Tierwohl 

Wir müssen über das Töten sprechen

Wenn Kühe schwer krank sind, müssen unbequeme Entscheidungen gefällt werden. Heilungsversuch oder Euthanasie. Ein Überblick.

Verbraucher sind sehr sensibel, wenn Kühe abgemagert und hochgradig lahm beim Schlachthof abgeladen werden. Im Sinne des Tierwohls und des Branchenimage können wir uns diese Bilder nicht mehr leisten. Es ist Aufgabe von Tierhaltern und Tierärzten hinzusehen und zu handeln, wenn Tiere schwer krank sind, Schmerzen haben, Sterben oder notgetötet werden müssen.

Tierhalter in der Pflicht

Im Tierschutzgesetz §1 steht, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Zu den vernünftigen Gründen zählen die Lebensmittelproduktion, Jagd, Fischerei, Seuchenbekämpfung, das Töten gefährlicher Tiere und die Schädlingsbekämpfung. In §4 Tierschutznutztierverordnung steht, dass Wirbeltiere nur nach Betäubung geschlachtet werden dürfen. Wenn ein Tier krank wird, ist der Halter verpflichtet, sich unverzüglich darum zu kümmern, es abzusondern und weich zu betten.

Notschlachten oder -Töten – Wo ist der Unterschied?

Notschlachtung: Ein spontan schwer verletztes Tier, das transportunfähig ist, wird notgeschlachtet. Die Betäubung geschieht durch Bolzenschuss. Max. 60 Sekunden später erfolgt das Töten durch Blutentzug. Ein Tierarzt vor Ort führt die Lebendbeschau durch und überwacht den tierschutzkonformen Umgang mit dem Tier. Er stellt den Tod (Aussetzten der Atmung, Herzschlag und Lidreflex) fest. Innerhalb einer Stunde nach der Tötung muss das Tier am Schlachthof sein (Kühlung, Schlachttieruntersuchung). Mobile  Schlachteinheiten können das auf dem Betrieb gewährleisten.
Nottötung/Euthanasie: Kommt für Tiere in Frage, die Schmerzen und Leiden haben oder verletzte Tiere im letzten Drittel der Trächtigkeit und mit aussichtsloser Heilungsprognose. Ist die Trächtigkeit weit genug vorangeschritten, ist das Kalb ggfs. noch durch einen Not-Kaiserschnitt zu retten. Die Euthanasie ist immer eine Einzelfallentscheidung, die vom Tierhalter getroffen und von Tierärzten durchgeführt wird. Dabei wird ein hochdosiertes Narkotikum verabreicht, dass erst zur tiefen Narkose und dann zum Herz- und Atemstillstand führt. Bei tragenden Tieren kommt ein Wirkstoff zum Einsatz, der die Planzentaschranke überwindet.

Liegt die Kuh fest und hat sie  nicht  behandelbare Schmerzen, ist  eine Euthanasie oft der letzte Ausweg.  (Bildquelle: Weerda )

Vorsicht Jäger!  Wer meint, als Jagdscheininhaber, ein schwer krankes Tier erschießen zu dürfen, liegt falsch. Jäger, die Nutztiere ohne für den jeweiligen Einzelfall extra beantragte Genehmigung erschießen, müssen ihren Jagdschein abgeben.

Keine Entscheidungsverschleppung

Dass Tiere sich verletzten oder schwer krank fest liegen, kommt in jedem Milchkuhbetrieb vor. Aussichtslose Krankheitsbilder reichen von schweren, toxischen Euter- oder Gebärmutterentzündungen, Leberversagen, Brüchen bis zu Muskelabrisse. Auch im Kälberstall gibt es schwer kranke Festlieger und man darf nicht warten bis sich das „Problem“ von selbst erledigt. Da stehen dann die Fragen im Raum: Was bringt jetzt noch ein Therapieversuch? Oder soll zeitnah „eingeschläfert“ werden? Gut ist, wenn man sich im Vorfeld schon einmal klar gemacht hat, wer im Betrieb im Notfall aktiv werden muss und auf welcher (Daten-) Grundlage diese oft unangenehmen Entscheidungen gefällt werden sollen. Denn eine Entscheidungsverschleppung ist immer zum Nachteil von Kuh und Kalb, deren Heilungsaussichten mit der Zeit kleiner werden und das Leiden unnötig verlängert wird.

Transportfähigkeit oder nicht?

Wer sich entscheidet, ein Tier nicht mehr zu behandeln und es vorzeitig zum Schlachten zu geben, muss die Transportfähigkeit beachten. In der nachfolgenden Tabelle sind die Rahmenkriterien dafür zusammengefasst. Bei Grenzfällen sollten Tierhalter auf jeden Fall einen Tierarzt hinzuziehen.

In NRW gibt es inzwischen einen Leitfaden Transport- und Schlachtfähigkeit von Kühen, der anhand von kurzen Texten, Fotos und Piktogrammen erklärt, wann ein Tier schlacht- bzw. transportfähig ist. Ziel des Leitfadens ist es, die Transport- und Schlachtfähigkeit für alle am Transport beteiligten Personen eindeutig zu bestimmen. Der Leitfaden ist frei zugänglich im Internet.

Kühe dürfen nur transportiert  werden, wenn sie alle vier Gliedmaßen belasten können.  (Bildquelle: Mahlkow-Nerge)

Die Krankenbucht

Schwer kranke Tiere, die therapiert werden, sollten umgehend in eine gut eingestreute Krankenbucht umgestallt werden. Die Einstreu muss weich, trocken, sauber und der Stall regelmäßig z. B. mit Hygienekalk desinfiziert werden. Der Zugang zu Futter und Wasser muss leicht möglich sein.
Eine Krankenbucht darf keine Abkalbebucht und keine „Hospizbucht“ sein, in der Tiere lange dahinsiechen.
Dr. Hansjoachim Herrmann, Beratungsteam Tierhaltung, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen
Der Tierhalter sollte dann zusammen mit dem Tierarzt abwägen, ob eine Weiterführung der Therapie noch sinnvoll ist, oder ab man das Tier „erlösen“ muss. Für einen Therapieversuch sprechen z.B.  folgende Punkte (Übersicht): Die Kuh frisst und säuft, versucht aufzustehen und liegt noch nicht länger als drei Tage fest. Für das umgehende Einschläfern spricht, wenn Schmerzen nicht wirksam bekämpft werden können, oder Verletzungen so groß sind, dass die Prognose aussichtslos ist.

Entscheidung zur Euthanasie

Entscheidunghilfe Therapie oder Euthanasie  (Bildquelle: Weerda )

Schärfere Kontrollen

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat im März einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der mehr Tierschutz durch Kadaverkontrollen ermöglicht. In Niedersachsen dürfen die Überwachungsbehörden bereits in Tierkörperbeseitigungsanlagen (TBA) bereits angelieferte Tierkörper auf Tierschutzverstöße hin untersuchen und ggfs. Maßnahmen im Herkunftsbetrieb veranlassen. Im Fokus der Kontrollen stehen: Hochgradiger Abmagerung, Wundliegen, Pathologische Klauenveränderungen, Umfangsvermehrungen, Verletzungen, hochgradige Verschmutzung und Anzeichen einer nicht-fachgerechten Tötung.

Nottötungen verhindern

Um gar nicht erst in die Situation zu kommen, Tiere nottöten zu müssen, hilft die tägliche Tierbeobachtung. Nur wer Schwachstellen im Betrieb oder im Management frühzeitig erkennt und abstellt, kann unnötige Unfälle verhindern.