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Die gängige Trockenstellmethode in der Praxis ist es, Kühe abrupt, von einem Tag auf den anderen, trockenzustellen – selbst wenn die Milchkühe noch 25 bis 30kg Milch geben. Ist in diesem Fall der plötzliche Laktationsstopp sinnvoll bzw. die beste Methode für die Kuh?
Laut einer Umfrage stellen 13,4% der Elite-Leser ihre Kühe schrittweise trocken.
(Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck)
Bei einer Umfrage gaben kürzlich 13,4% der Elite-Leser an, ihre Milchkühe stattdessen Schritt für Schritt trockenzustellen. Aus physiologischer Sicht gibt es einige Gründe, die für diese Methode sprechen, erklärt die israelische Tierärztin Sivan Lacker. Sie regt deshalb an, zumindest einmal über das schrittweise Trockenstellen nachzudenken.
Sivan Lacker
Tierärztin, Ramat Yishai (Israel)
Tierwohl-Export aus Israel
Sivan Lacker ist Tierärztin in Israel. Mit ihrem StartUp MDFarming berät sie Betriebsleiter und Mitarbeiter auf Milchkuhbetrieben in Sachen Tierwohl. Zudem spricht sie wöchentlich im israelischen Radio über aktuelle Themen aus der Landwirtschaft.
Unzufriedene trockene Kühe
Vielleicht haben Sie in Ihrer Herde auch schon ein auffälliges Verhalten bei den frisch trockengestellten Kühen beobachtet. Diese Kühe sind oft unruhig, wollen zurück in die Gruppe der laktierenden Kühe und wirken insgesamt unzufrieden. Zudem zeigen sie ihre Bereitschaft, gemolken zu werden, indem sie lautstark vokalisieren („muhen“).
In einer Studie wurde das Verhalten von Kühen, die über fünf Tage schrittweise trockengestellt wurden, verglichen mit jenem von abrupt trockengestellten Kühen. Sofern die Kühe plötzlich trockengestellt wurden, nahm die Wahrscheinlichkeit, dass die Kühe stundenlang am Ausgangstor stehen, um den Faktor fünf zu. Wissenschaftler erklären dieses Verhalten mit der Frustration, aus der Routine genommen zu werden. Hinzu kommen die Schmerzen als Folge des erhöhten Euterinnendrucks.
Schmerzen und Stress
Sobald die Milchproduktion abrupt gestoppt wird, füllt sich das Gewebe mit Milch, der Innendruck im Euter nimmt zu. Dieser intramammäre Druck kann zu Gewebeschäden führen und damit zu Schmerz. Kühe, die mit einer Milchleistung von 25kg Milch/Tag abrupt trockengestellt wurden, veränderten in einer Studie ihr Liegeverhalten, sie lagen weniger Stunden am Tag. Die Beobachter führten das auf Schmerzen durch Gewebeschäden im Euter zurück.
In einer weiteren Studie wurde der Zusammenhang zwischen dem Euterinnendruck und der Adrenalin-Aktivität (Glukocorticoid-Metabolite) im Kot von hochleistenden Kühen gemessen, um das Stresslevel der Kuh beim Trockenstellen einzuschätzen. Verglichen wurden die Werte von Kühen, die mit über 20kg Milch/Tag trockengestellt wurden, mit den Werten von Kühen, die mit weniger als 15kg Milch trockengestellt wurden. Die Kühe mit den höheren Milchleistungen am Laktationsende hatten nach dem Trockenstellen einen hohen Druck im Euter, sogar höher als am Tag des Trockenstellens selbst. Auch die Glukocorticoidgehalte waren erhöht, was auf ein erhöhtes Stresslevel bei diesen Kühen hinweist. Die höchste Konzentration wurde am dritten Tag nach dem Trockenstellen gemessen.
Der Tag nach dem Trockenstellen: Augen und rückwärts gerichtete Ohren signalisieren den Stress dieser Kuh. Das Risiko einer Mastitis in der Folgelaktation ist bei schrittweise trockengestellten Kühen geringer.
(Bildquelle: Lacker)
Geringeres Mastitisrisiko
Kühe, die mit einer hohen Milchleistung trockengestellt werden, scheinen auch anfälliger für Mastitis-Erkrankungen zu sein. Das liegt daran, dass sich beim abrupten Trockenstellen die Zitzenzisterne nicht von selbst zurückbildet. So schließen sich die Strichkanäle nicht vollständig. Die Tiere können so weiterhin Milch verlieren, zum anderen können aber auch Keime aus der Umwelt leichter ins Euter eindringen. Im Fall offener Strichkanäle liegt das Mastitisrisiko dann auch viermal höher als im Vergleich zu geschlossenen Strichkanälen.
Beim schrittweisen Trockenstellen hat das Euter also mehr Zeit, sich zurückzubilden und die Strichkanäle zu schließen. Zusätzlich sinkt das Mastitis-Risiko während der Trockenstehzeit, da sich mehr weiße Blutkörperchen bilden. Das Widerstandsvermögen der Drüsen gegenüber Infektionen nimmt zu, denn Kühe, die in die Trockenstehphase mit einer Milchleistung von weniger als 14kg Milch eintreten, produzieren höhere Gehalte an Lymphozyten und Makrophagen. Die antibakterielle Abwehr fällt bei geringen „letzten“ Milchleistungen dann auch stärker aus. Das schrittweise Trockenstellen kann demnach also auch als Mastitisprohylaxe betrachtet werden.
Das Risiko einer Mastitis in der Folgelaktation ist bei schrittweise trockengestellten Kühen geringer.
(Bildquelle: Ostermann-Palz)
Melkfrequenz reduzieren?
Das Umseten des schrittweisen Trockenstellens ist eine große Herausforderung. Eine allgemeine Beratungsempfehlung gibt es nicht, Lösungen müssen immer betriebsindividuell erarbeitet werden. Inwieweit die Melkfrequenz am Laktationsende reduziert werden kann, hängt vom Leistungsniveau der Kühe und von der üblichen Melkfrequenz ab. Wissenschaftlich nachgewiesen ist jedoch, dass die Milchsekretion (erst) bei Melkzwischenzeiten von mehr als 15 Stunden deutlich sinkt.
Beim automatischen Melken ist dies relativ unkompliziert umzusetzen, weil die Melkanrechte der jeweiligen altmelkenden Kühe reduziert werden können. Beim konventionellen Melken müssen einzelne Melkzeiten übersprungen werden. Betriebe mit mehreren Hundert Kühen könnten eine eigene Gruppe für trockenzustellende Kühe am Laktationsende einrichten, die z.B. nur am Morgen gemolken wird.
Denkbar wäre auch, Kühe länger zu melken, die Laktation zu verlängern, um so die natürliche Milchreduzierung zum Ende der Laktation zu nutzen. Auch eine Erhöhung der Restmilchmengen, also die Kühe nicht ganz auszumelken, kann helfen, die natürliche Milchreduzierung der Kuh zu unterstützen. Das erfordert allerdings eine tierindividuelle Einstellung der Abnahmeautomatik, um den richtigen Schwellenwert für die Abnahme des Melkzeugs zu finden. Sonst sind bei der Kombination von Restmengen Milch im Euter und reduzierter Melkfrequenz Euterentzündungen vorprogrammiert.
Kühe nicht hungern lassen!
Eine weitere Strategie beim schrittweisen Trockenstellen ist es, den Energiegehalt im Futter für die trockenzustellenden Kühe zu reduzieren. Einfach weniger zu füttern oder kein Futter vorzulegen, um die Milchproduktion zu senken, ist jedoch keine Lösung! Nicht nur beeinträchtigt der Hunger das Wohlbefinden der Kuh, sie verliert auch Körperkondition, was Stoffwechselerkrankungen Vorschub leistet. Auch sollte die Energiedichte in der Ration nicht zu sehr abgesenkt werden, um eine negative Energiebilanz vor dem Trockenstellen zu verhindern.
Jungkühe länger trockenstellen
Erstlaktierende Kühe profitieren erheblich von einer längeren Trockenstelldauer. Ihnen sollte eine achtwöchige Melkpause gegönnt werden. Denn die jungen Kühe benötigen diese Zeit zur vollständigen Regeneration ihres Milchdrüsengewebes. Eine kürzere Trockenstehzeit führt bei Erstlaktierenden zu einer reduzierten Neubildung des Milchdrüsengewebes in der Trockenstehzeit und Frühlaktation und damit zu einer verminderten Funktionalität des Alveolargewebes des Euters nach dem erneuten (zweiten) Abkalben.
In Studien zeigten Erstlaktierende, die acht Wochen lang trockengestellt wurden, in der zweiten Laktation eine bis zu um 3,4 Liter höhere tägliche Milchleistung im Vergleich zu Kühen, die lediglich fünf bis sechs Wochen trockengestellt wurden. Zudem spiegelte sich die längere Melkpause in einer signifikant verbesserten Fruchtbarkeit wider (deutlich höhere Erstbesamungserfolge und weniger Güsttage). -ve-
Erstlaktierende Kühe länger trockenzustellen, kann zu höheren Milchleistungen und einer besseren Fruchtbarkeit in der Folgelaktation führen.
(Bildquelle: Hilbk-Kortenbruck)