Der Schnee lag meterhoch im Vogtland. Bei der frostigen Kälte versagten die automatischen Schieber ihren Dienst. Im Stall standen die rund 200 Kühe im Laufgang auf dem gefrorenen Mist. Das ist Carmen Bregmans Erinnerung an ihren ersten Besuch des Gut Christgrün. „So ein schöner erster Eindruck war das hier nicht“, gesteht sie lachend. Zehn Jahre später schiebt sie dort einen Kinderwagen über den Futtertisch, vorbei an den neugierig schauenden Kühen. Das Vogtland und Gut Christgrün...
Der Schnee lag meterhoch im Vogtland. Bei der frostigen Kälte versagten die automatischen Schieber ihren Dienst. Im Stall standen die rund 200 Kühe im Laufgang auf dem gefrorenen Mist. Das ist Carmen Bregmans Erinnerung an ihren ersten Besuch des Gut Christgrün. „So ein schöner erster Eindruck war das hier nicht“, gesteht sie lachend. Zehn Jahre später schiebt sie dort einen Kinderwagen über den Futtertisch, vorbei an den neugierig schauenden Kühen. Das Vogtland und Gut Christgrün sind ihr mittlerweile eine vertraute Heimat geworden. Bei grauem Nieselregen erzählt sie strahlend, dem Wetter zum Trotz, wie es überhaupt dazu kam.
Bloß keinen Bauern heiraten
Aufgewachsen ist Carmen gemeinsam mit ihren drei Geschwistern auf einem Milchkuhbetrieb in den Niederlanden. Der Stallgeruch ist ihr von Kind auf vertraut. Später einmal selbst Milchkühe zu halten, das konnte sie sich aber nicht vorstellen. „Ich wollte bloß keinen Bauern heiraten“, beichtet die 31-jährige Frau und lacht herzlich. Sie kehrte der Landwirtschaft erstmal den Rücken zu und wurde Krankenschwester.
Dann machte ihr das Schicksal einen Strich durch die Rechnung. Sie lernte den kuhbegeisterten Paul kennen. Bereits beim ersten Treffen offenbarte er seinen Plan auszuwandern und einen eigenen Milchkuhbetrieb zu kaufen. „Ich wollte sowieso mal ins Ausland. Ich wusste nicht genau wohin, aber ich habe mir immer gedacht, dass es noch mehr gibt als die Niederlanden.“ Deshalb schreckte Carmen Pauls Plan nicht ab. „Als Paul dann Deutschland gesagt hat, habe ich ehrlicherweise nicht sofort Juchhei gerufen, aber ich dachte na gut, schauen wir mal.“ Ein halbes Jahr nach dem Kennenlernen schaute sich das Paar bereits nach einem eigenen Betrieb um.
Das Potential gesehen
Insgesamt zehn Milchkuhbetriebe nahmen sie unter die Lupe. Beratende und finanzielle Unterstützung bekamen die zwei von ihren Familien. „Mein Vater hatte früher auch den Plan nach Kanada oder in die USA auszuwandern. Das hat dann aus gesundheitlichen Gründen nicht funktioniert. In mir hat er seinen Traum vom Auswandern verwirklicht gesehen“, erzählt Carmen. Einer der zehn Betriebe war das Gut Christgrün, welches am Dorfrand von Pöhl in Sachsen liegt. Der 2001 gebaute Stall war mit 230 Kühen unterbelegt, die Betriebseinrichtung in die Jahre gekommen und die Gummimatten der Hochboxen verschlissen. „Aber wir haben gesehen, dass es hier Potenzial gibt und wir viel machen können.“ 2012 zogen sie auf den Betrieb. Da waren die beiden Jungunternehmer gerade einmal 22 und 25 Jahre alt.
Mehr Tiere und mehr Kuhkomfort
Seitdem ist viel passiert. Aus dem Stall blickt eine Braunviehkuh und pustet eine weiße Atemwolke in die kalte Januarluft. Um die Tierzahl zu erhöhen, haben die Bregmans Tiere zugekauft. Es befinden sich zwischen den überwiegend schwarzbunten Kühen in der Herde auch immer mal wieder rotbunte und braune Farbkleckse. „Begonnen haben wir mit kleinen Optimierungen, die selbst zu bewältigen sind“, erinnert sich Carmen. Dazu gehörte die schnelle Umstellung von den unbequemen Hochboxen in Tiefstreuboxen. Dafür setzten sie ein Brett an die hintere Boxenkante. Im alten Stall sind gerade erneut Umbaumaßnahmen im vollen Gange. An den Holzbrettern hat der Zahn der Zeit genagt. Das morsche Holz wird durch neue Eisenstangen ersetzt.
2019 folgte dann eine größere Investition. Eine an den Stall angrenzende Halle wurde entkernt und in drei Reihen Liegeboxen für 140 Kühe gebaut sowie einen Strohbereich für die Transit- und kranken Kühe integriert. Mittlerweile melken die Bregmans und ihre zwei Melkerinnen 410 Kühe zweimal täglich in einem 18er-Innenmelker-Karussel.
Familie, Karriere und Hof kombinieren
Frisch auf dem Hof half Carmen noch täglich im Stall mit, am liebsten im Kälberbereich. Sie investierten in neue Iglus, die heute aufgereiht vor dem Stall stehen. „Keiner hat diese Iglus, dabei sind sie so praktisch. Man muss sich nicht bücken. Das Dach lässt sich einfach nach hinten schieben“, berichtet Carmen. Früher standen die Kälber noch im geschlossenen Stall. Seit die Iglus draußen stehen, hat sich die Kälbergesundheit deutlich verbessert.
Nach zwei Jahren auf dem Hof erfolgten die Arbeiten nach eingespielter Routine. Carmen hatte die Möglichkeit, die Gummistiefel gegen den OP-Kittel zu tauschen und im nahegelegenen Krankenhaus in Plauen als Krankenschwester zu arbeiten. Dann kam ihr erstes Kind Jolien auf die Welt. Es folgten noch Sophie und Roxy. „Mittlerweile kann ich schon wieder in den Stall gehen und bisschen mithelfen beim Kühe treiben oder den Kälbern.“ Carmen wiegt den Kinderwagen, in dem die zwei Monate alte Roxy trotz der lautem Stallgeräusche um sie herum unbekümmert schläft. „Hof und Familie lässt sich gerade doch einfacher verbinden als Hof, Familie und Krankenhaus.“ Aber dass sie zukünftig nochmal als Krankenschwester arbeitet, schließt Carmen nicht aus.
Gerade genießt sie es, dass Zeit für ein ruhiges gemeinsames Frühstück mit ihrem Mann ist, wenn die älteren beiden Kinder schon im Kindergarten sind und das Baby schläft. Dann tauschen sich beide über Pläne auf dem Hof aus. Denn auch wenn Paul hauptsächlich die betrieblichen Entscheidungen fällt, bezieht er seine Frau mit ein und fragt vor Beschlüssen nach ihrem Rat. Schließlich ist sie genauso Mitinhaberin wie er.
Anschluss im Dorf
Besonders zu Beginn war die Skepsis im Dorf den zwei jungen Holländern gegenüber groß. Um die Verpächter einiger Flächen und die Dorfbewohner kennenzulernen, veranstalteten Carmen und Paul im ersten Jahr ein Hoffest. Was eigentlich als einmaliges Event gedacht war, entwickelte sich zu einer jährlichen Tradition. Aufgrund von Corona musste diese zwar ausgesetzt werden, aber dieses Jahr steht das zehnjährige Hofjubiläum an. „Wenn es geht, möchten wir groß feiern. Mit Musik und allem“, freut sich Carmen.
Ich hatte keine Sorge, dass es schwierig wird im Dorf.
Carmen Bregman
„Als ich hergekommen bin, hatte ich keine Sorge, dass es schwierig wird im Dorf. Ich war ja auch noch ganz jung, da macht man sich solche Gedanken nicht“, erinnert sich Carmen. „Jetzt wo ich älter bin, mit Kindern und allem, überlegt man viel mehr.“ Die Kinder sind aber auch ein Schlüssel und Zugang zu den Menschen im Ort geworden. Wenn Carmen mit dem Kinderwagen in Pöhl spazieren geht, sprechen sie jetzt Leute an, fragen nach und sie kommen ins Gespräch.
Carmen zeigt ein Video auf ihrem Handy und erzählt: „Einmal im Jahr wird der große Karpfenteich des Dorfes leergepumpt. Dann kommt das ganze Dorf zusammen. Der Fisch wird geräuchert und später verkauft“. Eine richtige Dorfgemeinschaftsaktion. Auf dem Video sieht man Paul mit einem Kescher und einem dicken, zappelnden Karpfen darin durch das knietiefe Wasser ans Ufer waten. Aufgeregt greifen die beiden Mädchen mit ihren Kinderhänden nach dem Fisch, stellen neugierige Fragen. Zur Erntezeit kommen Kinder aus der Nachbarschaft auf den Hof gelaufen, stehen am Silo und beobachten neugierig wie die großen Schlepper die Ernte abladen. „Die Menschen sind hier noch ganz nah an der Landwirtschaft“, erzählt Carmen.
In Sachsen angekommen
Ganz aufgeschlossen und unaufgeregt steht die junge Frau in Gummistiefeln und Arbeitsklamotten im Stall. Sie blickt mit ihrem Mann über die betonierte Fahrsiloplatte. Vor dem Stall hat man einen weiten Blick über die Felder. „Was man von ihr aus sehen kann, gehört dazu“, sagt Paul. Eine schmale Straße windet sich die hügelige Landschaft hinauf ins nächste Dorf.
Eigentlich wollte ich keinen Bauern heiraten, aber jetzt bin ich doch sehr froh!
Carmen Bregman
„Eigentlich wollte ich keinen Bauern heiraten, aber jetzt bin ich doch sehr froh“, resümiert Carmen. Ein bisschen schade findet sie es, dass die Großeltern 700 km entfernt wohnen und die Enkelkinder nur so selten sehen. Und, dass man nicht mal eben zu den Geschwistern zum Kaffee trinken fahren kann. „Aber eigentlich bin ich schon hier angekommen“. Sie überlegt kurz und sagt dann: „Doch, Zuhause ist jetzt hier.“ Paul könnte sich vorstellen, noch weiter Richtung Osten zu ziehen, vielleicht nach Rumänien und dort Kühe melken. „Aber da muss die Frau auch mitziehen“. Er blickt zu Carmen. Die lacht daraufhin herzlich.