18. Jahrestagung der WGM

Warum es uns interessieren sollte, was der Verbraucher denkt

Die Gesellschaft hat zum einen eine verzerrte Vorstellung von Milcherzeugung, weiß zum anderen aber auch über reale Probleme in der Praxis bescheid. Um Milchprodukte und Rindfleisch langfristig weiter als beliebte Nahrungsmittel vermarkten zu können, führt kein Weg daran vorbei, sich den Erwartungen der Kunden zu widmen.

Die Kritik an den Produktionsweisen in der Milcherzeugung wächst im Wohlstandsland Deutschland sowie anderen (west-)europäischen Ländern. Das ist bekannt und dem muss sich die gesamte (Milch-)Branche widmen, um langfristig eine wirtschaftliche Grundlage zu haben – also Kunden, die Milchprodukte und Rindfleisch nachfragen.
Diesem zukunftsrelevanten Thema für die Milch- und die, damit gleichzeitig verbundene, Rindfleisch-Produktion in Deutschland war der zweite Tag der 18. Jahrestagung der Wissenschaftlichen Gesellschaft der Milcherzeugerberater e.V. (WGM) auf Haus Riswick (Kleve, LWK Nordrhein-Westfalen) gewidmet.
Um auf diese Entwicklung richtig zu reagieren und sie umzukehren, war es aus den Inhalten der Vorträge zu schließen, müssen im Wesentlichen drei Dinge getan werden:
  1. Möglichst objektiv erfassen, was genau die Gesellschaft vielleicht falsch versteht und was sie, auf Basis von Informationen aus (Medien-)Berichten oder eigenen Erfahrungen, kritisiert. Also die Wahrnehmung der Gesellschaft. Das ist eine Aufgabe, der sich die Wissenschaft bereits widmet (siehe unten).
  2. Entsprechend der Ergebnisse daraus versuchen, der Wahrheit entsprechend über die Milchproduktion aufzuklären (Transparenz). Und zwar mit echten Geschichten, echten Gesichtern. Denn es ist bestätigt, das landwirtschaftsfremde Personen, die einmal einen direkten Kontakt zu Landwirten als Person sowie deren Betrieben hatten, in der Regel eine deutlich positivere Meinung zur Landwirtschaft haben und die Leistung der dort tätigen Personen mehr wertschätzen. Hier stellt sich die Frage nach dem Wie?" (siehe unten).
  3. Imagerisiken erkennen und in der Milcherzeugerbetrieben berücksichtigen = unangreifbar sein. Hier zählt das Verhalten jedes einzelnen Betriebes (siehe unten).

  1. Möglichst objektiv erfassen, was genau die Gesellschaft vielleicht falsch versteht und was sie, auf Basis von Informationen aus (Medien-)Berichten oder eigenen Erfahrungen, kritisiert. Also die Wahrnehmung der Gesellschaft. Das ist eine Aufgabe, der sich die Wissenschaft bereits widmet (siehe unten).
  2. Entsprechend der Ergebnisse daraus versuchen, der Wahrheit entsprechend über die Milchproduktion aufzuklären (Transparenz). Und zwar mit echten Geschichten, echten Gesichtern. Denn es ist bestätigt, das landwirtschaftsfremde Personen, die einmal einen direkten Kontakt zu Landwirten als Person sowie deren Betrieben hatten, in der Regel eine deutlich positivere Meinung zur Landwirtschaft haben und die Leistung der dort tätigen Personen mehr wertschätzen. Hier stellt sich die Frage nach dem Wie?" (siehe unten).
  3. Imagerisiken erkennen und in der Milcherzeugerbetrieben berücksichtigen = unangreifbar sein. Hier zählt das Verhalten jedes einzelnen Betriebes (siehe unten).

Was denkt die Gesellschaft über die Milcherzeugung?

Wissenschaftlerinnen des Thünen-Institut für Marktanalyse (Braunschweig) untersuchten 2015 auf Basis von Gruppendiskussionen* die Wahrnehmung der Milchviehhaltung von landwirtschaftsfremden Menschen. Inken Christoph-Schulz berichtete im Rahmen der WGM-Tagung über die gesammelten Erfahrungen – die teils durchaus irritierend sind.

Ergebnisse:
Wenig überraschend – die Wahrnehmung der Milchviehhaltung ist eher eine kritische. Die Mehrzahl der Teilnehmer vermutete, dass es verschiedene Haltungssysteme gibt, das aber die Mehrzahl der Milchkuhbetriebe industriell" produziere und das empfinden sie als negativ. Es fiel auf, dass die Personen versuchten, sich Dinge aus ihrem vorhandenen Wissen herzuleiten und den anderen Teilnehmern das dann zu erklären. Zu verschiedenen Oberbegriffen, die zur Diskussion von den Wissenschaftlerinnen in den Raum geworfen wurden, fielen eindrucksvoll etwa folgende Aussagen:

  • Haltung: "Rinder können sich 24 h Stunden nicht bewegen" oder "(...) die haben ja nur solche Kabinen, also nur so, so kleine, sag ich mal Metallkäfige, wo die drin stehen". Inken Christoph-Schulz erklärte im Zusammenhang zu diesen Aussagen, dass die Teilnehmer dieses vermeintliche Wissen" auch von der Darstellung von Kühen im Fressgitter oder in den Liegeboxen aus Boxenlaufställen herleiten. Die Menschen haben das vielleicht nur einmal auf einem Foto gesehen, verstehen aber nicht, dass es sich nur um eine Momentaufnahme handelt, so Frau Christoph-Schulz. Sie wissen also nicht, dass die Kuh nur zur Futteraufnahme im Fressgitter steht, dort nur kurz für Maßnahmen wie z.B. TU oder Blutprobenziehen fixiert ist oder sich nur zum Ruhen in der Liegebox aufhält, sich ansonsten aber frei bewegen kann. Oft angesprochen wurde von den Teilnehmern jedoch auch, dass Kühe als sehr große Tiere in den Ställen zu wenig Platz haben. Auch von denen, die schon ein recht genaues Bild von einem Boxenlaufstall beschreiben konnten ("sowie eine Turnhalle, ganz groß") oder sogar mit eigenen Worten Begriffe wie Kaltluft- oder Boxenlaufställe wählten. Kritisiert wurde zudem, dass oft kein Freilandzugang vorhanden sei.
  • Gesundheit: "Ich hab eben Vorstellungen, wenn es der Kuh schlecht geht, dass da nicht großartig geguckt wird, ob es der Kuh wieder besser geht. Sondern dass sie direkt wieder ausgetauscht wird" oder aber auch "Ich denk mal schon, dass die regelmäßig untersucht werden... . Dass der Veterinär dann vorbei kommt, sich alle Kühe anguckt...".  Inken Christopf-Schulz ordnete ein, dass manche Personen sehr stark vermenschlichen, während andere alles als sehr technisch ("industriell") sehen, wie z.B. das Austauschen, als wäre die Kuh ein Gegenstand/Gerät. Der Gesundheitsstatus der Kühe wurde als eher schlecht beschrieben.
  • Medikamenteneinsatz: Beim Oberbegriff Futter nahmen die Diskussionsteilnehmer immer von selbst den vermuteten Medikamenteneinsatz mit auf. Dieser bezog sich in erster Linie eine mögliche Ansteckungsgefahr ("Musst du ja mit Antibiotika machen. Wo viele Viecher auf einem Fleck sind, mit wenig Bewegung und wenig Luft"). Eine prophylaktisch erfolgende Verabreichung von Medikamenten wurde oft angenommen. Nur in Einzelfällen vermuteten die Teilnehmer, dass Medikamente teuer sind und sie sich nicht vorstellen können, dass diese schnell verabreicht werden. Es wurde aber auch vermutet, dass Tiere gesund sein müssen, um die Milch verkaufen zu können. Krass wiederum ist die beobachtete Einstellung, dass Teilnehmer es vorzogen, dass ein krankes Tier besser nicht behandelt werden sollte, sondern getötet würde ("Also lieber, dass das Tier stirbt und nicht behandelt wird, Die sollen es töten"). Inken Christopf-Schulz erklärte dies damit, dass diese Menschen Angst vor Medikamentenrückständen in den Lebensmitteln haben. Das es Kontrollen gibt, ahnten die wenigsten.
  • Wohlbefinden: Starke Skepsis bestand darin, ob Kühe mit der Milchleistung und riesen Eutern" nicht überlastet seien ("Kuhkörper nicht auf so viel Milch ausgelegt, unheimliche Schmerzen"). Es wurde vermutet, dass es den Kühen nicht unbedingt gut geht, sie es aber ja nicht anders kennen. Es wurde dazu aber geglaubt, dass "so ne Kuh weiß innerlich, da müsste es eigentlich noch was anderes geben".

  • Haltung: "Rinder können sich 24 h Stunden nicht bewegen" oder "(...) die haben ja nur solche Kabinen, also nur so, so kleine, sag ich mal Metallkäfige, wo die drin stehen". Inken Christoph-Schulz erklärte im Zusammenhang zu diesen Aussagen, dass die Teilnehmer dieses vermeintliche Wissen" auch von der Darstellung von Kühen im Fressgitter oder in den Liegeboxen aus Boxenlaufställen herleiten. Die Menschen haben das vielleicht nur einmal auf einem Foto gesehen, verstehen aber nicht, dass es sich nur um eine Momentaufnahme handelt, so Frau Christoph-Schulz. Sie wissen also nicht, dass die Kuh nur zur Futteraufnahme im Fressgitter steht, dort nur kurz für Maßnahmen wie z.B. TU oder Blutprobenziehen fixiert ist oder sich nur zum Ruhen in der Liegebox aufhält, sich ansonsten aber frei bewegen kann. Oft angesprochen wurde von den Teilnehmern jedoch auch, dass Kühe als sehr große Tiere in den Ställen zu wenig Platz haben. Auch von denen, die schon ein recht genaues Bild von einem Boxenlaufstall beschreiben konnten ("sowie eine Turnhalle, ganz groß") oder sogar mit eigenen Worten Begriffe wie Kaltluft- oder Boxenlaufställe wählten. Kritisiert wurde zudem, dass oft kein Freilandzugang vorhanden sei.
  • Gesundheit: "Ich hab eben Vorstellungen, wenn es der Kuh schlecht geht, dass da nicht großartig geguckt wird, ob es der Kuh wieder besser geht. Sondern dass sie direkt wieder ausgetauscht wird" oder aber auch "Ich denk mal schon, dass die regelmäßig untersucht werden... . Dass der Veterinär dann vorbei kommt, sich alle Kühe anguckt...".  Inken Christopf-Schulz ordnete ein, dass manche Personen sehr stark vermenschlichen, während andere alles als sehr technisch ("industriell") sehen, wie z.B. das Austauschen, als wäre die Kuh ein Gegenstand/Gerät. Der Gesundheitsstatus der Kühe wurde als eher schlecht beschrieben.
  • Medikamenteneinsatz: Beim Oberbegriff Futter nahmen die Diskussionsteilnehmer immer von selbst den vermuteten Medikamenteneinsatz mit auf. Dieser bezog sich in erster Linie eine mögliche Ansteckungsgefahr ("Musst du ja mit Antibiotika machen. Wo viele Viecher auf einem Fleck sind, mit wenig Bewegung und wenig Luft"). Eine prophylaktisch erfolgende Verabreichung von Medikamenten wurde oft angenommen. Nur in Einzelfällen vermuteten die Teilnehmer, dass Medikamente teuer sind und sie sich nicht vorstellen können, dass diese schnell verabreicht werden. Es wurde aber auch vermutet, dass Tiere gesund sein müssen, um die Milch verkaufen zu können. Krass wiederum ist die beobachtete Einstellung, dass Teilnehmer es vorzogen, dass ein krankes Tier besser nicht behandelt werden sollte, sondern getötet würde ("Also lieber, dass das Tier stirbt und nicht behandelt wird, Die sollen es töten"). Inken Christopf-Schulz erklärte dies damit, dass diese Menschen Angst vor Medikamentenrückständen in den Lebensmitteln haben. Das es Kontrollen gibt, ahnten die wenigsten.
  • Wohlbefinden: Starke Skepsis bestand darin, ob Kühe mit der Milchleistung und riesen Eutern" nicht überlastet seien ("Kuhkörper nicht auf so viel Milch ausgelegt, unheimliche Schmerzen"). Es wurde vermutet, dass es den Kühen nicht unbedingt gut geht, sie es aber ja nicht anders kennen. Es wurde dazu aber geglaubt, dass "so ne Kuh weiß innerlich, da müsste es eigentlich noch was anderes geben".

Fazit: Konkretes Wissen fehlt. Das zeigte sich auch dadurch, dass die Teilnehmer auf Nachfrage der Diskussionsleiter keine konkreten Angaben dazu machen konnten, was sie denn eigentlich als richtig erwarteten.

Wie sieht/kann eine angemessene Aufklärungsarbeit zur Milcherzeugung aus/sehen?

Eindeutig: Es muss mehr kommuniziert werden, zwischen beiden Parteien, um sich wieder anzunähern und gegenseitiges Verständnis und Respekt zu entwickeln. Und zwar mit der richtigen Sprache – fachliche Begriffe wie Fressgitter, Liegeboxen" sind natürlich in der Branche selbstverständlich, hören sich für einen unwissenden Menschen mit unter aber sehr negativ an.
Hier wird sowohl auf privater Seite (Hofladen, Hoftage, Socialmedia) als auch auf größer angelegten Projekten (z.B. Superkühe") schon viel getan. Das reicht aber noch nicht. Es fehlen für die Milch Vermarktungskampagnen, die insbesondere (z.B. durch digitale Werbung) auch die Menschen in den Großstädten erreichen. Oben beschrieben Tatsachen (Kontakt zu Landwirt = in der Regel mehr Verständnis und Wertschätzung) leiten dahin, dass hier mehr echte Geschichten mit echten Milcherzeugern erzählt werden müssten (kein unberechtigtes Almklischee oder Weidebild, keine Schauspieler, sondern auch in der Werbung moderne, professionell geführte Ställe) um verstanden und ernstgenommen zu werden. Das Problem ist hier, dass die Landwirte dies so nicht aus eigener Kraft können – es braucht einen aktiven Branchenverband, der dies mit vorhandenem Kapital und fähigen Leuten markenübergreifend leisten könnte. Oder aber mehr Initiative seitens der Hersteller von Milchprodukten, sprich den Molkereien für ihre jeweiligen Marken.

Imagerisiken in der Praxis ernstnehmen!

Nicht übersehen" werden darf allerdings, dass die Gesellschaft im Wesentlichen
  • den fehlenden bzw. als zu gering eingestuften Bewegungsfreiraum und Anbindehaltung,
  • einen zu hohen Einsatz von Kraftfutter,
  • eine zu niedrige Lebensdauer,
  • Enthornung beim Kalb,
  • sowie Mutter-Kalb-Trennung 

als nicht akzeptabel kritisiert. Diese Punkte bergen aktuell das größte Imagerisiko für die Milchproduktion.
  • den fehlenden bzw. als zu gering eingestuften Bewegungsfreiraum und Anbindehaltung,
  • einen zu hohen Einsatz von Kraftfutter,
  • eine zu niedrige Lebensdauer,
  • Enthornung beim Kalb,
  • sowie Mutter-Kalb-Trennung 

Als Milcherzeuger zu sagen das interessiert uns/mich nicht" oder ist emotionales Gerede" ist in Anbetracht der Entwicklung falsch. Das Wirken und die Bemühungen jedes einzelnen Betriebes in seiner Produktionsweise zählen, um insgesamt wieder ein besseres Image in der Gesellschaft zu bekommen. Wie groß die Wirkung des Einzelnen ist, wird leider am eindrücklichsten durch die Negativbeispiele deutlich – durch die Betriebe, die durch ein schlechtes, nicht gesetzeskonformen Verhalten auffallen und wesentliche Verursacher eines negativen Images sind. Aber auch durch die Aufmerksamkeit und Rückmeldungen, die Betriebe bekommen, die durch beispielhafte Tierhaltung erfolgreich sind.
* Die Wahrnehmung der Milchkuhhaltung durch die Gesellschaft wurde 2015 aus Gruppendiskussionen (max. 10 Teilnehmer) heraus von Christioph-Schulz et al. ermittelt (explorativ). Es wurden Personen aus allen Gesellschaftsschichten, Ausbildungsständen und Ernährungsweisen (pro Runde 1 Vegetarier bzw. Veganer) eingeladen. Um sicher zu stellen, dass sich die Teilnehmer nicht vorab informierten und damit eine unverfälschte Wahrnehmung erfasst worden wäre, wurde das konkrete Thema im Vorfeld nicht bekannt gegeben. Experten, also Personen aus der Landwirtschaft, wurden nicht zugelassen.
Autor: Berkemeier