Herdenmanagement

Die Größten sind nicht immer die Besten

Durch die Zucht auf hohe Leistungen sind die Kühe gleichzeitig auch größer und schwerer geworden. Doch große Kühe sind nicht immer auch die Effizienteren.

Der Ressourceneinsatz gewinnt in der Landwirtschaft zunehmend an Bedeutung. Auch die Kraftfutterpreise werden weiter steigen. Neue Ergebnisse zeigen, dass die Milchleistung pro Kuh und Jahr kein umfassend vollständiges Maß zur Beurteilung der Fütterungseffizienz in der Milchviehhaltung ist. Durch die Erfassung und Berücksichtigung der mittleren Lebendmasse, beispielsweise bei der Anpaarungsplanung, könnte hier ein weiterer Fortschritt erreicht werden. Denn schwerere Kühe müssen eine höhere Milchleistung erbringen als leichtere, um die gleiche Fütterungseffizienz zu erreichen. Die Veränderung der Körpermasse der Kuh im Laufe der Laktation muss dabei stets mit berücksichtigt werden.

Schwerere Kühe müssen mehr Milch geben

Aus der Tierernährung ist bekannt, dass der Erhaltungsbedarf von Kühen von der metabolischen Körpermasse abhängt.  Um dieselbe Fütterungseffizienz zu erzielen, muss mit steigender Lebendmasse die Milchleistung einer Kuh je 100 kg Körpermassezunahme um rund 12 bis 13% ansteigen. Bei dem aktuell errechneten Leistungsniveau sind dies etwa 1.000 kg Milch pro Jahr mehr, die eine 750 kg schwere Kuh im Vergleich zu einer 650 kg schweren Kuh mehr erzeugen muss.

Haltungssystem ist entscheidend

Die Jahresmilchleistung pro Kuh sagt erst einmal wenig über die Fütterungseffizienz aus. Sie hängt stark von der Lebendmasse der Kuh, dem Kraftfuttereinsatz und damit meistens vom gewählten Milchproduktionssystem ab. In den klassischen Grünlandregionen wird meist nach der „Low cost“-Strategie gearbeitet und somit auf Weidehaltung gesetzt. Dabei werden Rassen mit geringer mittlerer Lebendmasse und geringeren Einzeltierleistungen gehalten. Ziel ist hier ein reduzierter Aufwand und die Deckung der Jahresration vorrangig mit Weidegras. In weiten Teilen Deutschlands haben hoch intensive Haltungssysteme in ganzjähriger Stallhaltung zugenommen. Doch auch Mischformen sind in klassischen Grünlandregionen anzutreffen. Hier wird die Weidehaltung beibehalten und gezielt Kraftfutter im Stall zu gefüttert. Hinzu kommt, dass die Gesellschaft zunehmend die Beibehaltung der Weidehaltung einfordert. Daher nimmt auch hier das grundsätzliche Interesse an leichten Kuhtypen zu.

Definiertes Zuchtziel hinterfragen

Mit der Definition eines einheitlichen Zuchtzieles mit Betonung einer relativ großen und schweren Kuh ( 700 kg mittlerer Körpermasse), einer sehr hohen Milchleistung und eines hohen Milchfettgehaltes ( 4 %), wie es im neu formulierten Zuchtziel für Deutsche Holsteins steht, können nicht überall die spezifischen Standortvorteile voll ausgespielt werden. Die Orientierung der Zuchtverbände an den nordamerikanischen Milchkuhmodellen ist daher kritisch zu hinterfragen.

Körpergröße und Nutzungsdauer

Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Wirtschaftlichkeit der Milchproduktion ist die Nutzungsdauer. In einigen Betrieben beträgt die Reproduktionsrate zwischenzeitlich über 45 %, sodass weibliche Tiere zugekauft werden müssen. Nach wie vor scheiden die meisten Tiere aufgrund von Fruchtbarkeits- und Euterproblemen aus dem Bestand aus. Aber auch die Abgänge aufgrund von Klauen- und Gliedmaßenerkrankungen nehmen zu.
Eine gezielte Auswertung von Bullennachzuchten ergab, dass Bullengurppen mit hohen Zuchtwerten in der Nutzungsdauer im Mittel eine unterdurchschnittliche Größenvererbung, einen weniger scharfen Widerrist und weniger Körpertiefe aufweisen. Die Töchter besitzen klare, trockene Sprunggelenke, ein ausgeprägtes Zentralband, eine feste Voreuteraufhängung und hoch angesetzte Euter. Kurz gesagt: Eine hohe Bewertung des scharfen, edlen Milchkuhtyps korrespondiert zwar mit einer höheren Milchleistungsveranlagung, aber im Mittel auch mit einer unterdurchschnittlichen Nutzungsdauer.
 
Quelle: Prof. Dr. Wilfried Brade (Tierärztliche Hochschule Hannover); DLG Nachrichten 6/14