Auf den Nummernschildern der im US-Bundesstaat zugelassenen Autos prangt stolz der Schriftzug "America's Dairyland". Wisconsin gilt nicht nur in den USA als das Milchland Nr. 1. Die Milchbranche in Wisconsin hat während der letzten Dekaden weltweit immer wieder für Aufsehen gesorgt. Tausende Milcherzeuger sind nach Madison und die angrenzenden Regionen gepilgert, um sich über die Strategien der dort ansässigen top-Melker zu informieren. Der Wisconsin-Style steht mittlerweile für eine...
Auf den Nummernschildern der im US-Bundesstaat zugelassenen Autos prangt stolz der Schriftzug "America's Dairyland". Wisconsin gilt nicht nur in den USA als das Milchland Nr. 1. Die Milchbranche in Wisconsin hat während der letzten Dekaden weltweit immer wieder für Aufsehen gesorgt. Tausende Milcherzeuger sind nach Madison und die angrenzenden Regionen gepilgert, um sich über die Strategien der dort ansässigen top-Melker zu informieren. Der Wisconsin-Style steht mittlerweile für eine extrem effiziente Milchproduktion, für moderne Kuhställe, sehr leistungsstarke Herden und kräftige Wachstumsschritte.
Hofnachfolger dringend gesucht!
Doch seit einigen Jahren wütet der Strukturwandel in Wisconsin so grausam wie sonst kaum in einer anderen Region. Jahr für Jahr verliert das Land zwischen sieben und zehn Prozent seiner Milchviehherden. Aktuell wird gerade noch auf 5.400 Farmen gemolken. In den vergangenen zehn Jahren, also seit 2014, hat sich die Anzahl der Milcherzeuger nahezu halbiert! Die durchschnittlich Herdengröße ist mittlerweile auf 200 Kühe angewachsen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch auf rund 60 % der Farmen weniger als 100 Kühe gemolken werden.
60 % der Farmen melken weniger als 100 Kühe
Die Wachstumsschwelle liegt mittlerweile bei 500 Kühen. Das bedeutet, dass nur noch die Größenklasse mehr als 500 Kühe zunimmt. Marktbeobachter befürchten, dass sich der Trend noch eine Zeit lang fortsetzen wird, denn viele Milcherzeuger stehen kurz vor dem Renteneintritt oder haben die 70 bereits überschritten. Gleichzeitig fehlt es an Hofnachfolgern und Nachfolgerinnen. Immer weniger junge Menschen können sich vorstellen, in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten. Selbst in den größeren Milchfarmen haben nach Auskunft des Verbands der Dairy Farmers of Wisconsin kürzlich nur 40 % der Milcherzeuger erklärt, einen Nachfolger gefunden haben. Von den Farmern, die weniger als 100 Kühen halten, gaben nur 30 % an, einen Nachfolger gefunden zu haben.
Immer mehr Insolvenzen
Warum sehen ausgerechnet in dem Vorzeigeland der Milchproduktion nur so wenige junge Menschen ihre Zukunft mit Milch? In guten Zeiten liegen die Gewinnspannen bei etwa 10 %. Wenn die Futter- oder Energiekosten ansteigen, bleibt bei diesen geringen Margen plötzlich nichts mehr übrig, weiß Spezialberater Larry Tranel. Viele Milchfarmer hätte dies in ihren Kalkulationen nicht berücksichtigt, sie sind von gleichbleibenden Kosten und guten Milchpreisen ausgegangen. Doch die Märkte sind sehr volatil. So manch einen Milchfarmer hätten Wachstumsschritte an den Rand oder sogar in den Ruin getrieben. Viele sind zu schnell gewachsen, sie hätten die Belastungen unterschätzt, ist sich Tranel sicher. Seit mehreren Jahren ist Wisconsin auch landesweit führend bei den Insolvenzen von Farmen.
Hingegen können kleinere Farmen Phasen mit geringen Gewinn-Margen besser „durchleiden“, da sie oftmals keine Löhne zahlen müssen und keinen Kapitaldienst abzutragen haben. Allerdings führt dies dazu, dass am Ende Milchfarmer mit unter 100 Kühen kein Kapital ansparen können, um erforderliche Zukunfts-Investitionen durchführen zu können. Und diese sind nötig, denn an den alten Stallungen (red barns) nagt unwiderruflich der Zahn der Zeit, auch wachsen die Kühe aus den Ställen hinaus. Zudem gestaltet sich die Einbindung moderner Technik, die erforderlich ist, um hohe Milchleistungen effizient zu melken, oftmals schwierig. Die nachwachsende Generation sieht sich denn auch zumeist einem ordentlichen Investitionsstau gegenüber. Nicht selten werden in solchen Fällen zwei Millionen Dollar benötigt, um eine abgeschriebene Milchfarm upzudaten. Schließlich müssen aufgrund der starken Klimaschwankungen ( 40 °C im Sommer und – 30 °C Winter) die Ställe, Technik und Silos robust ausgeführt werden.
'Get big or get out'
Erste Prognosen für das laufende Jahr deuten an, dass zum Erreichen einer rentablen, zukunftssicheren Milcherzeugung rund 250 Kühe im Stall stehen sollten. Für viele Milchfarmer bedeutet dies, dass sie ihre Herden verdoppeln müssten. Davor schrecken sie jedoch zurück – sie stellen eher das Melken ein.
Mark Stephenson, emeritierter Direktor für die Analyse der Milchpolitik an der University of Wisconsin-Madison glaubt sogar, dass Herden mit mehr als 500 Kühen die Zukunft gehört. "Diese malerischen roten Scheunen und Ställe, Holstein-Kühe auf den Wiesen drumherum, die wird es schon bald nicht mehr geben. Diese Gebäude werden verrotten und einstürzen. Die neue Realität in Wisconsin sind große Ställe, in denen Tausende von Kühen untergebracht sind."
3 % produzieren bereits 40 % der Milch
Vieles spricht dafür, dass schon bald der überwiegende Teil der Milch in Wisconsin in großen Milchfarmen mit mehr als 700 Kühen produziert wird. Die Anzahl derartiger Großbetriebe in Wisconsin hat sich in weniger als einem Jahrzehnt nahezu verdoppelt. Auf einigen Farmen werden bereits mehrere tausend Kühe gemolken. Mittlerweile melken nur 3 % der Milchfarmen in Wisconsin schon rund 40 % der Milch. Der Trend hin zu großen Herden dürfte auch in den kommenden Jahren weiter anhalten, denn wenn der Milchpreis sinkt, melken die Farmer mehr Kühe, um dies auszugleichen. Wenn der Milchpreis steigt, melken sie mehr, um Kapital anzusparen! Womöglich werden am Ende nur noch einige hundert große Milchfarmen, oft mit Tausenden von Kühen, übrig bleiben.
Viele dieser Unternehmen sind nach wie vor familiengeführt und sehen sich auch noch als Familienbetriebe. „Was mich immer wieder stört, ist, dass die Leute uns ansehen, als wären wir ein Konzern und kein Familienunternehmen. Tief im Inneren sind wir ein Familienunternehmen", erklärt Todd Tuls, der gemeinsam mit seinem Sohn TJ und weiteren 55 Mitarbeitern in Green County mittlerweile 5.000 Kühe melkt. „Ich glaube nicht, dass wir uns von anderen Branchen unterscheiden, entweder man passt sich dem Lauf der Zeiten an oder man wird zurückgelassen. Das ist nun mal die traurige, harte Realität. Und selbst diejenigen, die stetig modernisieren und optimieren, laufen immer noch Gefahr, nicht Schritt halten zu können.“ Larissa D., die nicht mit ihrem Nachnamen genannt werden möchte, ist auf einer Milchfarm aufgewachsen, hat kürzlich erst ihren Master in Agrar- und Wirtschaftswissenschaften an der UW-Madison absolviert und bringt es auf den Punkt: „Get big or get out!“ (auf Deutsch: wachse oder weiche!)
Ausblick
- Kleinere Milchfarmen in Wisconsin stehen vor erheblichen wirtschaftlichen Herausforderungen. Viele von ihnen können zwar noch einige Jahre überleben, doch oftmals sind die Einkommen zu gering, um nachhaltig investieren zu können. Das schreckt viele junge Menschen auch davon ab, die elterlichen Farmen weiter zu bewirtschaften.
- Der Verlust der kleineren Milchfarmen führt unweigerlich zu einer schleichenden Entvölkerung im ländlichen Raum. Das hat weitreichende Folgen für die ländlichen Gemeinden, die bislang oft auf die Milchfarmer bzw. Landwirtschaft angewiesen sind. „Wenn weniger Menschen in der Landwirtschaft tätig sind, sinkt das Verständnis für die Milchproduktion und die Landwirtschaft ebenso wie die Wertschätzung für deren tägliche Arbeit und die Lebensmittel, die sie herstellen“, beklagt Larissa D..
- Wisconsin dürfte auch trotz massivem Strukturwandel eine bedeutende Milchregion bleiben, denn das Milchaufkommen nimmt kontinuierlich zu. Das beruht auf konstanten (in einige Jahren sogar steigenden) Kuhzahlen und einem stetigen Leistungszuwachs. Aktuell liegt die durchschnittliche Milchleistung bei rund 11.500 kg pro Kuh und Jahr.
Öko in großem Stil
Josh Tranel’s Traum war es schon immer, die elterliche Milchfarm im Cuba City im äußersten Südwesten Wisconsins zu übernehmen. Doch in die elterliche Farm hätte er ordentlich investieren müssen. Mit ebensolchen Herausforderungen sahen sich seine Cousins konfrontiert, die bzw. deren Eltern in unmittelbarer Nachbarschaft Milch erzeugten. Was liegt da näher als sich in einem Unternehmen zusammen zu schließen, dachten sich Josh und drei weitere junge Milchfarmer. Gemeinsam haben sie die Tranel Family Farms gegründet ist. Josh Tranel kümmert sich vornehmlich um die Fütterung und das tägliche Herdenmanagement der 600 Kühe. Die drei anderen Cousins (von denen zwei Vollzeit auf der Farm mitarbeiten) kümmern sich um die Außenwirtschaft und die kaufmännischen Belange des Unternehmens. „Wir konzentrieren uns auf die eigenen Interessen und Stärken des anderen und helfen uns bei Bedarf gegenseitig“, erklärt Josh.
Aus wirtschaftlichen Gründen haben sich die Tranels dazu entschlossen, die Milchfarm nach ökologischen Standards zu bewirtschaften und von Holstein auf Jerseys umzustellen. „Das ist den höheren Milchinhaltsstoffen geschuldet, die Jersey-Milch wird einfach besser bezahlt“, erklärt Josh. Unter dem Strich bringt ihnen „Bio“ rund ein Drittel mehr Milchgeld, auch wenn sie im Gegenzug weitgehend auf den Futterzukauf und den 100 %igen Einsatz von Antibiotika verzichten müssen. Die Milch wird über die Organic Valley Co-op vermarktet. Das Molkereiunternehmen hat den Familienbetrieb bei der Expansion auch kräftig unterstützt.
Josh hätte sicherlich nach dem College auch einen guten Job im Agribusiness antreten können, doch ihm war es wichtig, draußen mit den Tieren arbeiten zu können und sein eigener Chef zu sein. Mit der Gründung des Familienbetriebs sei nun der Grundstein für die weitere Zukunft gelegt, erklärt der smarte Milchfarmer. Jetzt sei sichergestellt, dass auch künftig weitere Mitglieder des Familienclans in die Farm einsteigen könnten.
Aufgrund der biologischen Wirtschaftsweise werden die Kühe ab dem Frühjahr zwischen fünf und 12 Stunden täglich auf die Weide getrieben. Dabei erhalten die Tiere – je nach Wetterlage - alle sechs bis 12 Stunden Zugang zu einer neuen Koppel. Beim Management der Weideflächen setzt Josh auf die Hilfe von Satelliten. Diese überwachen permanent das Graswachstum, die Daten fließen in eine App ein.
Welche Trends prägen den Milchmarkt? Und welche Auswirkungen hat das für die weltweite Milchproduktion? Ein kürzlich veröffentlicher Agrarausblick gibt Antworten.
Wir haben elf Milcherzeuger besucht, die mit einem sehr herausfordernden Standort konfrontiert sind. Beeindruckend war ihr stets lösungsorientiertes Denken.