Milchpolitischer Frühschoppen

Wer hilft den Milchbauern?

Ein EU-Beamter, der eine Mengensteuerung ins Gespräch bringt und damit für Unruhe sorgt; Bauer Willi, der vegetarische Milch vermarkten möchte, und schlechte Aussichten für 2016. Das sind nur einige der Ergebnisse des Milchpolitischen Frühschoppens auf der Grünen Woche in Berlin.

Traditionell laden Lobby-Verbände alljährlichen im Rahmen der Grünen Woche in Berlin zu Gesprächsrunden, in denen zumeist viel diskutiert und proklamiert wird, jedoch kaum mal etwas Erquickliches herauskommt. Der Milchindustrieverband MIV hat in diesem Jahr den „Milchpolitische Frühschoppen“ unter das Motto gestellt: „Wer hilft den Milchbauern?“ Antworten auf diese Fragen geben sollten:
  • Dr. German Jeub vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)
  • Jens Schaps von der Europäische Kommission
  • Bauer Willi (alias Dr. Willi Kremer-Schillings, Landwirt)
  • sowie Christian Schramm, Geschäftsführer der Molkerei Zott

  • Dr. German Jeub vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)
  • Jens Schaps von der Europäische Kommission
  • Bauer Willi (alias Dr. Willi Kremer-Schillings, Landwirt)
  • sowie Christian Schramm, Geschäftsführer der Molkerei Zott

„Hilf dir selbst dann hilft dir Gott“

Für einen Paukenschlag schon gleich zu Beginn sorgte Jens Schaps, immerhin ein Spitzenbeamter (Abteilungsleiter) in der GD Landwirtschaft der Europäischen Kommission, der sein Statement zur aktuellen Milchkrise mit dem Ratschlag einleitete: „Hilf dir selbst dann hilft dir Gott“. Das klingt ja geradezu so, als hätten die Eurokraten in Brüssel die Milcherzeuger aufgegeben, zumal Schaps auch – trotz der kritischen Marksituation (O-Ton) – allen Maßnahmen zur Regulierung des Milchmarktes bzw. zur Mengensteuerung eine kategorische Absage erteilte. Eine Wiedereinführung der Milchquote oder eine abgewandelte Form der Mengensteuerung sei politisch in Europa derzeit nicht durchsetzungsfähig.
Ebenso auf Ablehnung stieß der Vorschlag, die Interventionspreis-Schwelle auf 25 Cent pro Liter Milch anzuheben. Schaps verwies darauf, dass es auf Dauer nichts bringe, gegen überversorgte Märkte zu intervenieren. Das beschleunige nur die Abwärtsspirale. In einigen europäischen Ländern liegen die Milchpreise bereits heute unter dem derzeitigen Interventionspreisniveau von rund 21 Cent. In diesen Regionen, und nicht nur da, gibt es Milcherzeuger, die mit den geringen Kosten klarkommen, so Schaps. Diese könnten eine Anhebung des Interventionspreisniveaus als Aufforderung verstehen, mehr Milch zu erzeugen.
Für einen weiteren Paukenschlag bzw. für kurzzeitig große Unruhe im Plenum sorgte der EU-Beamte mit seiner Bemerkung, in Brüssel werde man Management-Instrumente entwickeln, um die Milchanlieferung besser in den Griff zu bekommen! Ein Kniefall vor dem European Milkboard EMB? Dieser Verband fordert ja bereits seit längerem eine aktive Mengensteuerung. Auf Nachfrage wurde aber schnell klar, dass es sich hier nicht um eine Maßnahme zur Marktregulierung, angeordnet von oben, handelt. Nein, vielmehr wollen die Marktexperten in Brüssel die Erzeuger zum Nachdenken und zu einem wirtschaftlich sinnvollen Verhalten animieren. Konkret bedeutet dies nichts anderes als die Aufforderung an die Milchproduzenten, nicht „auf Teufel komm raus zu melken“, wenn der Markt gerade mal nicht vollumfänglich aufnahmefähig ist.

Frankreichs Milchmenge ist „über“

Zu etwa den gleichen Schlussfolgerungen kam auch Dr. German Jeub vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Der Beamte, der auch über einen längeren Zeitraum hinweg die deutschen (Milch)Marktinteressen in Brüssel vertreten hatte, stellte klar, dass eine Mengensteuerung zu einer Abwanderung der Milch aus den Küsten- und Mittelgebirgsregionen führen würde. Das erklärte Ziel der EU-Kommission sei es jedoch, genau dies zu verhindern. Schließlich bereite die Entvölkerung des ländlichen Raumes schon jetzt erhebliche Probleme und Kosten. Eine Mengensteuerung sei aber nur denkbar bei einer 100%igen Abschottung des europäischen Milchmarktes. Dies würde aber wiederum bedeuten, dass eine Milchmenge in Höhe von  23 Mrd. kg, was in etwa der in Frankreich produzierten Milchmenge entspricht, vom Markt genommen werden müsste. Das sei ganz und gar unrealistisch. Als Ausweg aus der Krise empfahl Jeub den Molkereien, mehr auf hochwertige und somit auch auf hochpreisige Milchprodukte zu setzen und diese besser zu vermarkten. Commodities (austauschbare Produkte wie z.B. Pulver, Butter, H-Milch) könnten andere Länder schließlich günstiger herstellen. Den Beitrag der Bundesregierung zur Krisenbewältigung sieht Jeub in dem Wegräumen von Handelshemmnissen und dem Öffnen von Türen, wodurch sich ein Zugang zu neuen Absatzmärkten ergebe. Daran würde im Ministerium derzeit mit Hochdruck gearbeitet.

Bauer Willi mit Marketing-Ideen

„Milch ist 95,5 % fettfrei!“ oder „vegetarische Milch“, mit diesen und anderen Slogans konfrontierte Bauer Willi (Dr. Willi Kremer-Schillings) die anwesenden Molkereivertreter. Ein Liter Milch sei überall für 59 Cent zu haben, warum soll der Verbraucher denn dann zu einem teureren Markenprodukt greifen? Seine Empfehlung: Denkt doch mal darüber nach, wie man der Milch ein besseres Image verpassen kann. Denn die aktuelle Milchwerbung transportiert bis auf wenige Ausnahmen keine Emotionen! Verbraucher würden hingegen bei Milchproduktion zumeist an die (gewaltsame) Trennung von Kalb und seiner Mutter denken, an das Ausbrennen der Hörner, den Einsatz von Hormonen und Antibiotika. Sein Tipp: Eine überregionale PR-Kampagne für  Milchprodukte muss her!
Auch für das Mengenproblem hat Bauer Willi eine Lösung parat: Die Erzeuger davon überzeugen, dass manchmal weniger, mehr ist! Dass ein solch solidarisches Vorgehen in Krisenzeiten funktionieren kann, hätten kürzlich die europäischen Zuckerrübenanbauer gezeigt. Diese haben aufgrund der bescheidenen Preise ihre Anbauflächen um einige Prozentpunkte zurückgenommen. „Die einen mehr, die anderen etwas weniger, aber alle haben profitiert“, weiß Willi! Alternativ schlug er vor, dass in den Milchlieferverträgen neben Laufzeit, Milchmenge und Mindestpreis ein Passus festgelegt wird für den Fall, dass mehr oder weniger Milch als vereinbart geliefert wird. So ließe sich das Problem Überlieferung schnell von alleine lösen, wenn z.B. die Übermilch mit den aktuellen Spotmarktpreisen vergütet würde.
Letztlich gelingt es aber nur den Markt annähernd in ein Gleichgewicht zu steuern, wenn es den Milcherzeugern gelingt, sich vom Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“ zu verabschieden, ist Bauer Willi überzeugt.

Bescheidene Aussichten – Marktverlauf 2016

Der Marktverlauf 2016 ist schwer vorauszusagen. Positiv zunächst ist, dass die Absätze gerade in Deutschland nicht gelitten haben. Die Pro-Kopf-Verbrauchszahlen konnten teilweise sogar gesteigert werden. Der Zustrom an Flüchtlingen wird gleichsam mehr Nachfrage generieren. Entscheidend wird aber die Entwicklung des globalen Rohstoffaufkommens sein sowie die Nachfrage aus Ländern wie China, den erdölexportierenden Staaten und auch Russland. In einigen Ländern geht das Wachstum in der Milchproduktion bereits zurück und insofern könnten sich langsam die Märkte stabilisieren. Anziehende Kurse an den Terminmärkten geben hier Signale, wenn auch noch sehr schwache. Allerdings selbst eine Marktöffnung Russlands könne nicht dazu führen, dass sich die Lage schnell entspannt. Denn die Abwertung des Rubel habe die russische Kaufkraft doch erheblich sinken lassen, so dass man nicht vom alten Niveau ausgehen könne. Auch vor zu viel Euphorie nach dem Ende der Sanktionen des Irans, warnte der MIV-Vorsitzende. Zwar gelte in der Region das Made in Germany, die kleinteiligen Distribution-Strukturen (unendlich viele „Tante Emma-Läden“) stellen jedes westliche Unternehmen jedoch vor eine kostspielige logistische Herausforderung. Deshalb würden trotz Abschluss einiger Handelsverträge mit dem Iran auf der diesjährigen Grünen Woche „die Bäume nicht in den Himmel wachsen.“
Das erste Halbjahr 2016 wird daher aller Voraussicht nach im Schnitt unter dem Vorjahresniveau liegen. Die regionale Spreizung ist dabei in Deutschland jedoch enorm. Molkereien mit einem hohen Anteil an Marken im Sortiment können derzeit besser auszahlen, als die Molkereien, die im Bereich Commodities (austauschbare Produkte wie z.B. Pulver, Butter, H-Milch) unterwegs sind. Einige Unternehmen würden derzeit denn auch von der Substanz leben, da die Auszahlungsleistung über der erwirtschafteten Verwertung liegt. Dies sei aber nicht unbedingt beunruhigend, so Stahl, da so manches Unternehmen die mittel- und langfristige Sicherung von Marktanteilen im Auge habe.

Auf Lange Sicht sieht der MIV-Vorsitzende die Milchbranche gut aufgestellt. Europa seit der Milchstandort Nummer 1 weltweit und Milch werde weiterhin nachgefragt. Es gelte jetzt die Krise am Markt zu überstehen, wenn das Tal durchschritten sei, dann gehe es wieder aufwärts. Wann dieser Zeitpunkt denn erreicht sei, darauf wollte Stahl sich dann allerdings nicht festlegen.