„Ich dachte, man melkt noch mit der Hand!“

Bilder wie diese sind in den Köpfen der Verbraucher häufig fest verankert. Um das zu ändern, haben in Münster Landwirt-Azubis im dritten Lehrjahr angehenden Köchen gezeigt, woher die Rohstoffe für deren Gerichte kommen. Mit Erfolg: Die Köche sehen die Landwirtschaft nun in einem völlig neuen Licht!

Der Lehrplan für Landwirte sieht in Nordrhein-Westfalen im dritten Ausbildungsjahr den Komplex Öffentlichkeitsarbeit im Fach Vermarktung vor. Jedoch nimmt dieser Aspekt oft nicht viel Raum ein, die Vorbereitung auf die Abschlussprüfung steht im Vordergrund. Nicht so am Wilhelm-Emmanuel-von-Ketteler-Berufskolleg in Münster: Hier sind die Azubis aktiv geworden. Die angehenden Landwirte zeigten Koch-Azubis des Adolph-Kolping-Berufskollegs auf zwei landwirtschaftlichen Betrieben, woher die Rohstoffe für deren Gerichte kommen. Elite hat sie begleitet und einige Stimmen eingefangen:

Kathrin Feldkamp, 20 Jahre, 3. Lehrjahr Landwirtschaft

Kathrin Feldkamp

Fotos: Schworm (Bildquelle: Elite Magazin)

„Im dritten Lehrjahr steht in der Berufsschule ein Projekt zur Öffentlichkeitsarbeit auf dem Stundenplan. Wir haben uns überlegt, den Koch-Azubis die moderne Landwirtschaft zu zeigen. Für uns eine super Möglichkeit, den Umgang mit fachfremden Menschen und die Öffentlichkeitsarbeit näher kennenzulernen! Dass das nötig ist, habe ich in meinem privaten Umfeld erfahren: Andere Jugendliche konnten meine Begeisterung für die Landwirtschaft häufig nicht verstehen. Ich habe daraufhin beschlossen neuen Leuten direkt beim näheren Kennenlernen zu erzählen, dass ich eine landwirtschaftliche Ausbildung mache. Die meisten reagieren interessiert und neugierig.
Wir haben die Köche in Gruppen eingeteilt und ihnen dann die Betriebe in Form verschiedener Stationen (mehr zu den Stationen in der Bildergalerie) erklärt. Das hat sich bewährt! Es kommen zwar immer noch viele Menschen in den Stall, aber in kleinen Gruppen. Die Tiere sind dann ruhiger. Außerdem kann man in Kleingruppen alle Fragen beantworten und auf die Einzelpersonen eingehen. So wird die Diskussion übersichtlicher und intensiver. Der Tag hat sehr viel Spaß gemacht und sich gelohnt. Was mich überrascht hat: Die Offenheit der Köche und ihr wirkliches Interesse an der Milchviehhaltung! Außerdem hat unsere Klasse alle Vorbereitungen und den Tag selber sehr gut gemeistert. Wir haben Hand in Hand gearbeitet und jeder hat sich eingebracht!"

Jakob Dellwig, 21 Jahre, 3. Lehrjahr Koch

Jakob Dellwig

(Bildquelle: Elite Magazin)

„Ich mache eine Ausbildung zum Koch, weil ich in diesem Beruf die größten Möglichkeiten sehe, um später im Ausland zu arbeiten. Mein Traum ist Japan. Mir gefällt an meinem Job der Stress, er spornt an und powert. Die moderne Landwirtschaft hingegen ist mir völlig unbekannt. Es gibt zwar viele Landwirte an meinem Wohnort, aber ich war noch in keinem modernen Stall. Auch die Menschen in meinem Freundeskreis interessieren sich nicht für Landwirtschaft. Allerdings achten sie darauf, qualitativ hochwertiges Fleisch zu kaufen, besonders für gemeinsame Grillabende.
Dieser Tag war ein Schulprojekt und wir mussten mitmachen. Aber ich wollte auch selber sehen, wie ein moderner Betrieb aussieht. Ob wirklich alle Tiere schlecht gehalten werden. Jetzt weiß ich, dass heute von der Landwirtschaft viel mehr erzeugt wird als früher. Es steckt so viel mehr Geld und Aufwand dahinter, als ich dachte! Ich habe z.B. gelernt, wie viel Futter man für ein Kilo Fleisch braucht. Und wie teuer es ist, einen Hektar Land zu bewirtschaften - die Pachtpreise sind echt krass! Aber am faszinierendsten fand ich den Melkroboter, so moderne Technik. Ich dachte, es wird noch mit der Hand gemolken. Meiner Meinung nach müsste die konventionelle Landwirtschaft viel höher eingestuft werden. Bio ist nur ein Trend. Konventionell ist nicht schlecht.“

Thomas Pösentrup, Betriebsleiter Hof Pösentrup (Milchvieh und Bullenmast)

Thomas Pösentrup

(Bildquelle: Elite Magazin)

„Wir führen öfters mal Kindergärten oder andere Gruppen über unseren Betrieb und finden es wichtig, die Gesellschaft in die moderne Landwirtschaft einzuführen. Eine Azubine hier aus der Bauernschaft hat mich angesprochen und gefragt, ob ich mitmachen würde. Da unser Betrieb und der Schweine-Betrieb nebeneinanderliegen, passten wir gut in das Projekt.
Die Gesellschaft hat stellenweise ein verzerrtes Bild von der modernen Landwirtschaft. Das geht sogar auf dem Dorf schon los. Wir hatten mal die Dorfgemeinschaft auf dem Betrieb, die waren total erstaunt. Gerade ältere Menschen verbinden mit der modernen Technik häufig etwas Schlechtes. Zudem waren die Menschen überrascht, dass 10.000 kg-Kühe auch gut aussehen können und keine mageren Klappergestelle sind.
Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Punkt für die moderne Landwirtschaft. Meine Erfahrungen sind im Nachhinein positiv. Die Leute, die skeptisch auf den Hof kamen, gehen mit einem guten Eindruck. Knackpunkte für die Zukunft sehe ich zum einen im Umweltbereich. Die Ausbringung des Düngers wird immer mehr gedeckelt werden, die Ausbringung weniger geduldet und Gewässer-, Grundwasser- und Bodenschutz immer stärker in den Vordergrund rücken. Zum anderen erwartet die Gesellschaft von uns Landwirten immer mehr, ist aber nicht bereit, uns für diese Erwartungen zu entlohnen.“

Stephanie Hugenroth, Berufsschullehrerin der Köche

Stephanie Hugenroth

(Bildquelle: Elite Magazin)

„Ich wurde von den Landwirten angerufen und gefragt, ob wir Interesse haben sie bei diesem Projekt zu unterstützen. Da meine Schüler durch ein Nachhaltigkeitsprojekt ohnehin sehen wollten, woher unsere Lebensmittel kommen, konnte ich direkt zusagen. Vorbereitet wurde der heutige Tag, indem einige der Landwirte unsere Schüler im Unterricht besuchten und sich nach Interessen, Vorkenntnissen, dem Wissensstand und Fragen erkundigt haben. Unter unseren Schülern herrschte eine positive Grundstimmung. Sie waren aber auch erstaunt über die komplexen Informationen. Viele von ihnen waren noch nie auf einem Bauernhof.
Aktionen wie diese sind meiner Meinung nach ein gutes Mittel zu Öffentlichkeitsarbeit. Die Medien pushen oft ein falsches Bild der Landwirtschaft. Die Lehrlinge der Landwirtschaft haben den Tag gut vorbereitet. Auch die Situation war super: Azubi erklärt Azubi seinen Beruf auf Augenhöhe.“

Erwin Köster und Eva Niederdalhoff, Berufsschullehrer der Landwirte

Herr Köster und Frau Niederdalhoff

(Bildquelle: Elite Magazin)

„Im Lehrplan ist die Öffentlichkeitsarbeit ein fester Bestandteil im dritten Lehrjahr. Dabei sollen Verbraucher informiert werden und die Auszubildenden Kommunikation und das Übertreten der Hemmschwelle lernen. Dieses Projekt soll auch der Persönlichkeitsentwicklung der jungen Erwachsenen dienen. An unserer Schule wächst das Projekt von Jahr zu Jahr, die einzelnen Klassen haben jährlich viele verschiedene Ideen, die umgesetzt werden.
Wir investieren Zeit in das Projekt, trotz der Abschlussprüfung, denn auch Öffentlichkeitsarbeit muss gelernt werden. Die Schüler sollen bereits in ihrer Ausbildung mit kritischen Fragen konfrontiert werden und die Situation erleben. Sie sollen lernen herauszustellen, dass Landwirte nur das Beste für ihre Tiere und die Verbraucher wollen. Später sollen die heutigen Auszubildenden das Gelernte im Betrieb umsetzen können.
Die Schüler haben diesen Tag selbstständig vorbereitet und organisiert: Sie haben zu den Köchen Kontakt aufgenommen, deren Klasse besucht, die Betriebsvorstellungen geplant und mit den Betriebsleitern vorbereitet. Heute mussten die Schüler Wissen vermitteln, dass sie sich dafür angeeignet hatten. Sie haben jederzeit den Überblick und die Übersicht behalten. Für sie war es ein wichtiger Perspektivenwechsel! Der Aufwand für solche Projekte ist wirklich groß, aber er lohnt sich. Die Betriebe müssen sich auf die Öffentlichkeitsarbeit einstellen und auch mitmachen wollen. Sie wird immer wichtiger.“
Der Dank der Schüler gilt den Betrieben, die diesen Tag ermöglicht haben. Einen Einblick in die fachliche Gestaltung der Stationen zeigt die 


Das Feedback, dass eine weitere Lehrerin der Köche den Landwirten gegeben hat, möchten wir Ihnen nicht vorenthalten. Sie sagte: “Landwirt ist ein Beruf, den man nur mit Liebe ausüben kann - wie kochen!“ Jetzt muss diese Tatsache nur noch bei der restlichen Bevölkerung ankommen. Durch Aktionen wie diese ist das aber sicherlich zu schaffen!
Autor: Anna Schworm