Der schwierige Weg aus dem tiefen Preistal

Investitionen verschieben, arbeiten im Defizit und Rücklagen auflösen, mit diesen Maßnahmen gelang es vielen Milcherzeugern, die Milchmarktkrise zu überstehen. Auch wenn die aktuell steigenden Milchpreise etwas zur Entspannung beitragen, sind die Nachwehen der Krise allgegenwärtig. Berater der LWK Niedersachsen und ein Milcherzeuger berichten.

„Die Landwirte arbeiten noch nicht mal zum Nulltarif, sie arbeiten im Defizit!“

Gerhard Schwetje

Gerhard Schwetje, Präsident der LWK Niedersachsen Foto: LWK NDS (Bildquelle: Elite Magazin)

Gerhard Schwetje – Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK NDS)
Das lange Milchpreistief machte es kaum möglich, einen klassischen Familienbetrieb mit zwei Familien und Altenteiler zu unterhalten. Auch das prognostizierte Unternehmensergebnis von 58.000 € für 2016 kann dies nur knapp schaffen.
Die Milchpreise steigen derzeit und Prognosen versprechen einen weiteren Anstieg, aber ist damit auch eine Entwarnung gegeben? Schwetjes Antwort dazu lautet ganz klar „Nein“!
Er erklärte dies anhand folgender Rechnung für einen Betrieb mit 130 Kühen, 83.000 kg/Monat und einem Produktionspreis von 34 ct/kg für den Juni 2016:
  • 21 ct/kg Auszahlungspreis – 34 ct/kg Produktionspreis = -13 ct/kg Milch

  • -13 ct/kg x 83.000 kg = -10.700 € im Juni 2016 à -360 €/Tag

Klar ist, dass ein derart hohes Defizit (-10.700 € im Monat) große finanzielle Löcher reisst. Um diese zu stopfen, mussten viel Milcherzeuger ihre eisernen Reserven mobilisieren.
  • 21 ct/kg Auszahlungspreis – 34 ct/kg Produktionspreis = -13 ct/kg Milch

  • -13 ct/kg x 83.000 kg = -10.700 € im Juni 2016 à -360 €/Tag

Fazit: Durch die steigenden Milchpreise verringert sich der Druck langsam, auch in psychischer Hinsicht. Allerdings ist ein konstant guter Milchpreis über zwei Jahre nötig, um die geschobenen Investitionen nachzuholen, Reserven wieder aufzufüllen und Löcher zu stopfen. 

„Bei jedem Kilogramm Milch zahlte der Landwirt neun Cent zu!“

Dr. Albert Hortmann-Scholten

Dr. Albert Hortmann-Scholten, Leiter des Unternehmensbereiches "Betrieb" der LWK Niedersachsen Foto: Stöcker (Bildquelle: Elite Magazin)

Dr. Albert Hortmann-Scholten – Leiter des Unternehmensbereiches „Betrieb“ der LWK NDS
Die Situation am Milchmarkt entspannt sich derzeit, weil der Preis wieder auf ein Niveau steigt mit dem die Landwirte annähernd kostendeckend produzieren können. Die Börse signalisiert jedoch eine fallende Preistendenz ab August 2018. Grund dafür sei die zunehmende Konkurrenz aus dem Ausland. Die Krise hat gezeigt, dass Milchviehbetriebe, die mehrere Standbeine haben, die Zeit niedriger Milchpreise besser überwinden konnten.
Ein landwirtschaftlicher Betrieb braucht ein Unternehmensergebnis von mindestens 100.000€ zum Überleben, ansonsten wirtschaftet er im Defizit. Dadurch, dass die Landwirte in den Krisenzeiten je kg Milch neun Cent draufgezahlt haben, steht zuerst das Auffüllen der aufgebrauchten Reserven an. Ein Aufrüsten vor einer nächsten Krise ist dabei wichtig.
Hortmann-Scholten rät hier ganz klar zu betriebsindividuellen Lösungen. Er sieht Potential in qualitativem Wachstum und Diversifizierung. Ein (außerlandwirtschaftliches) Standbein in Vermietung von Immobilien sowie Erneuerbare Energien können dabei helfen, die Defizite der Milchproduktion auszugleichen.
Aber auch der Rückzug aus der Landwirtschaft kann eine Lösung sein. In den vergangenen zehn Jahren haben in Niedersachsen mehr als 4.000 Milcherzeuger aufgegeben. Dies ist eine Entscheidung die allergrößten Respekt verdient aber sie ist eine, wenn auch schwere, Lösung, so Hortmann-Scholten.

„Ich wünsche mir eine Initiative Bauern- und Bäuerinnenwohl!“

Anne Dirksen

Anne Dirksen, Fachbereich "Familie und Betrieb/Sozioökonomische Beratung" der LWK Niedersachsen Foto: Stöcker (Bildquelle: Elite Magazin)

Anne Dirksen – Sozioökonomische Beratung LWK NDS
Die Milchpreiskrise hat auf den Betrieben zu einer depressiven Stimmung geführt. Familienmitglieder nehmen plötzlich Hartz IV in Anspruch, obwohl sie niemals arbeitslos waren um einigermaßen über die Runden zu kommen. Es werden Investitionen zurückgestellt und die Altersvorsorge wird aufgebraucht. Eine Beratung sollte frühzeitig in Anspruch genommen werden, um den Betrieb durch schwierige Zeiten zu lenken und übergabefähig zu halten. Doch bei all den ökonomischen Problemen, darf auch der Mensch nicht vergessen werden, das ist meine Aufgabe, so Dierksen.
Einen landwirtschaftlichen Betrieb zu bewirtschaften ist eine Lebensaufgabe, weil Hof kommt von Hoffnung und beides gibt der Landwirt nicht auf. Eine Betriebsaufgabe bedeutet Abschied von Leben, Tradition und Leidenschaft.
Aber es ist keine Betriebsaufgabe nötig, um die psychischen Grenzen der Menschen auf den Höfen auszuloten. Mangelende gesellschaftliche Akzeptanz, fehlende Wertschätzung und steigende Auflagen sind nur einige Tropfen ins eh schon übervolle Fass. Nicht selten sind Burnout oder depressive Erkrankungen die Folge. Daher ist eine Initiative Bauern- und Bäuerinnenwohl von Nöten, weil die Menschen neben den Zahlen nicht vergessen werden dürfen.

„Die Kunst Geld zu verdienen, während man 400 Stunden im Monat arbeitet, um Menschen zu ernähren, die glauben, man würde sie vergiften.“

Christoph Burmester

Christoph Burmester, Milchviehhalter aus der Elbmarsch Foto: Stöcker (Bildquelle: Elite Magazin)

Christoph Burmester – Milchviehhalter aus der Elbmarsch
„Ich bin ein Unternehmer. Ich muss investieren und Rücklagen bilden, damit mein Unternehmen funktionieren kann, so sieht es Christoph Burmester. Der gelernte Landwirt mit Bachelorabschluss in Agrarwirtschaft ist 31 Jahre jung, hat zwei Kinder und bewirtschaftet seit 2016 in einer GbR Kooperation mit seinem Vater den Familienbetrieb, auf dem sie 140 Milchkühe halten und 160 ha Fläche bearbeiten. Im Jahr 2015 baute er einen Boxenlaufstall an und stockte seine Herde von 80 auf insgesamt 160 Milchkühe auf, mit dem Ziel wettbewerbs- und zukunftsfähig zu werden.
Der Stallanbau kostete über 500.000 €. Burmester kalkulierte zunächst mit einem Milchpreis von 27 ct/kg Milch, jedoch war schnell klar, dass auf Grund aktueller politischer Auflagen ein Preis von mindestens 38 ct/kg Milch nötig wäre, um kostendeckend produzieren zu können. Durch die Milchpreiskrise und niedrige Milchleistungen, summierte sich in den letzten 12 Monaten im Kuhstall ein Verlust von 55.000 € auf. Also wurde und wird auch weiterhin an allen Ecken gespart.
Doch trotz der nunmehr bessren Milchpreise nimmt die Frustration des jungen Betriebsleiters zunehmend zu, denn der Schuldenberg wächst und wächst. „Allein um die schwarze Null auf dem Konto zu erreichen, brauche ich zwei Jahre gute Milchpreise. Die entstandenen Löcher sind dann aber noch nicht gestopft.“ Hinzu kommt die Kritik der Gesellschaft und die hohen Auflagen seitens der Politik. 

Burmester sieht mittelfristig in der Steigerung der Milchleistung und der Verbesserung der Grundfutterqualität eine Chance, die Milchproduktion wettbewerbsfähiger aufzustellen. Sollte das Konzept nicht funktionieren, bleibt ihm wohl nur noch die Betriebsschließung, denn eine Diversifizierung kommt für ihn nicht in Frage. Doch Hinwerfen will er eigentlich nicht, da er eine Tradition erhalten und seinen Kindern eine Zukunft auf dem Hof bieten möchte.
Quelle: Pressekonferenz der Landwirtschaftskammer Niedersachsen in Oldenburg am 09.08.2017
Bearbeitet: Laura Henn