Wie früh erkennen Sie Schmerz?

Kühen wird nachgesagt, dass sie Schmerzen sehr versteckt zeigen. Mit geschärftem Blick kommt man ihnen aber auf die Schliche! Und das ist wichtig für die Früherkennung von Erkrankungen, die wiederum mit über den Behandlungserfolg entscheidend.

Schmerzen gehen einher mit Erkrankungen und Verletzungen. Und zwar schon in deren Anfangsstadien. Da Schmerzen zu Veränderungen in Verhalten und Körpersprache führen ("Schonhaltung"), können entsprechende Schmerzsignale" sehr gut dabei helfen, Erkrankungen frühzeitig wahrzunehmen. Und das insbesondere, wenn es die Schmerzursache im Inneren der Kuh liegt (z.B. Azidose, Entzündungen von Organen, Fremdkörper, Störungen im Verdauungstrakt). Um eine Früherkennung sollte ein Tierhalter sich absolut bemühen, denn sie allein erlaubt es, das Ausmaß möglicher Gewebeschädigungen auf ein Minimum einzuschränken, das Wohlbefinden des Tieres zu erhalten und ggf. dessen Leben zu retten sowie eine erfolgreiche Behandlung/Therapie und letztlich Leistungseinbußen so gering wie möglich zu halten.
Schmerzsignale schon sehr früh zu erkennen ist zum Glück keine unmögliche Aufgabe - auch wenn Kühen nachgesagt wird, dass sie Schmerzen nur sehr versteckt und verhältnismäßig spät zeigen. Es gibt sehr wohl eindeutige Signale/Anzeichen im Verhalten der Kühe, die sie trotz aller Bemühungen um Heimlichkeit verraten". Der aufmerksame Mensch kann diese rein visuell bei der täglichen Stallarbeit und Kontrollgängen seiner Kühe, Rinder und Kälber erkennen. Eine Gruppe Wissenschaftler/Tierärzte aus Dänemark (Gleerup et al. 2015) hat untersucht, welche Verhaltensweisen besonders aussagekräftig über das Vorhandensein von Schmerz und dessen Intensität sind und hat eine entsprechende Schmerzskala entwickelt: die Cow-Pain-Scale bzw. die Kuh-Schmerzskala.
Im folgenden eine Kurzfassung der Schmerz-Skala nach Gleerup et al. (2015)!

In sich horchende Kühe und krumme Rücken

Um den Schmerz erträglicher zu halten, versuchen auch Kühe die betroffenen bzw. gereizten Körperbereiche zu schonen, zu entlasten. Das resultiert in einem veränderten Verhalten und einer veränderten Körperhaltung. Da das Rind ein Beutetier ist und auch unsere Milchkühe als Nutztiere den entsprechenden Fluchtinstinkt nicht verloren haben, versuchen sie sich Schmerz allerdings so wenig wie möglich anmerken zu lassen und sich unauffällig zu verhalten. Trotzdem verraten sie sich leicht, wenn der Mensch weiß, worauf er achten muss! Gleerup et al. (2015) haben fünfzehn verschiedene Verhaltensweisen von 43 Milchkühen bewertet und sie klinisch untersucht, um diese einer Schmerz- und einer Nicht-Schmerz-Gruppe zuzuordnen.
Dabei stellten sich sechs Verhaltensweisen als signifikant aussagekräftig zur Schmerzsituation heraus. Dabei ist nicht die jeweils einzelne aussagekräftig, es müssen alle sechs Bereiche zusammen betrachtet werden:
  1. Aufmerksamkeit auf die Umgebung
  2. Kopfhaltung
  3. Ohrenausrichtung
  4. Mimik
  5. Reaktion auf Annäherung
  6. Rückenhaltung

Zusätzlich zur Verhaltensbeobachtung wurden die Kühe von den Tierärzten klinisch untersucht. Und das hingehend Lahmheit und Frakturen sowie den Zustand von Kreislauf, Verdauung, Atmung, Genitalien, Gliedmaßen, Euter und Klauen.
In den Verhaltensweisen können Abstufungen erkannt werden, die es ermöglichen, die Schmerzintensität einer Kuh abzuschätzen - Stufen 0 (kein Schmerz) bis 2 (starke Schmerzen). So war es den Wissenschaftlern möglich, ihre Kuh-Schmerz-Skala für den Stallalltag (Cow Pain Scale) zu entwickeln. Kühe nach dieser Skala systematisch auf entsprechende Verhaltensweisen im Stall rein visuell (!) anzusprechen, dauert nur wenige Sekunden pro Tier.
1 Kuh-Schmerz-Skala nach Gleerup et al. (2015)

Kuh-Schmerz-Score

0

1

2

Aufmerksamkeit auf Umgebung

aktiv und aufmerksam,

die Kuh frisst, kaut wieder, putzt sich, oder schläft etc.; sie ist wachsam, sucht Kontakt zum Beobachter, ist neugierig

versteckt, ruhig, in sich gekehrt, die Kuh frisst nicht, kaut nicht wieder, putzt sich nicht, schläft nicht; die Kuh vermeidet den Augenkontakt zum Beobachter, bewegt sich ggf. weg vom Beobachter

wie 1, die Kuh ist nicht aktiv, frisst nicht, kaut nicht, schläft nicht; sie liegt ggf. und will sich schnell wieder hinlegen, nachdem sie aufgestanden ist

Kopfhaltung

hoch/auf Höhe des Widerrist

auf/unterhalb Widerristhöhe

niedrig, tief abgesenkt

Ohrenausrichtung

beide Ohren nach vorne ausgerichtet oder ein Ohr vorwärts oder zurück und das andere hörend

beide Ohren nach hinten gerichtet, oder asymmetrisch eins nach vorn, eins nach hinten

hängende Ohren, beide Ohren seitlich ausgerichtet und schlaff, die Ohrmuschel zeigt leicht nach unten

Gesichtsausdruck/Mimik

aufmerksam, neutral, entspannt, glatte Haut

angespannt, besorgt; die Kuh zieht ihre Kopfhaut in Furchen über den Augen und Fältchen über den Nasenlöchern

wie 1

Reaktion auf Annäherung

schaut ihren Beobachter mit erhobenem Kopf und nach vorne ausgerichteten Ohren an oder setzt Beschäftigung (fressen, putzen) fort

schaut den Beobachter an, ihre Ohren sind aber nicht nach vorne, in Richtung des Beobachters ausgerichtet

kann, kann aber auch nicht den Beobachter anschauen, Kopf tief, Ohren nicht Richtung Beobachter nach vorne ausgerichtet, kann sich langsam von Beobachter entfernen; bleibt liegen

Rückenhaltung

normal, gerade

leicht gekrümmt

gekrümmt

Die Cow-Pain-Scale zum Download (mit Beispielfotos; auf Englisch):

Kühe ab Score 1 auf Schmerzursache untersuchen

Kühe, die nicht in dem Score 0 entsprechen, müssen umgehend auf die Schmerzursache hin untersucht und ggf. entsprechend durch einen Tierarzt und behandelt werden. Das schließt neben der Ursachenlinderung (z.B. Ausschneiden der Klaue, Antibiotikagabe) auch eine Schmerzbehandlung ein. Auch diese ist hinsichtlich Art der Erkrankung und Behandlungsdauer (Nebenwirkung von Schmerzmitteln beachten) vom Tierarzt durchzuführen bzw. an zuleiten.
Untersuchungsmethoden zu Lahmheit und Frakturen sowie dem Zustand von Kreislauf, Stoffwechsel (Ketose), Verdauung, Atmung, Genitalien, Gliedmaßen, Euter und Klauen müssen dem Tierhalter bzw. dem für die Kühe verantwortlichen bekannt sein. Der Tierarzt ist gegebenenfalls direkt hinzuzuziehen.
In der Bildergalerie finden Sie anschauliche Beispiele für die drei Stufen der Cow-Pain-Scale.


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