Erzeugergemeinschaften: Zahnlose Tiger?

Im letzten Jahrzehnt ist der Anteil der Erzeuger- an den Endverbraucherpreisen europaweit zurückgegangen. Es ist dringend notwendig, dass Milcherzeuger wieder ein „größeres Stück vom Kuchen“ erhalten. Im EU-Milchpaket sind dazu Maßnahmen vorgesehenen wie z.B. die Bündelung der Milch bzw. die Gründung von Branchenorganisationen. Wie realistisch ist diese Annahme? Eine Stellungnahme von Professor Theuvsen (Universität Göttingen).

Das nahende Ende des Milchquotensystems bedeutet für den europäischen Milchmarkt eine Zäsur. Viele Landwirte und Verarbeiter fragen sich: Was kommt danach? Dieser Frage ist Professor Dr. Ludwig Theuvsen in einer Stellungnahme als „independent expert“ für die EU-Kommission nachgegangen. Unter anderem ist an ihn die Aufgabe herangetragen worden, die durch das sogenannte „Milchpaket“ geschaffene Möglichkeit, dass Landwirte sich zu Erzeugerorganisationen zusammenschließen oder sich an Branchenverbänden beteiligen, zu bewerten. Lesen Sie im Folgenden Auszüge aus seiner Stellungnahme:
Die EU-Kommission hat mit dem „Milchpaket“, das seit dem 3. Oktober 2012 in vollem Umfang in Kraft ist, die Voraussetzungen für zwei weitere Organisationsformen verbessert:
  • Erzeugerorganisationen
  • Branchenverbände

  • Erzeugerorganisationen
  • Branchenverbände

Was sind Erzeugerorganisationen?

Eine Erzeugerorganisation (EO) ist eine horizontale Organisationsform, die Landwirten hilft, ihre Interessen zu koordinieren. EOs sind eines der Kernelemente des EU-Milchpakets. Das Milchpaket sieht vor, dass Landwirte sich unter bestimmten Bedingungen in EOs zusammenschließen können, um kollektiv Vertragsbedingungen wie den Milchauszahlungspreis auszuhandeln. Das Milchpaket verschaffte den europäischen Milcherzeugern auf diese Weise kartellrechtliche Vorteile, um ihre Position gegenüber marktmächtigeren Marktpartnern zu verbessern. Daneben können Erzeugerorganisationen aber auch anderen Zwecken dienen. So können sie beispielsweise helfen, die Aktivitäten von Molkereiunternehmen und Landwirte zu koordinieren, und damit die Einhaltung besonderer Produkt- oder Prozessstandards ermöglichen, die der Erschließung von Marktnischen (z.B. Produkte mit qualifizierter Herkunftsangabe) dienen.

Was sind Branchenverbände?

Branchenverbände sollen den Dialog zwischen den Marktpartnern sowie gemeinsame Tätigkeiten fördern. Sie decken dementsprechend ein breites Spektrum von Aktivitäten ab. Sie können unter anderem Verträge standardisieren, Markttransparenz garantieren, Forschung und Innovation fördern, Qualitätsverbesserungen vorantreiben, den Wissensaustausch erleichtern oder die Erreichung von Zielen der Gemeinsamen Agrarpolitik, wie die Gewährleistung einer umweltfreundlichen und nachhaltigen Produktion, unterstützen.

Der Einfluss von EOs auf die zukünftige Entwicklung des Milchsektors ist begrenzt!

Erzeugerorganisationen (EO's) gibt es im Milchsektor einiger EU-Staaten wie Deutschland schon lange. Andere EOs wurden während der Milchkrise 2008/09 gegründet, um Produktionsmengen zu bündeln und die Position der Landwirte bspw. in Preisverhandlungen mit Verarbeitern zu stärken. So agieren sie als Gegengewicht im Interesse der Erzeuger und versuchen auf diese Weise, bessere Vertragskonditionen (Preise) für Landwirte zu erreichen. Andere EOs wiederum unterstützen hauptsächlich die Einhaltung von Qualitätsstandards oder die Erzeugung und Vermarktung von Produkten mit dem Siegel der geschützten geographischen Angabe. Die Frage ist allerdings, ob EOs ein geeignetes Instrument sind, um das Ziel, eine Stärkung der Position der Milcherzeuger zu erreichen, die dafür sorgen könnte, dass sie einen größeren „Anteil am Kuchen“ erhalten.
Um diese Frage zu beantworten, lohnt ein Blick in die Fleischwirtschaft, in der in Deutschland ähnliche Anstrengungen zwecks Verbesserung der Position der Erzeuger unternommen wurden. Die dort tätigen, recht zahlreichen EOs, in der Regel Erzeugergemeinschaften oder Unternehmen des genossenschaftlichen Viehhandels, spielen eine große Rolle bei der Verhandlung mit den Schlachtunternehmen. Sie sind auch an der Bestimmung von Marktpreisen für Schlachtvieh beteiligt, hauptsächlich durch die Bereitstellung von Preisinformationen für die Ermittlung von Referenzpreisen. Bei der Aushandlung besserer Schlachtviehpreise für die Erzeuger tun sich aber selbst große EOs, (genossenschaftliche Viehvermarkter) sehr schwer. EOs haben in der Wertschöpfungskette Fleisch denn auch eher eine organisatorische Aufgabe: Sie erleichtern die Vermarktung von Schlachttieren und fungieren als Informationsplattformen und Logistikdienstleister.
Als Gegengewichte gegen die Marktmacht der nachgelagerten Wertschöpfungsstufen taugen EOs dagegen weniger. Die Gründe dafür sind einfach: Der Konzentrationsgrad auf der Ebene der verarbeitenden Betriebe ist weit höher als der auf Erzeugerebene und entwickelt sich auch dynamischer. Der Versuch, Gegenmarktmacht aufzubauen, muss daher scheitern. Außerdem ist die Anzahl der verarbeitenden Betriebe, die als Abnehmer für die Erzeuger und EOs in Frage kommen, begrenzt. Auch dies begrenzt die Verhandlungsposition der Erzeuger und der EOs gegenüber der Schlachtbranche.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ist es eher unwahrscheinlich, dass EOs in der Milchwirtschaft die ihnen durch das Milchpaket zugedachte Rolle der kollektiven Aushandlung von besseren Vertragsbedingungen erfolgreich spielen können. Selbstverständlich können sie sich in die Preisverhandlungen mit Molkereien einschalten. Dann geht es jedoch eher darum, die Transaktionskosten für den einzelnen Landwirt zu senken. Ein erfolgreicher Weg, Milcherzeugern „ein größeres Stück vom Kuchen“ zu sichern, wird dies dagegen eher nicht sein.

Branchenverbände: Fehlende gemeinsame Interessen verhindern effektives Handeln

Branchenverbände sollen den Dialog zwischen den Marktpartnern sowie gemeinsame Tätigkeiten fördern. Es ist ihnen dagegen nicht erlaubt, Preise festzulegen, den Markt aufzuteilen oder das Produktionsvolumen zu regulieren.  In einigen EU-Staaten gibt es bereits anerkannte Branchenverbände der Milchwirtschaft, etwa in Ungarn (HAD), Spanien (INLAC) und Frankreich (CNIEL).
Wie ist die Rolle dieser Organisationen in der Milchwirtschaft einzuschätzen? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da Branchenverbände in den Milchsektoren der meisten EU-Staaten ein neues Instrument sind. Es gibt daher kaum Erfahrungen mit ihnen, und Studien zu ihrer Attraktivität und Effektivität fehlen weitgehend. Erfahrungen mit der überbetrieblichen Zusammenarbeit in Industrieverbänden sowie dem Gemeinschaftsmarketing verdeutlichen aber die Fallstricke, die den Erfolg von Branchenverbänden gefährden: Vor allem fehlende gemeinsame Interessen sind ein Hauptgrund, der die Effektivität derartiger Organisationen stark begrenzt. Daher ist davon auszugehen, dass Branchenverbände nur einen begrenzten Einfluss auf die zukünftige Entwicklung des Milchsektors in der EU haben werden. Außerdem kann angenommen werden, dass in den EU-Staaten, in denen bisher noch keine Branchenverbände im Milchbereich existieren, nur wenige derartige Verbände gegründet werden.

Fazit: Grundsätzlich Neues ist nicht zu erwarten!

Verträge (sowie sich aus der Mitgliedschaft in Genossenschaften ergebende Rechte und Pflichten) sind Kernelemente der Koordination zwischen Landwirten und Molkereiunternehmen. Dies wird sich auch nach dem Ende der Milchquote nicht wesentlich ändern. Allenfalls nehmen die Molkereien punktuell Weiterentwicklungen ihrer Verträge vor, etwa im Hinblick auf die rechtzeitige Ankündigung höherer Milchliefermengen durch Erzeuger. Auch werden zum Teil Prognosesysteme entwickelt, die den Molkereiunternehmen auf der Grundlage von Meldungen ihrer Lieferanten eine Aussage zu den in naher Zukunft zu erwartenden Verarbeitungsmengen erlauben. Grundsätzlich Neues ist in der Zusammenarbeit von Erzeugern und Verarbeitern dagegen nicht zu erwarten.