Der Entwurf für das neue Tierschutzgesetz sieht vor, dass Kälber zur Enthornung vom Tierarzt lokal betäubt werden. Doch lässt sich das überhaupt praktikabel umsetzen?
Jetzt nimmt das geplante neue Bundestierschutzgesetz Fahrt auf. Am vergangenen Donnerstag fand nun die 1. Lesung im Bundestag statt, aktuell diskutieren die Fachausschüsse darüber und bis Ende des Jahres wird ein Beschluss erwartet. Neben dem Ende der ganzjährigen Anbindehaltung innerhalb von zehn Jahren sieht die Novelle vor, dass Kälber unter sechs Wochen zur Enthornung künftig lokal betäubt werden sollen. Und zwar durch den Tierarzt. Einzelne Molkereien schreiben die Maßnahme schon seit...
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Jetzt nimmt das geplante neue Bundestierschutzgesetz Fahrt auf. Am vergangenen Donnerstag fand nun die 1. Lesung im Bundestag statt, aktuell diskutieren die Fachausschüsse darüber und bis Ende des Jahres wird ein Beschluss erwartet. Neben dem Ende der ganzjährigen Anbindehaltung innerhalb von zehn Jahren sieht die Novelle vor, dass Kälber unter sechs Wochen zur Enthornung künftig lokal betäubt werden sollen. Und zwar durch den Tierarzt. Einzelne Molkereien schreiben die Maßnahme schon seit einiger Zeit im Rahmen eines Tierwohlprogrammes vor. Auch in der Biomilchviehhaltung ist die lokale Betäubung bereits Pflicht.
Studien zur lokalen Betäubung
Am Nutzen einer lokalen Betäubung des Kalbes zur Enthornung zweifelt niemand in der Branche, da sie die Schmerzen für das Tier effektiver ausschaltet als nur mit Schmerzmittel und Sedierung mittels Xylazin (siehe Kasten). Dr. Marcel Kunz, Tierärzte Team Tiefenbach GmbH: „Die Anwendung des Lokalanästhetikums ist auf jeden Fall zu befürworten, denn nur dadurch ist eine völlige Schmerzfreiheit während der Enthornung gewährleistet. Die bisherige Praxis der Beruhigung und der Schmerzmittelinjektion ist nicht schmerzausschaltend.“
Dr. Marcel Kunz
Tierärzte Team Tiefenbach GmbH
Diese Aussage bestätigen auch Studien wie z.B. vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG). Sie zeigen, dass Kälber mit Lokalanästhesie nicht nur weniger Stress haben und keine Schmerzen empfinden, sondern dass sie hinterher auch schneller wieder fit sind und fressen. Die Wunden heilen schneller und auch das Risiko danach am Respirationstrakt zu erkranken, war geringer.
Berufsverbände versus praktische Tierärzte
Während der Sinn der Maßnahme also unstrittig ist, wird über die Durchführung kontrovers diskutiert. Sämtliche Berufsverbände wie BRS, der DRV, DBV und auch der Bundesrat haben sich bereits vor der Sommerpause dafür ausgesprochen, dass die Rinderhalter künftig nach einer Schulung selbst die Lokalanästhesie setzen dürfen. Ihre Hauptargumente: Die Durchführung durch den Tierarzt verursache für die Rinderhalter Mehrkosten von ca. 100 Mio. €. Durch den verbreiteten Mangel an Tierärzten sei die Maßnahme zudem schwer fristgerecht und flächendeckend sicher zustellen.
Innerhalb der Tierärzteschaft ist das Meinungsbild divers. Während sich der Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. (BpT) dazu entschieden hat, diese Thematik überhaupt nicht zu kommentieren, akzeptiert die Bundestierärztekammer (BTK) den Tierärztemangel nicht als Begründung: „Bei sorgfältiger Planung der anstehenden Enthornungen könne der zusätzliche Aufwand für den Landwirt klein gehalten werden, wenn Tierärzte die Lokalanästhesie durchführen.“ Die Durchführung durch den Tierhalter lehnt die BTK klar ab. Die Begründung: An Tierhalter sollten solche Substanzen aufgrund des Suchtpotenzials und der Beeinflussung des Nervensystems nicht abgegeben werden.
Praktische Tierärzte sind gespalten
Fragt man indes praktische Tierärzte bekommt man vielfach ein ganz anderes Bild. Etliche sind dafür, dass die Landwirte die lokale Betäubung nach einer Schulung selbst durchführen können. Ihre Argumente im Einzelnen:
1. Zeit für echte Notfälle geht verloren
Sicher lasse sich die Betäubung im Einzelbetrieb beispielsweise bei vereinbarten Routinebesuchen, wie etwa zur Trächtigkeitsuntersuchung oder im Rahmen einer regelmäßigen Bestandsbetreuung, relativ einfach mitmachen. „Doch wenn das bei allen Betrieben umgesetzt werden muss, wird es schwierig“, so der Tenor aus der Tierärzteschaft. Jan-Bernd Lammers von der Tierarztpraxis Lammers in Warendorf: „Wir reißen uns ehrlich gesagt nicht um mehr Routinearbeiten, weil es in Zeiten von Personalmangel problematisch sein kann, sie dauerhaft zu gewährleisten.“
Gerade in Regionen, wo heute schon Tierärzte fehlten, werde es problematisch. „Wenn die Tierärzte noch mehr Routinearbeiten machen müssen, fehlt ihnen doch noch mehr Zeit für Notfälle. Wir haben doch jetzt schon zu wenig Tierärzte, die eine Rufbereitschaft anbieten können“, gibt eine Milcherzeugerberaterin von der Schwäbischen Alb zu bedenken.
2. Mit Schulung einfach durchführbar
Viele Tierärzte sind dafür, dass Milcherzeuger mit entsprechenden Schulungen in der Lage sind, die Betäubungsspritze selbst richtig zu setzen. Den optimalen Punkt am Kopf zwischen Auge und Ohr des Kalbes für die Spritze zu finden, sei nicht schwer. Johanna Latour: „Mit einer Schulung und mit etwas Übung ist das sicher kein Problem.“
Johanna Latour
praktische Tierärztin
Die vom Gesetzgeber angeführte Gefahr des Missbrauchs mit dem Lokalanästhetikum Procainhydrochlorid (Procamidor) seitens der Landwirte sieht die praktische Tierärztin wie viele ihrer Berufskollegen nicht. Sie verweist auf die Schweinehalter, wo sich die Abgabe des Inhalations-Anästhetikums Isofluran nach einer entsprechenden Schulung bewährt habe. „Dieser Wirkstoff ist viel gefährlicher als Procamidor!“, so die einhellige Meinung der befragten Tierärzte.
Die Gefahr des Missbrauchs von Betäubungsmitteln oder dass Milcherzeuger sich aus versehen sogar selbst spritzen, halten sie für sehr gering. Dr. Kunz: „Die Landwirte pauschal unter Missbrauchsverdacht zu stellen und ihnen von vornherein den Gebrauch zu verwehren, ist aus meiner Sicht nicht statthaft und in einer Demokratie unwürdig.“
3. Höhere Kosten für die Betriebe
Vor allem für kleinere Herden entstehen bei der Durchführung durch den Tierarzt hohe Kosten, weil die Leistung einzeln abgerechnet wird. Nur die lokale Betäubung kostet nach GOT 15,39 €. Hinzu kommen die Kosten für das Medikament und Verbrauchsmaterial. Im Rahmen eines Bestandsbetreuungsvertrages kommt die Maßnahme vermutlich günstiger, weil nach Zeit abgerechnet wird. Dr. Kunz: „Bei größeren Betrieben kann der Tierarzt bei seinem Besuch vielleicht gleich zehn oder 15 Kälber lokal betäuben, bei kleineren vielleicht nur eines.“ Gerade für kleinere Herden und für Nebenerwerbsbetriebe trage die Vorgabe einer Lokalanästhesie durch den Tierarzt dazu bei, sie aus der Produktion zu drängen, befürchtet er.
Interview
Schweiz: Wie klappt das mit einem Sachkundenachweis?
In der Schweiz dürfen Milcherzeuger ihre Kälber bis zu einem Alter von drei Wochen mit einem Sachkundenachweis selbst lokal betäuben. Wie sind die Erfahrungen in der Praxis? Das wollten wir von Tierärztin Dr. Helen Huber vom Rindergesundheitsdienst in der Schweiz wissen.
Elite: Wie beurteilen Sie die Betäubung per Sachkundenachweis durch die Tierhalter selbst?
Dr. Huber: Aus unserer Sicht funktioniert die Betäubung durch die Landwirte mit Sachkundenachweis gut. Nachgefragt wird er vor allem von – für Schweizer Verhältnisse – größeren Betrieben mit 100 Kühen und eigener Nachzucht, die durch ihre Tierzahl auch die nötige Routine erlangen. Kleinere Betriebe überlassen die lokale Betäubung aber oftmals lieber ihrem Hoftierarzt.
Dr. Helen Huber
Rindergesundheit Schweiz
Elite: Was müssen Milcherzeuger erfüllen, um den Sachkundenachweis zu erhalten?
Dr. Huber: Zunächst findet ein vom zuständigen Bundesamt anerkannter Theoriekurs mit Lernkontrolle statt. Zudem müssen Milcherzeuger mit dem Hoftierarzt eine Tierarzneimittel-Vereinbarung abschließen, um die nötigen Medikamente beziehen zu können. Es folgen praktische Übungen auf dem eigenen Betrieb, bei denen die Tierhaltenden unter Anleitung des Hoftierarztes den Eingriff üben. Ebenfalls besprochen wird das korrekte Lagern und Dosieren der Tierarzneimittel. Kann der Landwirt den Eingriff selbstständig korrekt ausführen, erfolgt die Anmeldung zur Überprüfung der erworbenen Fähigkeiten durch die kantonale Tierschutzfachstelle. Diese muss innerhalb von sechs Monaten durch den Amtstierarzt erfolgen und ist kostenpflichtig. Eine Auffrischung ist nicht nötig.
Elite: Welche Fehler können beim Betäuben auftreten? Wie oft ist das der Fall?
Dr. Huber: Einmal wurde das Mittel für die Lokalanästhesie mit jenem für die Sedation verwechselt. Das ist jedoch extrem selten. Bei nicht sachgemäßer Injektion kann es zu Entzündungen oder mangelhafter Wirkung kommen.
Was das Gesetz noch vorsieht
Das Auslaufen der ganzjährigen Anbindehaltung innerhalb von zehn Jahren
Beibehaltung der Kombinationshaltung bei bis zu 50 Rindern (ab sechs Monaten), auch nach Generationswechsel
Winterauslauf- und Weidepflicht bei ganzjähriger Anbindehaltung
Pflicht zur Einrichtung einer Abkalbebucht in Anbindeställen innerhalb von vier Jahren.