„Wenn Google Maps sagt, dass die Straße zu Ende ist, immer weiter der Beschilderung in Richtung Gmarhof folgen.“ Diese Anweisung von Egon Telser vom Vortag befolgen wir um kurz vor acht Uhr morgens Ende Mai. Längst haben wir den kleinen Ort Schlanders, rund 100 Kilometer nördlich des Gardasees in Südtirol, verlassen und schlängeln uns in engen Kurven den Berg hinauf - teilweise über kurze Schotterabschnitte, oft nur im ersten Gang des Autos. Die Wolken hängen an diesem Tag fest in den Bergen, so dass wir die Aussicht nur mäßig genießen können.
Inzwischen sind wir am offiziellen Ende der Route laut Google Maps angelangt und folgen weiter der Straße. Was wir trotz der schlechten Aussicht entdecken, sind viele mobile Milchtanks mit großem Fassungsvermögen von über 300 Litern und Milchkannen mit 50 Liter Fassungsvermögen, die immer wieder an der Straße deponiert sind. Kurz darauf sehen wir auch den Grund dafür: Ein LKW mit offener Ladefläche blockiert die Straße. Auf der Ladefläche sind nur noch wenige Kannen übrig als er eine von ihnen an einem der vielen kleinen Milchkuhbetriebe, an denen wir auf unserem Weg zum Gmarhof vorbeifahren, ablädt.
Milchproduktion in Norditalien
In Norditalien stehen über 80 % der italienischen Kühe: Die kleinbäuerliche Idylle in Südtirol trifft auf professionelle Großbetriebe in der heißen Po-Ebene.
Jungviehalm: Im Frühjahr Start unterhalb des Betriebs
Einige hunderte Meter später müssen wir nochmal eine Pause einlegen- jedoch gewollt. Denn in einer der engen Serpentinenkurven streckt gerade ein junges Braunviehrind ihren Kopf über ein Holzgitter in Richtung Straße. Um ihren Hals hängt eine Glocke. Aus dem Auto ausgestiegen, hören wir immer mehr Glocken sanft läuten. Wir gehen am Tor entlang zu einer anliegenden Mauer aus Steinen, die die Straße von der Weidefläche trennt. Auf dem drunter liegenden Hang entdecken wir vereinzelt immer wieder ein Braunvieh zwischen den Lärchenbäumen. Der Geräuschkulisse der Glocken zu urteilen sind hier mehr Rinder, als wir sehen können. Das Gras ist bislang nur mäßig aufgewachsen. Später erfahren wir, dass das Jungvieh im Frühjahr unterhalb des Betriebs bei etwa 1.110 Metern mit dem almen startet und im Laufe der Vegetation bergauf auf über 2.000 Meter wandert.
Rotwild-Fraß unterbinden
Zurück im Auto durchqueren wir kurz vor unserer Ankunft bei Familie Telser ein automatisches Weidetor. Das stromführende Tor, welches durch das Auto aufgedrückt und anschließend wieder automatisch verschließt, bildet den Ein- und Ausgang eines groß eingezäunten Gebietes. „Jedoch nicht für die Kühe“, erklärt uns Egon Telser bei unserer Ankunft: „Wir hatten in den letzten Jahren massiven Grünland-Fraß durch Rotwild. Daher haben wir unsere Flächen rund um den Hof großrahmig eingezäunt und versuchen das Wild mit diesem Tor fern zu halten.“
In den letzten Jahren musste Familie Telser immer wieder Futter zukaufen, weil der knappe Aufwuchs auch noch vom Wild befallen wurde und somit nicht für die 17 Kühe, derer weiblichen Nachzucht und die 80 Schafe und 10 Ziegen ausreichte. „Wir rechnen dieses Jahr aber mit bis zu 20 % höheren Erträgen - jetzt wo die Flächen eingezäunt sind“ sagt Egon Telser, der selbst als Fütterungsberater in Südtirol arbeitet. Nach der Arbeit und am Wochenende unterstützt er seine Eltern und seinen Bruder zu Hause auf dem Gmarhof.
Grasqualität verbessern
Familie Telser verspricht sich von diesem Erntejahr nicht nur eine höhere Futterquantität, sondern auch – qualität. Im letzten Jahr haben sie sich an eine intensivere Bewirtschaftung ihrer Grünlandflächen gewagt. Nach dem Erhalt der Bodenprobenergebnisse haben sie ihre Wiesen nach langer Zeit gekalkt, um der Übersäuerung des Bodens entgegen zu wirken. Außerdem haben sie erstmals den Aufwuchs nachgesät , um die wichtigen Grasarten zu fördern. Die Futterflächen müssen zudem mit Hilfe einer Beregnungsanlage aus den 1980er Jahren bewässert werden, in welcher zudem Gülle eingespeist werden kann. „Unser Standort ist sehr trocken. Wir haben jährlich nur durchschnittlich 500 Liter Niederschlag“, erklärt Egon Telser. Den ersten der zwei, maximal drei Grasschnitte können sie, auch auf Grund der Höhenlage, nach einem langen Winter erst Mitte Juni, oft auch erst Anfang Juli einfahren.
Man muss schon hier aufgewachsen sein, um das zu mögen!
Egon Telser
Milchproduktion Norditalien
Seit 2013 setzt Antonio Bozzoni 100 % Fleischrassesperma ein. Klare Vorstellungen beim Kauf der Remontierungsfärsen ermöglichen ihm eine 42 Liter-Herdenleistung.
Heuration mischen
Egon Telser öffnet das große Holztor des Stalls. Wir treten ebenerdig in den dritten Stock des Stallgebäudes ein. Hier steht im Mittelgang ein Heukran, den Familie Telser dafür nutzt das Heu in den verschiedenen Kammern links und rechts des Mittelgangs für die Trocknung umzuschichten. Neben dem Kran entdecken wir eine kleine Klappe. „Seit diesem Jahr haben wir einen festinstallierten Mischwagen, um das Heu mit dem Kraftfutter zu mischen. Die Heupartikel sind dadurch kürzer und das Azidoserisiko sinkt. Über diese Eigenkonstruktion können wir das Heu mit dem Kran direkt in den Futtermischer, ein Stockwerk unter uns, werfen“, erklärt uns Egon Telser.
Über eine Holztreppe gelangen wir ein Stockwerk tiefer. Hier steht der kleine Futtermischer, auf dem ein Zettel mit der Rationszusammensetzung geklebt ist. In der ersten Spalte erkennt man die Anteile der verschiedenen Futterkomponenten Heu, Grummet (zweiter Schnitt), dem Kraftfutter bestehend aus Mais, Gerste, Raps- und Sojaextraktionsschrot sowie den Mineralzusätzen.
Während Egon Telser erklärt, dass sich die Umstellung der Fütterung von ad libitum Heu mit dreimal täglichen Kraftfuttergaben auf eine gemischte Heuration in einer höheren Fettleistung der Milch auszahlt, hören wir eine Etage unter uns die Kühe ruhig schmatzend ihr Futter genießen. Wenige Meter neben dem Futtermischer entdecken wir eine Luke. Als wir hinunter schauen streckt eine ältere Brown Swiss-Kuh neugierig ihren Kopf in die Höhe in unsere Richtung.
Ziel: 8.500 Liter Heumilch
Wir gehen die letzte Treppe hinunter in den Anbindestall. Als wir durch die Tür hineintreten bleiben die Kühe entspannt liegen oder fressen weiter die Ration. „Bis vor Kurzem war das ganz anders“, erklärt Telser. „Durch die dreimaligen Kraftfutter-Gaben sind die Kühe, in der Hoffnung Kraftfutter zu bekommen, immer aufgesprungen sobald wir den Stall betraten. So gefällt uns das viel besser! Die Kühe haben alles in einer Ration und sind deutlich ruhiger. Wir hoffen durch die Umstellung der Fütterung und der Grasproduktion zukünftig im Schnitt 8.500 Liter melken zu können.“
Die Kühe liegen auf eingestreuten Gummimatten, woran sich eine Kotrinne angliedert. Über den Kühen erkennt man eine Rohrmelkanlage. Mit vier Melkgeschirren benötigt man morgens und abends etwa 45 Minuten, um die 17 Kühe zu melken. Über ihren Köpfen ist eine selbstgebaute Schlauchlüftung aus KG-Rohren zu erkennen. Eine Kuh sticht besonders ins Auge. Sie frisst gerade als wir hinter der Kuhreihe entlang gehen. Ihre Ellenbogen sind leicht nach außen verdreht und zwischen ihre Vorderbeine würde ohne Probleme ein großer Bierkasten passen. Das ist die aktuell älteste Kuh der Familie Telser. Sie hat in ihrer siebten Laktation bereits über 75.000 kg Milch produziert und führt damit die Herde im Lebensleistungs-Niveau an.
Milchproduktion Norditalien
Die Milchkuhherde von Familie Pelizzari (IT) ist kontinuierlich gewachsen. Erst im letzten Jahr haben sie ein neues Melkhaus sowie einen neuen Stall eingeweiht.
Niedriges Erstkalbealter kaum möglich
Auf der gegenüberliegenden Futtertischseite der Kühe sind alle Anbindungen bis auf zwei leer. Hier belegen ein hochtragendes Rind, welches kurz vor der Abkalbung steht, und eine Kuh, die eine Verletzung am Bein hat, die zwei Tiefboxen. „Die restlichen Jungtiere sind auf der Alm. Bei uns gehen alle Rinder im Alter ab vier Monaten im Sommer auf die Weide. Die hochtragenden Rinder holen wir drei Wochen vor ihrer ersten Kalbung zurück,“ erklärt Egon Telser. Auf die Frage, wie mit besamungsfähigen Rindern in den Monaten von Ende April bis Oktober/November umgangen wird, antwortet er: „Wir versuchen die meisten Rinder im Winter zu besamen. Im Sommer erfolgt nur einmal die Woche eine Tierkontrolle auf den Almflächen. Wenn wir dort zufällig ein Rind in Brunst sehen, können wir sie zum besamen reinholen. Sehen wir, dass ein Tier abblutet, schauen wir gezielt drei Wochen später nach ihr, um sie zu besamen. Das Besamungsmanagement ist schwer, wenn die Jungtiere almen. Aus dem Grund erreichen wir ein Erstkalbealter von durchschnittlich 31 Monaten.“
Als wir nach unserem Rundgang wieder die zwei Treppen nach oben gehen und durch das Tor das Gebäude verlassen, blicken wir über die teils kargen Wiesen oberhalb des Betriebs. Egon Telser sagt: „Der Standort ist durch die Hanglage nicht der Beste.“ Sie können nur etwa 25 % der Wiesen befahren. Den Rest muss die Familie zu Fuß mit einem Balkenmäher mähen. Auch beim Schwaden macht der Hang Probleme. Circa 75 % der Ernte müssen sie bergab auf die anliegenden Wege schwaden, um das Gras dort mit dem Ladewagen zu bergen. „Letztendlich ist es trotzdem der schönste Arbeitsplatz“, resümiert Egon Telser zufrieden.
Junge Generation wandert ab
„Die letzte Generation konnte noch von der hier eher klein strukturierten, arbeitsreichen Landwirtschaft leben. Inzwischen muss die jüngere Generation arbeiten gehen, bevor die Eltern in Rente gehen. Dann haben sie geregelte Arbeitszeiten, eine oft leichtere Arbeit, verdienen mehr bzw. sicheres Geld und kommen daher oft nicht mehr zurück.“ Das sei ein riesen Problem, dem weitere folgen würden. Egon Telser erklärt: „Wir sehen die Landwirtschaft mit unseren Kühen und Ziegen an unserem Standort vor allem als Landschaftspflege, weil keine maschinelle Bewirtschaftung und Pflege mehr möglich ist. Leider erleben wir es immer häufiger, dass ein Betrieb aufgrund fehlender Nachfolger aufhört. Oftmals übernimmt allerdings kein Landwirt, sondern wohlhabende Menschen, die sich die Hofstelle zu einem ruhigen Urlaubsrückzugsort umbauen. Landwirte können solchen Kaufpreisen nichts entgegnen und so verwildern die Flächen herum.“ Egon Telser wünscht sich aus diesem Grund zukünftig ein Vorkaufsrecht oder eine Preisgrenze bei landwirtschaftlichen Aufgabebetrieben, um sowohl die Landwirtschaft in den Höhenlagen als das Landschaftsbild erhalten zu können.
Das könnte Sie außerdem interessieren:
Die Steillagen der Wiesenflächen von Familie Kaser in Südtirol bergen Tücken in der Futterbergung. So gelingt es ihr, die Kühe trotzdem optimal zu versorgen.