Steckbrief:
Name: Dr. Kirsten Kemmerling (41)
Wohnort: Much (NRW)
Beruf: Referentin Stabstelle Nutztierstrategie (BMEL)
Familie: Freund und Tochter (10)
Hobbys: Kühe, Sport, wandern, lesen
Elite : Frau Kemmerling, was genau sind Ihre Aufgaben beim Bundesministerium für Ernährung & Landwirtschaft?
Kemmerling: Ich arbeite als Referentin bei der Stabstelle Nutztierstrategie am BMEL. Im Rahmen der Nutztierstrategie spielen Tierwohl, Umweltschutz, Forschung, Verbände, NGOs, der Handel und die landwirtschaftliche Praxis eine Rolle. Meine Aufgabe ist es, das Meinungsbild der verschiedenen Bereiche sowie fachliche Empfehlungen aufzuzeigen. In Arbeitsgruppen übernehme ich oft die Moderatoren-Rolle, um eine gemeinsame Lösung zu finden und diese im Ministerium weiterzugeben.
Elite : Wie sind Sie zu dieser Position gekommen?
Kemmerling : Nach meinem Agrarstudium in Bonn, einer landwirtschaftlichen Lehre und der Promotion war ich zuerst als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni beschäftigt. Dann folgte ein Jahr Elternzeit und schließlich eine Beschäftigung bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Ende 2017 habe ich zum Ministerium gewechselt.
Elite : Also sind Sie „zufällig“ zur Politik gekommen?
Kemmerling : Ja, auf jeden Fall. Meine Schwester war immer politisch aktiv, mein Favorit war es nicht. Ich bin durch die fachlichen Aufgaben „reingerutscht“. Glücklicherweise sind meine Aufgaben zu rund 70 % auf fachlicher Basis und das ist auch gut so! Denn es geht mir vor allem um die Sache – um Tiere und Landwirte!
Ich bin keine Politikerin, ich arbeite nur für die Politik!
Dr. Kirsten Kemmerling
Elite: Und Sie sind selbst auch Milcherzeugerin.
Kemmerling: Genau! Meine Schwester und ich bewirtschaften in einer GbR rund 40 Milchkühe und Nachzucht – in der achten Generation. Der Betrieb läuft im Nebenerwerb, da ich Vollzeit arbeite und meine Schwester eine 80%-Stelle hat. Unsere Holsteinherde – ergänzt durch zwei Braunvieh-Kühe (K. Kemmerling lacht) – läuft in einem Boxenlaufstall von 1987. Trotz seines stolzen Alters entspricht er aktuellen Platz- und Tierwohlanforderungen. Die Außenwirtschaft haben wir an Lohnunternehmen ausgelagert. Obwohl wir es uns vorstellen könnten, „in Vollzeit“ Kühe zu melken, waren und sind wir nicht bereit, in große, moderne Stallungen zu investieren, die die Generation nach uns noch finanzieren müsste.
Elite : Wer kümmert sich dann um die Kühe?
Kemmerling : Durch Homeoffice sind wir recht flexibel und können uns die tägliche Stallarbeit gut aufteilen. Heike übernimmt zum Beispiel morgens das Füttern und ich das Melken. Größere Arbeiten wie Einstreuen, Enthornen etc. machen wir freitags und samstags gemeinsam.
Elite : Das heißt, Sie machen freiwillig eine 65 Stunden-Woche?
Kemmerling: Ja, die Kühe sind in erster Linie Hobby. Wir müssen kein Geld damit verdienen, aber es soll mindestens eine schwarze Null ergeben. Wir kennen kein Leben ohne Kühe und sehen es als Ausgleich. Die Stallarbeit gehört zu meinem Tagesrhythmus und ich habe das befriedigende Gefühl, etwas geschafft zu haben.
Elite: Ist es eher Fluch oder Segen, direkt vom Fach zu sein?
Kemmerling: Ich sehe es als Segen. Meine Erfahrung ist förderlich für meine Aufgaben. So ist z. B. das diskutierte Platzangebot für Schweine keine abstrakte Zahl für mich, sondern ich kann es mir vor dem inneren Auge vorstellen. Dadurch erkenne ich schnell, wenn Kennzahlen etc. nicht passen. Das geht ganz automatisch. Der Praxisbezug wird von Landwirten und Kollegen als positiv angesehen. Bei Vorträgen beginne ich oft mit dem Satz ‚Ich habe heute Morgen noch gemolken‘. Dann wissen die Landwirte, dass ich ihre Situation verstehe und ernst nehme.
Elite: Sehen Sie Baustellen in der deutschen Milchkuhhaltung?
Kemmerling: Ja, einige Baustellen sehe ich schon. Zuerst bin ich persönlich kein Fan der Anbindehaltung. Auf Dauer ist das aus Tierwohlsicht nicht zu vertreten, da auch die Käfighaltung für Legehennen und der Kastenstand für Sauen abgeschafft werden. Die Diskussionen sind nicht einfach und rutschen schnell in eine emotionale Schiene. Dennoch muss sich da bald etwas tun! Und die Reproduktion der Holsteinkuh und die Verwertung der Bullenkälber! Die Strategie, dass Kühe fast jährlich abkalben, sorgt für einen Kälber-Überschuss, den wir wirtschaftlich betrachtet nicht benötigen. Verschärft wird die Situation durch die genomische Typisierung von Kälbern, denn so landen noch mehr vermeintlich ‚schlechte‘ Kälber auf dem „Mastmarkt.”
Elite: Inwiefern trägt die Nutztierstrategie dazu bei, die Tierhaltung umzubauen?
Kemmerling: Das oberste Ziel der Nutztierstrategie ist die Etablierung einer zukunftsfähigen Nutztierhaltung. Durch Tierwohlkriterien, die über dem gesetzlichen Standard liegen, und staatliche Tierwohlkennzeichen, soll der Landwirt eine Förderung und mehr Planungssicherheit erhalten und die gesellschaftliche Akzeptanz steigen. Eine der Hauptaufgaben ist die Lösung des Konfliktes zwischen Tierwohl und Umweltschutz. Die Handelsketten sollen sich schließlich an den Tierwohlstandards orientieren und die Mehrkosten vergüten.
Elite: Können Sie alle Tierwohlkriterien vertreten?
Kemmerling: Spontan gesagt – ja! Durch die drei Stufen gelten nicht alle Kriterien für alle Milcherzeuger. Dass in Stufe 3, also den höchsten Tierwohlansprüchen, der Weidegang verpflichtend ist, finde ich absolut richtig. Ich weiß, dass es nicht überall möglich nicht, darum ist es in Stufe 1 und 2 kein Pflicht-Kriterium. Ich weiß aber auch, dass es viele machen könnten. Es gibt auch Sachen, die mir fehlen, wie zum Beispiel ein Transitstall in Stufe 3.
Elite: Also gibt es Dinge, die Sie anders entscheiden würden?
Kemmerling: Dass etwas nicht so umgesetzt wird, wie man es sich gewünscht hätte, kommt natürlich vor. Das muss ich akzeptieren. Ich kann die Politiker beraten, aber direkten Einfluss habe ich nicht. In gewissen Situationen ist es nicht einfach, die persönliche Meinung außen vor zu lassen. Aber: Das Leben ist Veränderung! Wir müssen raus aus der Komfortzone, ein ‚Das haben wir immer schon so gemacht‘ gilt nicht mehr!
Ein „Das haben wir immer schon so gemacht“ gilt nicht mehr!
Dr. Kirsten Kemmerling
Elite: Wie gehen Sie mit Kritik von Berufskollegen um?
Kemmerling: Die Kritik von Berufskollegen habe ich noch nie als schlimm empfunden. Dass viele Anforderungen Arbeit verursachen und vor allem die Dokumentation zur Herausforderung wird, kann ich absolut verstehen. Aber manche wollen sich nicht ändern, hier ist dann ein anderer Umgang gefragt. Als wesentlich schwieriger empfinde ich aber die Diskussionen mit Verbänden …
Elite: Wie bekommt man Ökonomie und Tierwohl unter einen Hut?
Kemmerling: Es ist natürlich vorgesehen, die Tierwohl-Kennzeichen staatlich zu vergüten. In Bezug auf den Handel: Es darf gar keine billigen Fleisch- und Milchprodukte mehr zu kaufen geben! Ein wichtiger Aspekt sind vor allem europaweite Tierwohl-Standards. Mit gemeinsamen Zielen und Standards gibt es eine geringere Spanne zwischen Import, Export und heimischen Produkten, was sich positiv auf die Preise auswirken dürfte.
Es darf gar keine billigen Fleisch- und Milchprodukte mehr zu kaufen geben!
Dr. Kirsten Kemmerling
Elite: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Kemmerling: Wie gesagt – mehr Tierwohl und eine gerechte Bezahlung! Und ich wünsche mir Weltfrieden, auch wenn das vielleicht etwas viel verlangt ist. Würde sich die Welt etwas beruhigen, würden sich viele Probleme von selbst lösen … Die Zukunft unseres Betriebes ist natürlich eine wirtschaftliche Frage. Ich hoffe, dass wir die Kühe noch lange halten können und es vor allem weiterhin gerne machen.
Elite: Vielen Dank für das Gespräch.
Mehr Frauenpower gibt es hier:
Vom Leben als angestellte Herdenmanagerin zum heutigen Familienbetrieb hat sich für Susi Kahlo vieles verändert. Willkommen im Familienbetrieb
Frauenpower auf dem Betrieb von Familie Derboven. Vier Familien, 500 Kühe
Dr. Sabine Krüger, Geschäftsführerin der RinderAllianz, im Interview mit Elite Frauen.
Gemeinsam gut sein