Russland

Virtuelle Milch und eine geschönte Statistik

In Russland wird anscheinend ein Drittel weniger Milch gemolken als offiziell verkündet. Konzerne aus Asien investieren derzeit in gigantische Milchfarmen.

In Russland sind Zweifel an der tatsächlichen Höhe der heimischen Milchproduktion aufgekommen. Rund ein Drittel der vom Statistikamt Rosstat ausgewiesenen jährlichen Rohmilcherzeugung von gut 30 Mio. Tonnen seien „virtuelle Milch“, berichtete kürzlich die russische Wirtschaftszeitung „Vzglyad“ und bezog sich dabei auf Aussagen des Vorsitzenden der Union der russischen Milcherzeuger (Sojuzmoloko), Andrej Danilenko. Eigene Recherchen und Berechnungen des Verbandes hätten ergeben, dass die offiziell von den Moskauer Statistikern herausgegebene Zahl von gut 30 Mio. Tonnen Milch um etwa 10 Mio. Tonnen zu hoch sei, erklärte Danilenko Ende August bei einer Pressekonferenz in der Uralstadt Ufa.

Nur 12 von 30 Mio. Tonnen Milch landen in den Molkereien

Laut Rosstat belief sich die russische Milchproduktion 2015 auf 30,8 Mio. Tonnen, von denen allerdings nur etwa 12,0 Mio. Tonnen durch die Anlieferung an Molkereien statistisch nachweisbar waren. Die Statistikbehörde habe große Schwierigkeiten, die Erzeugung des „privaten Sektors“ zu erfassen und müsse diese schätzen, erläuterte der Verbandsvorsitzende der Milcherzeuger. Die 2015 für Bauern- und Hauswirtschaftsbetriebe angegebene Erzeugung von zusammen rund 16 Mio. Tonnen Milch sei deutlich überschätzt, so Danilanko.
Milchbauer

(Bildquelle: Elite Magazin)

Ein Grund dafür sei, dass diese Produktionsdaten gewöhnlich von den Provinzverwaltungen nach Moskau gemeldet und als Grundlage für die Zahlung von Subventionen für vermarktete Milch aus nationalen und regionalen Töpfen herangezogen würden. Der Milchverband geht aufgrund seiner Recherchen davon aus, dass der Privatsektor aktuell lediglich rund 5 Mio. Tonnen Milch produziert und sich zusammen mit den knapp 15 Mio. Tonnen der großen Gemeinschaftsbetriebe die russische Milcherzeugung in einer Größenordnung von 20 Mio. Tonnen bewegt.

Trotz EU-Sanktionen: Russlands Landwirtschaft boomt

Die EU hat seit Mitte 2014 Sanktionen gegen Russland wegen der Unterstützung Moskaus für die prorussischen Separatisten in der Ostukraine verhängt. Russland verfügte daraufhin ein Einfuhrverbot für Lebensmittel aus der EU, das kürzlich bis Ende 2017 verlängert wurde. „Eine gute Gelegenheit“, die einheimische Landwirtschaft zu unterstützen, wie Regierungschef Dmitri Medwedew sagte.
Tatsächlich erlebt Russlands Landwirtschaft einen bemerkenswerten Boom. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 verödeten immer mehr Ackerflächen, fast ein Vierteljahrhundert ging das so. Oligarchen und Investoren mieden die marode Landwirtschaft. Die Rohstoffbranche versprach schneller größere Gewinne. Seit 1992 hat Russland so rund 35 Mio. Hektar Ackerfläche verloren. Das entspricht ziemlich genau der Fläche der Bundesrepublik Deutschland.
Motor des Fortschritts sind riesige Agrarkonglomerate. Sie haben vor allem die besonders fruchtbaren Schwarzerdeböden in Südrussland unter sich aufgeteilt. Eine der größte Agroholdings heißt Prodimex und beackert 800.000 Hektar, umgerechnet entspräche das der dreifachen Fläche des Saarlands. Die Konzerne treiben die Mechanisierung und Digitalisierung der Landwirtschaft in Russland voran, die der globalen Entwicklung lange hinterherhinkte.

80.000 Kühe in Mega-Milchfarm

Mittlerweile investieren einige Konzerne auch im Milchsektor. Russische und asiatische Anbieter haben sich nämlich auf die verändere Lage eingestellt und wollen die Märkte, die früher mit landwirtschaftlichen Produkten aus EU-Ländern bedient wurden, langfristig behalten: Im Mai unterzeichnete der thailändische Premierminister Prayut Chan-o-cha bei einem Staatsbesuch in Moskau einen Vertrag zum Aufbau einer gigantischen Milchproduktionsanlage 200 Kilometer südlich von Moskau. Teilhaber des umgerechnet eine Milliarde US-Dollar schweren Projekts sind neben der thailändischen Charoen-Pokphand-Gruppe auch der chinesische Konzern Banner Infant Dairy Products, der russische Staatsfonds RDIF und arabische Investoren.
In der geplanten Milchfabrik in Rjasan sollen in spätestens fünf Jahren 80.000 Kühe auf bis zu sechzigtausend Hektar Fläche mit Futter versorgt werden und damit mehr als 400.000 Tonnen Milch jährlich produzieren. Läuft alles nach Plan, kann der Betrieb bereits im nächsten Jahr mit 40.000 Kühen produzieren. Vietnamesische Investoren haben umgerechnet 720 Millionen US-Dollar in zwei weitere große Riesen-Milcherzeugungsbetriebe gesteckt, die ab 2017 in der Umgebung von Moskau den Großraum mit über 15 Millionen Einwohnern ortsnah beliefern sollen.
Schon seit mehreren Jahren erfolgreich in Russland unterwegs ist die Ekosem-Agrar GmbH, die deutsche Holdinggesellschaft der auf Milchproduktion ausgerichteten Unternehmensgruppe Ekoniva. Die Milchkuhherde umfasst mittlerweile knapp 25.000 Tiere, die tägliche Milchleistung liegt bei rund 550 Tonnen.