hirnanhangsdrüse stammt, ist ein Gewöhnungseffekt ausgeschlossen. Nachteil der Methode ist der damit verbundene Arbeitsaufwand und die mangelnde Eignung bei vielen Melksystemen, wenn die Rückseite der Kühe während dem Melken nicht gut zugänglich ist.

 
Quelle: Prof. Dr. Rupert M. Bruckmaier, Universität Bern (Milchpraxis)