Molkereien wollen 5 Laktationen!

Zwei in der Schweiz und in den Niederlanden angesiedelte Molkereien wollen ihre Lieferanten überzeugen, die Kühe länger am Leben zu lassen

Alte Kühe bzw. die Verlängerung der Nutzungsdauer ist ein Thema, dass den Verbrauchern zunehmend am Herzen liegt. Erste Molkereien erhoffen sich durch ein Engagement in diesem Bereich beim Konsumenten zu punkten. Mit dem ideellen und ökologischen Mehrwert, der mit dem Thema verbundenen ist, hoffen sie letztlich auf ihre Milchprodukte aufmerksam zu machen.

Je älter Milchkühe werden, desto besser fürs Klima

In der Schweiz sollen ab sofort rund tausend Kühe ein Jahr (eine Laktation) länger leben dürfen. Die Milchbauern erhalten für den größeren Aufwand (um die Kühe älter werden zu lassen) einen Aufpreis im Schnitt von 3,5 Rappen pro Kilogramm Milch. Finanziert wird das Pilotprojekt („Klimafreundliche Milch“) von zwei Partnern: dem Schweizer Bundesamt für Landwirtschaft und Nestlé. Der Nahrungsmittelkonzern ist einer der großen Treiber der Schweizer Milchwirtschaft und verarbeitet in seinen eidgenössischen Molkereien jährlich 118.000 Tonnen Milch, den größten Teil davon im Emmental, wo unter anderem Babymilchpulver und Dessertcreme hergestellt werden.
Beim Projekt Klimafreundliche Milch geht es aber nicht nur um den Tierschutz sondern auch um den Umweltschutz. Der Ausstoß des Treibhausgases Methan bei der Milchproduktion soll nämlich reduziert werden. Das ist möglich, wenn die Kühe älter werden. Denn lebt eine Milchkuh ein Jahr länger, erhöht sich die Milchleistung pro Lebenstag. Das bedeutet: Die Milch wird letztlich auch klimafreundlicher.

Nestlé geht es dabei angeblich nicht um die Werbung. Der Konzern will mit der klimafreundlichen Milch denn auch kein neues Label schaffen und nicht auf seinen Produkten damit werben. „Gelingt es mit dem Projekt, die Klimabelastung zu reduzieren, reduziert sich indirekt auch der ökologische Fußabdruck vieler Nestlé-Produkte“, erläutert Nestle-Sprecherin Inge Gratzer. Es gehe um eine Langzeitstrategie der Landwirtschaft: Wichtig sei, dass die Innovation in der heimischen Landwirtschaft vorangetrieben werde, „denn Schweizer Milch muss gegenüber dem Ausland einen Mehrwert haben“.
Ab 2019 soll das Pilotprojekt auf 3.000 Kühe von 170 Bauernhöfen ausgedehnt werden. Es läuft dann noch vier Jahre. Zusammen mit weiteren Maßnahmen, wie etwa der Fütterung anderer Futtermittel, soll der Methanausstoß der Kühe pro Kilo Milch um zehn Prozent gesenkt werden.

(Bildquelle: Nestle)

Gib Ihnen 5!

In den Niederlanden hat sich der Käsespezialist „Bel Leerdammer“ das Ziel gesetzt, die Nutzungsdauer der Milchkühe seiner Lieferanten deutlich zu erhöhen. Zu diesem Zweck hat die Molkerei ein Pilotprojekt mit 20 niederländischen Milcherzeugern initiiert. Angestrebt wird eine durchschnittliche Nutzungsdauer der Kühe von mindestens fünf Laktationen. Binnen drei Jahren soll ein Ansatz entwickelt werden, der dieses Ziel langfristig erreichbar macht und in der breiten Praxis angewendet werden kann. Das Projekt „Gib Ihnen 5!“ wird intensiv betreut vom Beratungsunternehmen Valacon. Der Schwerpunkt liegt auf dem Austausch von Erfahrungen und einer bedarfsorientierten Bereitstellung von (neuem) Wissen.
Die Molkerei hat bereits ein umfassendes Monitoring-System namens „Kuh-Kompass“ zur Steigerung des Tierwohls eingeführt: Zwei Mal im Jahr erfasst ein Tierarzt zusammen mit den Milchbauern 30 Indikatoren, die ermitteln sollen, wie es den Kühen geht. Anhand der Ergebnisse können gezielt Aktionen (Handreichungen und Workshops) entwickelt werden, um das Tierwohl zu steigern. Auch die Weidehaltung wird gefördert. Eine Weideprämie bietet einen finanziellen Anreiz, die Kühe regelmäßig an die frische Luft zu lassen (an mindestens 120 Tagen im Jahr mindestens sechs Stunden am Tag). Die Einhaltung der Vorgaben wird laut ‚Leerdammer‘ regelmäßig intern und extern kontrolliert.

Nicht zu sehr auf hohe Milchleistungen schielen!

Willem van Laarhoven (Bildquelle: privat)

Wir haben bei Berater Willem van Laarhoven vom Beratungsunternehmen Valacon nachgefragt, wie sich die ehrgeizigen Ziele, eine Nutzungsdauer von fünf Laktationen, erreichen lassen.
Elite: 20 Milcherzeuger wollen die Nutzungsdauer in ihren Kuhherden auf fünf Laktationen erhöhen? Wo wollen bzw. müssen die Melker ansetzen?
van Laarhoven: Alle an dem Pilotprojekt teilnehmenden Milchbauern sind hochmotiviert, sie wollen ihre Kühe länger melken. Das bedeutet, dass sie offen sind für Veränderungen. Klar ist z.B., dass sie ihre Remontierungs-Strategie überdenken müssen. Sie müssen schon sehr gute Argumente anführen, wenn eine Kuh in der ersten oder zwei Laktation abgeben wollen.
Elite: Wo sollte der Fokus liegen, wenn es um die Verlängerung der Lebensdauer geht?
van Laarhoven: In der Praxis liegt der Fokus noch viel zu sehr auf dem genetischen Fortschritt und zu wenig auf der Nutzung des vorhandenen Potenzials der Herden. Milchbauern denken noch zu oft, dass sie mit einer Färse eine bessere Genetik in den Melkstand bekommen. Sie haben das Gefühl, dass ihnen etwas „entgeht“, sofern sie ältere Kühe nicht durch Färsen mit extrem hohen Zuchtwerten (neue Genetik) ersetzen. Die Genomics verstärkt diesen Effekt.
Elite: Ist das denn nicht so?
van Laarhoven: Eine ältere Kuh hat zwar einen niedrigeren Zuchtwert, sie produziert aber viel mehr Milch als eine Färse. Die Milchleistung legt im Mittel pro Generation letztlich nur um 85 kg Milch zu. Selbst wenn wir mit einem genetischen Fortschritt von 500 kg pro Generation rechnen, ist das immer noch weniger Milch als die durch eine zusätzliche Laktation gemolkene Menge. Wenn es uns gelingt, die Lebensdauer der bestehenden Herde um eine Laktation zu verlängern, erreichen wir viel mehr als durch den Einsatz „heißer“ Genetik. Diese Effekte wurden in mehreren Studien nachgewiesen. Es ist eben wirtschaftlich interessanter, die Kühe länger in der Produktion zu halten. Als optimal gilt eine Nutzungsdauer von acht bis neun Laktationen.
Elite: Wo müssen Milcherzeuger ansetzen, damit die Kühe älter werden?
van Laarhoven: Sie sollten auf eine gesunde Aufzucht achten, den Kühen ein Maximum an Komfort anbieten, die Fütterung optimieren und bei der Zucht auf die funktionalen Merkmale achten, insbesondere auf eine gute Fruchtbarkeit und gesunde Beine, Klauen und gute Euter. Wichtig sind auch gute Milchinhaltsstoffe, denn diese bringen das Geld. Kühe mit hohen Fett- und Eiweißgehalten müssen letztlich weniger melken als Kühe mit „dünner“ Milch. Besser ist es zudem, töchtergeprüfte Bullen einzusetzen und nicht blind auf Genomics zu vertrauen.
Unabdingbar ist auch eine regelmäßige tierärztliche Bestandsbetreuung. Vielfach wird auch noch befürchtet, dass ältere Kühe die Tierarztkosten anstiegen lassen. Sicherlich nimmt mit dem Alter die Betreuungsintensität etwas zu. Die dadurch anfallenden Kosten stehen jedoch in keinem Verhältnis zum dem Einkommen, das sich aus ein- oder zwei zusätzlichen Laktationen ergibt. Diese Unternehmen haben.

Elite: Sie empfehlen in der Zucht verstärkt auf die Persistenz zu achten. Warum?
van Laarhoven: Kühe, die sich durch eine hohe Persistenz auszeichnen können besser ausgefüttert und in Kondition gehalten werden. Niederländischen Untersuchungen zur Folge zeichnen sich 100.000-Liter-Kühe durch Persistenz und Spätreife aus. Sie beeindrucken letztlich auch mit einer überdurchschnittlichen Milchleistung.
Elite: Wie lässt sich ein Stall mit persistenten Kühen füllen?
van Laarhoven: Auf eine flache Laktationskurve lässt sich gut züchten! Eine kürzlich mit flämischen 100.000-Liter-Kühen durchgeführten Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 60 bis 70 % der 100-Tonner aus Färsen und Geburten von Zweitkalbskühen stammen. Anscheinend waren bei diesen jungen Müttern die Bedingungen für den Embryo besser. Erst- und Zweitkalbskühe zeigen vergleichsweise flachere Laktationskurven. Offenbar leidet der Embryo in diesem Fall nicht so massiv wie im Fall eines hohen Milchpeaks und der damit verbundenen stärker ausgeprägten negativen Energiebilanz.
Aber auch mit der richtigen Ration lässt sich etwas nachhelfen. Etwas Geduld ist ebenfalls wichtig, denn die Kühe müssen sich erst entwickeln.
Eine flache Laktationskurve und ein „normales“ Leistungsniveau bei den Färsen sind Investitionen in die Zukunft. Leider streben nicht alle Milcherzeuger dieses Ziel an, weil sie der Meinung sind, dass hohe Milchleistungen in Kombination mit einer kurzen Zwischenkalbezeit höhere Renditen ermöglichen.